Russland nach der WahlWas plant Putin?
Der Kremlchef bedankt sich für seine Wahl, bei der es laut Kritikern zu «Nötigung und Kontrolle der Wähler» gekommen ist. Erwartet wird ein Kabinettsumbau. Neu ist, dass der Kreml von «Krieg» spricht.

Seine Dankesrede reichte Wladimir Putin am Donnerstag als kurze Videobotschaft nach. Die Wähler hätten über ihre Zukunft und die ihrer Kinder entschieden, erklärte er in seinem Ton des Landesvaters. Wie diese Zukunft aussehen wird, dazu sagte er wenig. Schon in den Monaten vor der Abstimmung war mehr über die Frage spekuliert worden, wie es nach Putins Scheinwahl weitergehen würde, als über deren vorhersehbaren Ausgang.
Wird Putin seine Regierung umstellen, die Steuer erhöhen, eine neue Mobilmachungswelle befehlen? Fest steht bisher nur das endgültige Wahlergebnis, das die Wahlkommission am Donnerstag veröffentlichte – daher Putins Auftritt.
Es ist jetzt also offiziell. Nie zuvor habe es eine Präsidentschaftswahl in Russland gegeben, «die so weit hinter verfassungsrechtlichen Standards zurückbleibt», schreiben die Experten von Golos. Die Organisation versucht, die Rechte der russischen Wähler zu verteidigen, und beobachtet jedes Jahr grössere Verletzungen derselben. Der Staatsapparat habe sich an «Propaganda, Nötigung und Kontrolle der Wähler beteiligt», schreibt Golos. Auf ihrer Website hat die Organisation neben zahlreichen Manipulationsbeispielen auch eine Expertenanalyse des Wahlergebnisses veröffentlicht, der zufolge etwa 22 Millionen gefälschter Stimmzettel für Putin in die Urnen gestopft worden seien.
Die Behörden könnten jetzt noch gewaltsamer vorgehen
Was macht der Machthaber nun mit seinem Erfolg? Klar ist, dass innerhalb der Behörden Ressourcen frei werden, nachdem sie Putins Wahl hinter sich gebracht haben. Als sicher gilt, dass die Repressionen gegenüber Andersdenkenden zunehmen werden, vor allem gegenüber kriegskritischen Stimmen.
Innerhalb der Gruppe der Soldatenfrauen etwa, die die Heimkehr ihrer mobilisierten Männer fordern, gab es bislang nur vereinzelte Festnahmen. Vermutlich wollten die Behörden keine grösseren Proteste vor der Wahl provozieren. Es ist zu befürchten, dass sie gegen verschiedene Gruppen jetzt noch gewaltsamer vorgehen.
Die Wahl hat zudem gezeigt, dass Putin offenbar selbst auf Scheinopposition verzichten kann. Seine drei Herausforderer mussten am Tag nach der Abstimmung mit ihm gemeinsam auf die Bühne, um das Jubiläum zu zehn Jahren Annexion der Krim zu feiern. Alle drei lobten dabei den Präsidenten. Das Wahlergebnis dürfte nicht nur für sie demütigend gewesen sein, sondern auch für die Staatsduma-Parteien, die sie ins Rennen geschickt haben.

Bisher haben diese Parteien stets dafür hergehalten, den Russen Demokratie vorzugaukeln. Zuletzt aber hatte der Kreml Schwierigkeiten, prominente Vertreter zur Scheinkandidatur gegen Putin zu bewegen. Das dürfte nach dem jüngsten Ergebnis nur schwieriger werden, mit vier Prozent für den Zweitplatzierten. In manchen Kreisen wird längst diskutiert, wozu man überhaupt noch Wahlen benötige.
Geht Aussenminister Lawrow? Oder der Premier?
Die nächste Frage betrifft Putins Regierung. Es ist üblich, eine neue Amtszeit mit neuem Team zu beginnen. Seit Monaten wird darüber spekuliert, dass Premierminister Michail Mischustin oder Sergei Kirijenko ausgetauscht werden könnten. Kirijenko ist seit mehr als sieben Jahren Vizechef der Präsidialverwaltung und war für den Wahlkampf mitverantwortlich. Er hat die riesige «Russland»-Ausstellung auf dem Moskauer Messegelände WDNCh organisiert, die Putins Kampagne begleiten sollte und zu deren Eröffnung Putin dann nicht kam. Manch Experte sah weitere Anzeichen dafür, dass er seiner überdrüssig geworden sein könnte. Andere tippen auf das Gegenteil: auf eine Beförderung Kirijenkos in die Regierung.
Andererseits gibt es altgediente Regierungsmitglieder, wie Aussenminister Sergei Lawrow, denen schon lange der Wunsch nach Ablösung nachgesagt wird. Kremlbeobachter Mark Galeotti etwa erinnerte im Dezember an FSB-Direktor Alexander Bortnikow, der krank sein solle und sich Gerüchten zufolge nach dem Ruhestand sehne. Putin wird die Russen mit seinen Personalentscheidungen sicher bis zuletzt hinhalten, seine Amtszeit endet erst Anfang Mai. Man werde diese Entscheidungen «ruhig und kameradschaftlich treffen», sagte er diese Woche.
Jede personelle Umstrukturierung führe zu einer Radikalisierung der Elite, schrieb kürzlich Kremlbeobachterin Tatjana Stanowaja in einer ihrer Analysen. Sie erwartet, dass sich die Rolle der von ihr so bezeichneten «Technokraten» – meist junge, effektive, professionelle Leute ohne eigene politische Agenda – bald ändern könnte. Denn der Krieg erfordere kriegsbezogene Entscheidungen auch von denen, die sie scheuten, schreibt Stanowaja.
Putin dürfte die «Wahl» als Bestätigung für den Krieg werten
Putin hatte in seiner Rede an die Nation im Februar zudem von einer neuen Elite gesprochen, die «ihre Loyalität zu Russland durch ihre Taten» bewiesen habe. Für Teilnehmer der «Spezialoperation», wie Putin den Krieg nennt, soll es daher ein besonderes Personal-Trainingsprogramm geben.

In derselben Rede hatte Putin grosse Investitionen bis 2030 versprochen, etwa in Infrastruktur, Wohnungen, Bildung, Wissenschaft, Sozialleistungen. Insgesamt braucht er für seine Versprechen rund 17 Billionen Rubel, das wären mehr als 165 Milliarden Franken, hat die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti ausgerechnet. Dazu kommen die Kosten für den Krieg. Putin hat bereits angekündigt, die Steuern vorwiegend für Besserverdienende zu erhöhen. Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. Es würde zu seiner Botschaft einer «neuen Elite» passen, wenn er die alte zur Kasse bäte.
Eine weitere wirtschaftliche Herausforderung dürfte die zunehmende Isolierung Russlands werden. Das Land müsse technologische und finanzielle Probleme nun allein lösen, schrieb die «Nesawissimaja Gaseta» diese Woche. Putins nächste Amtszeit werde «von der intensiven Suche nach einem neuen Entwicklungsmodell geprägt sein». Auch komplizierte Dinge wie Flugzeuge müssten bald zu hundert Prozent mit inländischen Teilen zusammengesetzt werden, so die Zeitung. Russland von bisherigen Lieferketten abzukoppeln, das sei «eine Art Revolution».
Die Frage aber, die die russische Bevölkerung am brennendsten interessieren dürfte, betrifft die Mobilmachung. Als sicher galt nur, dass der Kreml vor der Wahl keine Unruhen und damit auch keine neue Mobilmachungswelle riskieren würde. Doch die Abstimmung ist vorbei, und Putin dürfte ihr Ergebnis auch als Bestätigung für seinen Krieg werten.
Der wird inzwischen übrigens auch im Kreml so genannt. Sein Sprecher Dmitri Peskow sagte der Zeitschrift «Argumenty i Fakty», Russland befinde sich jetzt «in einem Zustand des Krieges», wegen der «aktiven Teilnahme» des Westens in dem Konflikt. Er erklärte zugleich, «juristisch» bleibe es weiterhin eine «Spezialoperation», «faktisch» habe sie sich in einen Krieg gewandelt. Vieles scheint jetzt möglich zu sein.
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