Urteil des BundesstrafgerichtsRussischer Geschäftsmann darf an die USA ausgeliefert werden
Die Richter sehen keine politischen Motive und geben grünes Licht für die Auslieferung von Wladislaw Kljuschin. Das könnte die schweizerisch-russischen Beziehungen schwer belasten.
Die Richter in Bellinzona lassen in ihrem Entscheid keine Zweifel: Politische Motive seien in jenen Delikten, die dem Beschuldigten vorgeworfen werden, «nicht zu erkennen». Ausserdem gebe es keinen Grund, an der Unabhängigkeit der amerikanischen Justiz zu zweifeln. Damit gibt das Bundesstrafgericht grünes Licht für die Auslieferung des Russen Wladislaw Kljuschin an die USA.
Der Entscheid stammt vom 16. November, darf aber erst jetzt veröffentlicht werden. Er bringt neue Brisanz in einen politisch ohnehin besonders heiklen Fall: Der 41-jährige Kljuschin hatte geschäftlich enge Beziehungen zum Kreml, wie diese Zeitung berichtete. Möglicherweise war er auch für einen der russischen Geheimdienste tätig. Seine Auslieferung an die USA könnte die schweizerisch-russischen Beziehungen schwer belasten. Auf der anderen Seite macht die amerikanische Justiz offenbar Druck, damit die Schweiz den Verdächtigen möglichst schnell ausliefert.
Vorwurf: Insiderhandel
Kljuschin wurde im März 2021 auf dem Flughafen in Sitten verhaftet, als er mit seiner Familie auf dem Weg in die Ferien nach Zermatt war. Seither wird er im Gefängnis Les Îles im Walliser Kantonshauptort festgehalten. Grund für die Verhaftung war ein Ersuchen um Auslieferung durch das US-Justizministerium wegen des Vorwurfs des Insiderhandels: Kljuschin soll mit zwei Mitverschwörern in die Computer von US-Beamten eingedrungen, sich geheime Bilanzdaten grosser Unternehmen beschafft und durch dieses Insiderwissen hohe Börsengewinne realisiert haben.
Kljuschin selbst und sein Schweizer Anwalt Oliver Ciric behaupten hingegen, das Auslieferungsgesuch sei politisch motiviert. In Russland konnte Kljuschins Firma M13 mit einem Programm namens «Katjuscha» Medien beobachten und die Inhalte analysieren. Auftraggeber waren zum Beispiel das russische Verteidigungsministerium, aber auch die Pressestelle des Kreml.
Kljuschin sieht die Vorwürfe des Insiderhandels deshalb lediglich als Vorwand: In Wirklichkeit seien die Amerikaner nur daran interessiert, an sein Wissen über geheime Operationen zu gelangen. In Kljuschins Firma M13 soll auch Iwan Jermakow gearbeitet haben, der von den USA als mutmasslicher Hacker und Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes GRU international gesucht wird.
Um Kljuschins Auslieferung an die USA zu verhindern, stellte die russische Justiz im Sommer selbst einen Auslieferungsantrag. Angeblich werde Kljuschin auch in Russland gesucht. Der Antrag aus Moskau wurde jedoch vom Bundesamt für Justiz schnell abgelehnt. Ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg deutet aber nun darauf hin, dass für die russische Regierung der Fall noch längst nicht abgeschlossen ist.
In Moskau wurde im September der Chef der Cybersecurity-Firma Group-IB, Ilja Satschkow, verhaftet, ihm wird das Verraten von Geheimnissen an den Westen vorgeworfen. Bloomberg beruft sich nun auf anonyme Informanten, die behaupten, Satschkow habe auch Informationen über Wladislaw Kljuschin geliefert, welche schliesslich zu dessen Verhaftung in Sitten führten.
Beschwerde über strenge Bewachung
Sollte Kljuschin tatsächlich ein so bedeutender Geheimnisträger sein, dann hätten die russischen Geheimdienste Grund zur Sorge. Und würden vermutlich alles versuchen, damit Kljuschin nie in amerikanische Hände gerät.
Möglicherweise wird Kljuschin deshalb in der Schweiz auch besonders streng bewacht. In einer Befragung in Sitten beschwerte sich der Russe jedenfalls, dass er ständig von schwerbewaffneten Polizisten begleitet werde. Die Schweizer Behörden wollen sich dazu nicht äussern. In seiner Beschwerde gegen die Auslieferung warnt Kljuschins Genfer Anwalt Oliver Ciric, dass seinen Mandanten in den USA eine «unmenschliche und entwürdigende Behandlung» erwarte. Dessen Leben sei in einem US-Gefängnis in Gefahr.
«Die Auslieferung ist zulässig, ohne dass weitere Abklärungen und Zusicherungen erforderlich wären.»
Das Bundesstrafgericht schmettert in seinem Entscheid jedoch alle Argumente und Warnungen ab: Es sieht weder ein politisches Motiv der USA im Auslieferungsersuchen noch konkrete Anhaltspunkte, dass Kljuschin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu befürchten hätte. Deshalb sei die Auslieferung zulässig, «ohne dass weitere Abklärungen und Zusicherungen erforderlich wären».
Kljuschin kann gegen den Entscheid aus Bellinzona nun noch beim Bundesgericht in Lausanne Beschwerde einlegen. Das hat sein Anwalt Ciric bereits am 6. Dezember getan. Oliver Ciric hofft, «dass das Bundesgericht mehr Mut zeigt und dem Fall mehr Aufmerksamkeit schenkt». Allerdings hat das Bundesstrafgericht seinen Entscheid aussergewöhnlich ausführlich auf insgesamt 23 Seiten begründet. Und das Bundesgericht kippt Auslieferungsentscheide eher selten.
Die russische Botschaft antwortet auf die Fragen dieser Zeitung, dass Wladislaw Kljuschin alle notwendige konsularische Unterstützung erhalte. Gleichzeitig kritisiert die Botschaft die US-Behörden scharf: Sie würden die inakzeptable Praxis der «Jagd» nach russischen Staatsbürgern fortsetzen, «ohne entsprechende Rechtshilfeersuchen an unser Land zu richten».
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