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Rote Fabrik in Zürich
Auf den «Putsch» folgte das Finanzloch

Die Rote Fabrik wird saniert und umgebaut.
19.06.2023
(Urs Jaudas/Tages-Anzeiger)
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Für viele Mitarbeitende kam die Notbremse offenbar überraschend. Am letzten Freitag hat der Vorstand der IG Rote Fabrik gut 40 Angestellte über die Sparpläne informiert. «Es war wie ein Schlag in die Fresse», sagt eine Person, die dabei war.

Es sei Enttäuschung, aber auch Wut zu spüren gewesen. Bis auf wenige giftige Voten sei die Diskussion dann sachlich und überlegt verlaufen. «Man merkte, dass die schlechte Nachricht auch für Teile des Vorstands nicht einfach wegzustecken war.»

Die Rote Fabrik muss sparen.

  • 91’000 Franken beim Programm

  • 22’000 Franken bei der Technik

  • 380’000 Franken bei den Angestellten

So sieht es der Sanierungsplan vor.

Zwei Wochen zuvor hatte der Vorstand erfahren, dass sich für das Jahr 2023 ein Defizit von einer halben Million Franken anbahnt. Im Eiltempo wurde deshalb das bereits abgesegnete Budget 2024 mit dem Rotstift überarbeitet. Sonst wäre man Gefahr gelaufen, den Betrieb nächstes Jahr einstellen zu müssen, begründete der Vorstand.

Das hohe Defizit überrascht auch deshalb, weil das überregional bedeutende alternative Kulturzentrum jährlich 2,5 Millionen Franken von der Stadt Zürich erhält. In einem Schreiben an alle Mitarbeitenden wurden die Abweichungen vom Budget mit Mindereinnahmen, ungeplanten Mehrausgaben und «fehlendem Selfcontrolling bei der Personalplanung» begründet.

Warum die negative Entwicklung nicht früher gestoppt worden sei, wie sich ein solches Defizit habe bilden können – das habe man am Treffen aber nicht wirklich erfahren, sagt die Auskunftsperson. Einblick in die Buchhaltung hätten die Betroffenen trotz mehrmaligen Nachfragens nicht erhalten.

Auch gegenüber dieser Redaktion äussert sich der Vorstand äusserst zurückhaltend und ausschliesslich schriftlich. Die Abweichungen auf Einnahmen- und Ausgabenseite begründet der Vorstand «zu einem erheblichen Teil» mit den Folgen der Pandemie, mit dem mehrjährigen Umbau des grössten Veranstaltungsraums sowie mit der Inflation und höheren Kosten allgemein.

Zentral sei für den Vorstand nun, diesem Ort Sorge zu tragen. Das Kulturleben gehe weiter, und dessen Vielfalt sei weiterhin gewährleistet.

Beim Putsch wurden erfahrene Mitglieder verdrängt

Einen Wendepunkt in der jüngeren Geschichte der Roten Fabrik markierte die ausgeuferte Mitgliederversammlung im Sommer 2021. Damals entzündete sich ein Konflikt an der Forderung, mit dem Clubbüro einen Teilbereich der Roten Fabrik aufzuwerten und dessen Leiterin mehr Stellenprozente sowie einen Einsitz in der Betriebsgruppe zu gewähren. Die damalige Führung sprach sich gegen den Antrag aus und argumentierte, die Personalplanung sei Sache des Vorstands und nicht der Mitgliederversammlung.

Die sechseinhalbstündige Sitzung konnte auch deshalb derart eskalieren, weil es offenbar um mehr ging: um Ressourcen, um komplizierte, basisdemokratische Vereinsstrukturen und auch um Generationenunterschiede.

Ein langjähriges Vorstandsmitglied trat noch während der Sitzung zurück, ein weiteres wurde abgewählt. Sechs der neun Sitze im Vorstand wurden an jenem Abend neu besetzt, teils mit jungen Mitgliedern, die sich spontan aufstellen liessen. Die unterlegene «alte» Fraktion sprach von einem «Putsch».

«Das ist der Worst Case»

Eine, die trotzdem geblieben war, ist die grüne Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. Sie hat sich erst diesen Sommer, nach über zehn Jahren, aus dem Vorstand zurückgezogen. Nach dem «unfriendly takeover» 2021 sei dies gescheiter gewesen, sagt sie heute. «Verschiedene der Neuen im Vorstand hatten die Einstellung: Die Rote Fabrik ist verstaubt, es braucht ein Refreshment. Dafür kommen wir und machen es besser.» Ihre Meinung sei nicht mehr gefragt gewesen, so ihre Wahrnehmung.

Die nun angekündigten Entlassungen seien der absolute Worst Case, sagt Prelicz-Huber. Früher habe die Rote Fabrik in schwierigen Zeiten auf defizitäre Angebote verzichtet und mit einträglichen Konzerten Eigenkapital aufgebaut. «Aber es war sonnenklar, dass man nicht von Entlassungen sprach. Als Vorstand der Roten Fabrik hat man nicht nur eine Verantwortung gegenüber der Kultur, sondern auch gegenüber allen Menschen, die dort arbeiten.»

Nach der Corona-Pandemie sei es vielen Kulturinstitutionen schwergefallen, den Betrieb wieder voll hochzufahren, sagt Prelicz-Huber. Für die aktuelle Notsituation sieht sie aber  den neuen Vorstand als mitverantwortlich an. «Beim Putsch ging viel Know-how verloren. Und es ging keine gute Form der Zusammenarbeit daraus hervor.»

Der neue Vorstand habe seine Verantwortlichkeiten nur teilweise wahrgenommen. So seien neue Bereiche und Stellen geschaffen worden, ohne das volle Verständnis für das Funktionieren des Betriebs und die Gesamtübersicht über die finanzielle Situation zu haben. Einen ähnlichen Eindruck hatte die Person, die an der Sitzung vom Freitag war und anonym bleiben will.

Gemäss der Jahresrechnung 2022 wurde der Personaletat in einem Jahr von 2,17 auf 2,52 Millionen Franken erhöht.

Vier der sechs Personen, die beim «Putsch» 2021 neu in den Vorstand gewählt wurden, sind inzwischen wieder weg. Zwei sind geblieben, der Rest des heutigen Vorstands stiess später dazu.

Die Darstellung von Prelicz-Huber kommentiert der aktuelle Vorstand nicht. Auf die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Know-how-Verlust im Vorstand und der jetzigen finanziellen Notlage gebe, lautet die Antwort: «Die vielen unterschiedlichen Gründe für die aktuelle finanzielle Lage sind nachvollziehbar und belegt.»