Shootingstar Robin GosensRonaldo liess ihn einst abblitzen – jetzt ist er selbst Publikumsliebling
Matchwinner Robin Gosens begeistert Deutschland längst nicht nur mit seinem Spiel, sondern auch mit seiner Kommunikation. Er ist in jeder Hinsicht offensiv.
Robin Gosens ist ein vergleichsweise neuer Nationalspieler, aber bereits 26 Jahre alt, am vergangenen Samstag hat er sein neuntes Länderspiel bestritten, was er aber selbst nicht wusste. Er dachte, es sei höchstens sein achtes gewesen, «nageln Sie mich nicht fest», bat er seine Zuhörer um Rücksicht, falls er sich eines zu viel gutgeschrieben haben sollte.
Dabei interessierten kleinkarierte Rechnungen in diesem Moment wirklich niemanden, denn es stand ja fest, dass Gosens auf jeden Fall sein bestes Länderspiel gemacht hatte, und dass es ihm sogar schwerfallen könnte, sich in der nächsten Zeit selbst zu übertreffen, weil er die Jury gerade sehr verwöhnt hatte. Die Uefa kürte ihn zum herausragenden Spieler des Abends, Ergebnis eines Gesamtwerks, das weit mehr bot als ein aberkanntes Traum- und ein anerkanntes Kopfballtor sowie drei weitere Trefferbeteiligungen.
Gosens nahm den Preis ohne falsche Bescheidenheit entgegen. Was ihm die Trophäe bedeute? «Gigantisch, nicht in Worte zu fassen, unbeschreiblich, wird mir für immer in Erinnerung bleiben», und so weiter sprudelte es aus dem euphorischen Mann heraus – lauter Vokabeln, die den Glanz des Abends und das Glück seines Lebens beschreiben sollten. Gosens kann sehr schnell sehr viel reden, und er hat keine Scheu, das auch zu tun. Der DFB-Medienchef gratulierte ihm bei der Preisverleihung zu einem Rekord: «15 Interviews in vier Sprachen – Kompliment».
Es darf als sicher gelten, dass jeder Fragesteller zufrieden war mit Gosens’ Aussagen, seine lebendige Kommunikation – da hat Löw recht – spiegelt sein in allen Belangen offensives Naturell. Formell firmiert Gosens als Linksverteidiger, was auch nicht ganz falsch ist: Immer wieder war er grätschend, rutschend, kämpfend an der eigenen Grundlinie anzutreffen, im nächsten Moment rannte er aber schon wieder in hohem Tempo nach vorne, und wäre es nicht Spitzenfussball, dann müsste man sagen, er rannte nach vorne, um sich auszutoben.
Atalanta – die italienische Variante des SC Freiburg
Die stürmische Seele, erzählte er später, muss wohl immer schon in ihm geschlummert haben, «herausgekitzelt hat sie Mister Gasperini», sein Trainer bei Atalanta. Gian Piero Gasperini, 63, ist seit vier Jahren sein Lehrmeister in der Serie A, der Trainer habe «sehr viel Einfluss genommen» auf die Erweiterung seines Repertoires, sagte Gosens, «er hat meine offensiven Qualitäten zum Vorschein gebracht». Atalanta stellt mit dem getreuen Mister Gasperini eine italienische Variante des SC Freiburg mit seiner Institution Christian Streich dar; mit inzwischen jahrelanger Regelmässigkeit verblüfft das Team aus der lombardischen Stadt nicht mehr nur die heimische Liga, sondern auch die grosse Champions League.
Gosens ist ein wichtiger Teil dieser aussergewöhnlichen Clubgeschichte, seine unkonventionelle Fussballer-Biographie passt dazu. 2017 siedelte er aus den Niederlanden nach Norditalien über, beim Heracles Almelo hatte er zuvor 60 Spiele in der Ehrendivision absolviert und einige weitere in der zweiten Liga. Seine Transfergeschichte wirft nebenbei die Frage auf, was die Scouts der deutschen Bundesligisten eigentlich beruflich machen.
Gasperinis Lektionen nahm Gosens offenbar aufmerksam auf, der preisgünstige Zugang aus Almelo wurde Stammspieler. Im Sommer 2019 war er drauf und dran, seine Studienkenntnisse sowohl materiell als auch ideell zu nutzen: Der geplante Wechsel zu Schalke 04 würde ihn nicht nur mit seinem Lieblingsclub, sondern auch mit der Familie am Niederrhein zusammenführen. Doch der Transfer scheiterte an der Ablöse, an einer vergleichsweise geringen Differenz von drei Millionen. Gosens war darüber sehr enttäuscht, doch im Nachhinein ist es vielleicht besser für alle: für ihn, für Atalanta, für Deutschland. Wer weiss, was Schalke mit ihm angerichtet hätte? Und wer weiss, ob Deutschland ohne ihn überhaupt ein Tor geschossen hätte?
Als Cristiano Ronaldo Gosens abblitzen liess
Dort ist er jetzt, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, ein neuer Publikumsliebling, vielleicht sogar der grösste deutsche Publikumsliebling seit Lukas Podolski und Thomas Müller, der im eigenen Stadion hören musste, wie die Fans einen anderen mit Sprechchören feierten. Augenscheinlich versteht er sich aber trotzdem ziemlich gut mit dem Kerl vom Niederrhein.
Ob er sich als Exot fühle im Kreis der Nationalspieler, wurde Gosens dann auch noch gefragt, was er erst einmal von sich wies: «Ganz und gar nicht», dementierte er und berief sich auf die freundliche Aufnahme durch die etablierten Kollegen. Gemeint war aber sein Werdegang. Ein professionelles Nachwuchsleistungszentrum hat er nicht besucht, die Karriere hatte in kleinen Clubs begonnen und bei einem kleinen Club in den Niederlanden vermeintlich schon ihren Höhepunkt gefunden.
Vor zwei Jahren führte ihn diese Karriere nach einem Spiel mit Atalanta mit dem Welt- und Juve-Star Cristiano Ronaldo zusammen. Gosens bat um dessen Trikot, Ronaldo liess ihn abblitzen. Am Samstag in München war kein Leibchen wertvoller als jenes von Gosens.
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