Vorwürfe gegen geflüchtete Roma«Das ist rassistisch»
Demolierte Wohnungen und falsche Pässe: Vielerorts steigt der Unmut gegenüber geflüchteten Roma. Der Direktor der Roma Foundation mahnt vor Verleumdungen und erklärt, was hinter den Problemen steht.
Die St. Galler Regierung hat diese Woche bekannt gegeben, ukrainische Roma-Familien mit Schutzstatus S seien für die Gemeinden eine «grosse Belastung». Zuweilen würden sie die zur Verfügung gestellte Unterkunft unordentlich verlassen – und einige Monate später erneut um Schutz ersuchen. Dies sorgt für Unmut gegenüber Roma. Können Sie das verstehen?
Nein. Das Mühsame daran ist, dass man alle Roma in einen Topf wirft. Macht einer eine Dummheit, werden alle angeschwärzt. Diese Verallgemeinerung – auch in den Medien – geht nicht an. Das ist rassistisch. Es gibt viele Roma in der Schweiz, auch Geflüchtete, von denen man nicht spricht, weil sie nie Probleme machten und gut integriert sind. Die Roma, von denen man spricht, sind ausschliesslich Roma aus Transkarpatien im Westen der Ukraine.
Manche Gemeinden zweifeln daran, dass sie aus der Ukraine sind, weil sie weder Ukrainisch noch Russisch sprechen.
Das ist ein Missverständnis der Geschichte. Die karpatischen Roma sprechen Ungarisch, stammen aber sehr wohl aus der Ukraine. Sie wurden schon ab dem 18. Jahrhundert gezwungen, in separaten Siedlungen zu leben. Viele gingen nicht zur Schule und haben nie Ukrainisch gelernt. Es gibt aber höchstens ein paar Hundert karpatische Roma in der Schweiz. Häufiger sind andere ukrainische Roma, die viel besser integriert sind.
Wie leben die Roma in Transkarpatien?
Mit dem Kollaps des Kommunismus haben sie ihre Arbeit in den Kolchosen und Fabriken verloren. Seither sind viele arbeitslos – seit zwei Generationen. Oft leben sie separiert und melden ihre Kinder nach der Geburt nicht an. Sie sind also von der Gesellschaft ausgeschlossen. Das ist aber ein soziales Problem und hat mit den Roma nichts zu tun.
Von was leben diese Menschen denn?
Von staatlicher Sozialhilfe, zum Teil auch vom Betteln. Ich würde aber eher von Überleben als von Leben sprechen. Meist haben sie zwar ein Dach über dem Kopf, aber weder fliessendes Wasser noch Strom.
Erklärt dies den unangebrachten Umgang mit Schweizer Wohnungen?
Es braucht eine gewisse Anpassung, ja. Traditionell sind Roma aber sehr sauber, sodass man vom Boden essen könnte. In der Schweiz reicht dann ein Einzelfall, in dem es nicht so ist, um alle zu beschuldigen.
«Eine Flucht kostet Geld. Je mehr Sie davon haben, desto schneller sind Sie weg.»
Gibt es unter den karpatischen Roma auch Fahrende?
Fahrende Roma sind und waren die Ausnahme. Das ist ein westliches Stereotyp. Traditionell waren die karpatischen Roma Stahlschmiede. Und mit einer Schmiede reist man nicht herum.
Trotzdem beobachten Gemeinden, dass Schutz suchende Roma wegziehen und später wieder kommen. Wie erklären Sie sich das?
Schwer zu sagen. Womöglich fühlen sie sich nicht besonders wohl und ziehen weiter – um dann zu merken, dass es dort auch nicht besser ist.
Schwierig gestaltet sich auch das Einschulen der Kinder.
Wenn sie in Transkarpatien nie zur Schule gingen, wird das hier noch schwieriger. Aber Schule ist in der Schweiz obligatorisch. Das gilt für alle, auch für Flüchtlinge. Dies muss man ihnen in ihrer Sprache klarmachen – auch alle anderen Regeln. Und dann müssen sie die hiesige Sprache lernen.
Warum kommen die karpatischen Roma gerade jetzt gehäuft in die Schweiz? Der Krieg ist ja schon länger ausgebrochen. Spielen ökonomische Beweggründe eine wichtigere Rolle als Sicherheitsüberlegungen?
Das glaube ich nicht. Eine Flucht kostet Geld. Je mehr Sie davon haben, desto schneller sind Sie weg. Und karpatische Roma haben – wie bereits erläutert – wenig Geld. Manche von ihnen sind vielleicht erst in einen Drittstaat geflüchtet. Das sollte man mit Schengen leicht abklären können.
In der Westukraine wird aber nicht gekämpft.
Bomben fallen in der Westukraine tatsächlich wenige, aber die Gefahr, dass die Ukraine den Krieg verliert und kollabiert, ist gross. Es sind hauptsächlich Frauen und Grossmütter mit Kindern, die flüchten. Für die Männer ist die Ausreise schwierig, sie müssen sich für den Krieg bereit halten.
Gemeinden vermuten, dass Roma mit Ausweisen einreisen, die sie in der Ukraine gekauft haben.
Das ist eine Unterstellung. Lässt sich dies beweisen, müssen die betroffenen Personen wieder gehen. Aber man darf nicht von einzelnen Fällen auf alle schliessen. Auch die Medien nicht. Sonst ist das Verleumdung und Rassismus. Und das geht nicht – auch nicht bei Roma und bei orthodoxen Juden in Davos.
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