Roma aus der Ukraine«Ein heikles Thema, aber wir dürfen nicht wegschauen»
Unter den Geflüchteten mit Schutzstatus S sind zunehmend auch Roma. Das stellt Kantone und Gemeinden vor neue Herausforderungen.
Der Berner Asyldirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) hat viele Reaktionen auf sein Interview mit dieser Redaktion erhalten – laut seinem Sprecher so viele wie selten, «aus allen politischen Lagern». Schnegg forderte, dass der Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge aufgehoben oder zumindest eingeschränkt wird, weil zunehmend Roma den Status beantragen.
Bereits im Winter hatten die Kantone von Problemen mit Roma berichtet. Alexander Ott, der Chef der Fremdenpolizei der Stadt Bern, kennt diese aus der Nähe. Das Thema sei heikel, sagt er. «Aber wir dürfen nicht wegschauen.» Ein Problem sei etwa die streng patriarchale Struktur mancher Roma-Familien. Ott schildert das Beispiel eines Vaters, der es ablehnte, seine Tochter zur Schule zu schicken. «Das können wir nicht hinnehmen», sagt Ott. Man dürfe da keine falsche Scheu haben.
In einem solchen Fall können die Behörden feststellen, dass der Betroffene seine Mitwirkungspflichten verletzt. Er kann sanktioniert werden. Oft würden die Familien dann aber verschwinden, sagt Ott. Es müsse sichergestellt werden, dass sie anschliessend nicht in einem anderen Kanton von vorn beginnen könnten. «Wir arbeiten daran.» Ein grosser Fortschritt sei, dass die ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz nun zentral erfasst würden, im Bundesasylzentrum von Bern.
Laut Ott gibt es auch Hinweise darauf, dass Familien, die Sozialhilfe beziehen, bezahlte Dienstleistungen erbringen: «Sie holen zum Beispiel mit dem Auto im Ausland weitere Personen ab.» Auch das könnte sanktioniert werden, mit einer Kürzung der Sozialhilfe. Dazu müsste man aber Geldflüsse nachweisen können, sagt Ott. Das sei aufwendig.
«Wir wollen niemanden stigmatisieren»
Wie viele Roma aus der Ukraine in den vergangenen Monaten in die Schweiz gekommen sind, ist nicht bekannt: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erfasst die Schutzsuchenden aus der Ukraine nicht nach Ethnie. Es stellt aber fest, dass die Zahl der Personen aus dem Oblast Transkarpatien deutlich zugenommen hat, wie es auf Anfrage schreibt. Aus diesem Oblast kommen viele Roma – allerdings auch Personen anderer Ethnie.
Eine Zahl nennt der Kanton St. Gallen: 40 Prozent der Personen, die ein Gesuch um den Schutzstatus S gestellt haben und dem Kanton seit Oktober zugewiesen wurden, sind demnach Roma – rund 300 Personen. Das sagt Claudia Nef, die Geschäftsführerin des Trägervereins Integrationsprojekte St. Gallen (TISG). Dieser kümmert sich im Auftrag der St. Galler Gemeinden um die Unterbringung, Betreuung und Integration von Flüchtlingen.
Der TISG erfasst die Ethnie, weil die Gemeinden das verlangt hatten. «Wir wollen niemanden stigmatisieren», sagt Nef. Viele Vermieter wollten aber nicht, dass Roma in ihren Wohnungen untergebracht würden. Manche drohten damit, sonst keine Wohnungen mehr zu vermieten oder Mietverhältnisse zu kündigen.
Ein erstes Indiz, dass es sich um Roma handle, sei jeweils die Sprache. Viele sprechen weder Ukrainisch noch Russisch. Das heisst allerdings nicht, dass sie nicht aus der Ukraine stammen – oder dass sie nicht das Recht hätten, vor dem Krieg zu flüchten, wie Flüchtlingsorganisationen betonen. Auch Nef weist darauf hin. In der Schweiz erhalten Roma den Schutzstatus S, wenn sie ukrainischer Identität sind und bei Kriegsausbruch ihren Lebensmittelpunkt in der Ukraine hatten. Können sie dies nicht glaubhaft machen, lehnt das SEM das Schutzgesuch ab.
Kritik von der Roma Foundation
«Für die Integration ist es nicht die einfachste Gruppe», sagt Nef. «Wir können aber damit umgehen.» Auch bei anderen Flüchtlingsgruppen gebe es zuweilen Schwierigkeiten. Klar sei, dass sich bei Roma-Familien andere Probleme stellten als bei anderen ukrainischen Flüchtlingen. Zum Beispiel das Problem, dass manche Kinder noch nie zur Schule gegangen sind. Da sei es wichtig, dass die Gemeinden vorbereitet seien. Dass Familien plötzlich wieder verschwinden, beobachtet man auch in St. Gallen.
Stéphane Laederich, Direktor der Roma Foundation, kritisiert die Debatte über die Roma aus der Ukraine. Diese sei rassistisch, sagte er im Februar in einem Interview mit dieser Redaktion. «Das Mühsame daran ist, dass man alle Roma in einen Topf wirft. Macht einer eine Dummheit, werden alle angeschwärzt. Diese Verallgemeinerung – auch in den Medien – geht nicht an.» Es gebe viele Roma in der Schweiz, auch Geflüchtete, von denen man nicht spreche, weil sie nie Probleme machten und gut integriert seien. Laederich sagte auch, in Transkarpatien seien Roma von der Gesellschaft ausgeschlossen. Meist hätten sie zwar ein Dach über dem Kopf, aber weder fliessendes Wasser noch Strom.
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