Angriff im RiesenslalomWendy Holdener redet unverblümt von «Weltspitze»
Die Schwyzerin hat mit ihren ersten Slalomsiegen einen Bann gebrochen und sich gleich selbst befreit. In der neuen Saison hat sie auch in einer anderen Disziplin Grosses vor.
Es gab Zeiten, da war Wendy Holdener eine Zweiflerin, eine Suchende, manchmal verlor sie sich in ihrem enormen Ehrgeiz, schlief nicht mehr vor den Rennen. Wer die Schwyzerin in diesen Tagen vor dem Saisonstart in Sölden sieht, kann sich das nur noch schwer vorstellen.
30 ist Holdener im Mai geworden, längst hat sie nicht nur sich bewiesen, dass sie gut ist für grosse Momente, dass ihre Nerven halten. Vier Einzelmedaillen bei Olympia hat sie geholt, fünf an Weltmeisterschaften, 48 Podestplätze im Weltcup – und, seit letztem Winter darunter: zwei Siege im Slalom, ihrer Stammdisziplin.
Ja, es hat endlich geklappt, nach 30 Top-3-Plätzen allein im Slalom und im Weltcup ohne Triumph, was Rekord ist. Dann kam Killington, Rang 1 zusammen mit der Schwedin Anna Swenn Larsson, es folgte Sestriere und die schnellstmögliche Bestätigung: Sieg, 47 Hundertstel vor Mikaela Shiffrin, die ihr so oft vor der Sonne gestanden hat in ihrer Karriere.
Es schien, als wären diese wunderbaren zwei Wochen Ende des letzten Jahres nicht nur für Holdener eine grosse Erleichterung gewesen – sondern irgendwie auch für ihre Gegnerinnen, die sich herzlich mit ihr freuten, hat sie diesen Bann endlich gebrochen, nach zwölf Jahren im Weltcup.
Selbstbewusstsein statt Selbstzweifel
Ruhe hätten ihr die Erfolge gebracht, sagt Holdener, die ständigen Fragereien nach ihrem ersten Sieg kommen nicht mehr, und sie muss sich vor dem Winter auch nicht mehr fragen, ob es nun endlich einmal ganz aufgeht.
Das Puzzle ihrer Karriere setzt sich mit diesen Teilen immer weiter zusammen. Stück für Stück hat das Selbstbewusstsein die Selbstzweifel verdrängt. Wird Holdener auf die prägenden Momente dieser Entwicklung angesprochen, redet sie von der Heim-WM 2017 in St. Moritz. Einige Grossanlässe seien davor «in die Hose gegangen», sagt sie. Im Engadin gab es Gold in der Kombination und Silber im Slalom für die Unteribergerin – und seither mit der WM in Cortina d’Ampezzo 2021 nur noch einen Titelkampf ohne Medaille.
«In St. Moritz habe ich sehr viel gelernt und mitgenommen. Es hat mich abgehärtet.» Und jetzt steht sie eben noch einmal an einem anderen Punkt.
Sie fährt nicht für Rang 20
Holdener hat Ambitionen auch im Riesenslalom, mit dem sie am Samstag im Ötztal in den Winter steigt. Schon bei den Trainings nach der Saison im Frühling reifte der Plan, in dieser Disziplin einen neuen Angriff zu wagen. «Ich probiere, in die Weltspitze vorzustossen», sagt Holdener, die im Winter 2019/20 ihre beiden einzigen Podestplätze im Riesenslalom holte. Jetzt sagt sie: «Ich fahre nicht, um Zwanzigste zu werden.»
Warum sie sich nicht nur auf den Slalom konzentriert und die Riesenslaloms und Super-G quasi nebenbei fährt? «Das frage ich mich manchmal auch», sagt Holdener und schmunzelt. «Ich habe einfach Lust dazu, ich wusste immer schon, dass ich gute Riesenslalomschwünge zeigen kann. Ich hoffe, ich konnte noch einmal einen Schritt machen, ich will ums Podest kämpfen.» Und, das sagt sie auch noch: «Im Frühling habe ich richtig geile Schwünge gespürt, da merkte ich auch, warum mich diese Disziplin reizt.»
Doch die Vorbereitung war nicht nur einfach, oder «nicht ganz so perfekt wie diejenige im Vorjahr». Im argentinischen Ushuaia lag mal zu wenig, dann zu viel Schnee. Auf der Diavolezza fehlte das Weiss lange, schauten Steine hervor – ehe letzte Woche der Winter Einzug hielt und die Schweizerinnen ideale Bedingungen vorfanden.
Auch in eine Skihalle ist Holdener zusammen mit Teamkollegin Mélanie Meillard ausgewichen. In Wittenburg, im Norden Deutschlands, feilten sie auf dem blanken Eis an ihren Slalomschwüngen. «Ich habe sicher davon profitiert. Im Sommer wird die Halle von uns Profis genutzt, was gut ist für die Betreiber, im Winter tummeln sich dann dort Touristen, die sonst nirgends Ski fahren können», sagt Holdener.
Ob dies angesichts des Klimawandels das Training der Zukunft sei, könne sie nicht sagen, «erst einmal bin ich hier für den Samstag». Dann will sie eben auf dem Rettenbachgletscher von Sölden die Elite des Riesenslaloms ärgern.
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