Kanon der QuarantäneRichard Wagners «Ring des Nibelungen»
So viel Welt, kombiniert mit so viel Klang – das gibt es sonst nirgends.
Vierzehn Stunden! So lange dauert Richard Wagners «Ring des Nibelungen», bei bedächtigen Dirigenten sogar noch deutlich länger. Aus vier Werken setzt er sich zusammen, das «Rheingold» zum Auftakt ist mit seinen gut zwei Stunden Musik noch problemlos in einen normalen Alltag integrierbar. Die «Walküre» und «Siegfried» mit je gut dreieinhalb Stunden (plus Pause) empfehlen sich bereits nicht vor einem anstrengenden Arbeitstag. Und die deutlich über vier Stunden dauernde «Götterdämmerung» schafft man wirklich nur am Wochenende. Kein Wunder, sind die diversen Schrumpfversionen im Stil von «Der Ring in einer Stunde» so beliebt.
Aber nun ist Ausnahmezustand: Zeit also für Wagners ganzes langes Meisterwerk, Zeit für die Götter, Halbgötter und anderen mythischen Wesen, die darin mit ihrem Machthunger das Ende der bisherigen Weltordnung verschulden. Viele sterben dabei, Walhalla geht in Flammen auf.
Und anders als in den Marvel-Filmen, die in ganz ähnlicher Weise (und mit Odin/Wotan als gemeinsamem Protagonisten) auf ein desaströses Finale hinzielen, gibt es hier keine Quantenmagie, mit der man die Dinge wieder zurechtrücken könnte.
Süchtig nach dem Walhalla-Motiv
Stattdessen gibt es Musik. Viel Musik. Über sehr weite Strecken pausenlose Musik. Endlos ziehen sich manche Dialoge; mit mittelmässigen Sängern sind sie nicht auszuhalten, gute können einen in Trance versetzen. Wagner war nun mal noch nicht darauf angewiesen, sein Publikum in den ersten paar Sekunden eines Stücks so zu packen, dass es den Download bezahlt.
Aber die Tricks, wie man es bei der Stange hält, die hatte er durchaus drauf. Schon im «Rheingold» wird man süchtig nach dem Walhalla-Motiv, das sich durch die Partitur zieht. Der Walkürenritt gehört mit guten Gründen zu den beliebtesten Klingeltönen. Und wenn sich der junge Siegfried mit seinem bünzligen Ziehvater Mime zofft, dann klingt das zwar durchaus nach Oper – aber nach einer, die mit sehr konkreter Lebenserfahrung geschrieben wurde.
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Ja, man muss es so sagen: Wagner war zwar wirklich kein Sympath, aber ein grandioser Menschenkenner. Er wusste, wie Intrigen funktionieren und welche Dynamiken in einer Familie spielen können. Er kannte die Liebe, den Verzicht, die Gier, den Verrat. Er hatte Humor – man muss sich nur die «Rheingold»-Szene anhören, in der sich der Zwerg Alberich vor den Rheintöchtern blamiert. Und er wusste, wie man signalisiert, wann fertig lustig ist: für Alberich, der sich so unerbittlich rächt für seine Erniedrigung, dass man die Musik dazu tagelang nicht aus dem Kopf bringt; und für alle anderen, die im Laufe dieser Tetralogie alles verlieren.
Gewinnen tut immerhin das Publikum. Weil vierzehn Stunden zwar lang sind, aber für so viel Welt und Klang dann doch auch wieder nicht. Weil es immer wieder spannend ist, zu hören, wo sich all die Filmsoundtracks bedient haben. Und natürlich auch, weil am Ende des «Rings» wieder ein schönes Stück Quarantäne vorbei ist.
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