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Tödlicher Schuss an Baldwins Filmset
Alec Baldwin erhielt Waffe als «Cold Gun»

Der Drehort: Die Bonanza Creek Ranch in Santa Fe, New Mexico, am Tag nach dem tragischen Unfall. (22. Oktober 2021) 
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Die Frage ist natürlich: Wie konnte das passieren? Wie war es möglich, dass der Schauspieler Alec Baldwin bei den Dreharbeiten für den Film «Rust» auf der Bonanza Creek Ranch im Bundesstaat New Mexico eine Requisitenpistole abfeuerte und dabei Kamerafrau Halyna Hutchins tötete sowie Regisseur Joel Souza verletzte? «Ich habe keine Worte, um meinen Schock und meine Trauer auszudrücken», schrieb Baldwin am Freitagnachmittag auf Twitter: «Ich unterstütze die Ermittlungen der Polizei nach besten Kräften, um die Ursache für diese Tragödie zu finden.»

Regisseur Joel Souza meldete sich am Samstag erstmals öffentlich. «Ich bin tieftraurig über den Tod meiner Freundin und Kollegin Halyna», erklärte der 48-Jährige auf einer Film-Webseite. «Sie war freundlich, lebhaft, unglaublich talentiert, hat um jedes Detail gekämpft und mich immer ermuntert, mehr zu geben. Meine Gedanken sind in diesen schwersten Zeiten mit ihrer Familie.» Souza wurde im Schulterbereich getroffen, kontne das Krankenhaus aber am Freitag wieder verlassen.

Wie es zum Unfall kam, ist vom Santa Fe County's Sheriff's Office, das den Fall untersucht, noch nicht erklärt worden. Der New York Times und der Nachrichtenagentur AP zitieren jedoch aus einem Affidavit, den das Sheriff's Office einem Gericht in Santa Fe vorgelegt hat. Darin heisst es, der Regieassistent habe die Worte «Cold Gun» gerufen, bevor er Baldwin die Todeswaffe übergab – eine eindeutige Versicherung, dass die Waffe nicht geladen sei. Zuvor hätte die 24 Jahre alte Waffenmeisterin drei von ihr präparierte Waffen auf einem offenen Wagen am Set abgelegt. Nach dem tödlichen Schuss hätte sie die Patronenhülse entfernt und die Waffe der Polizei übergeben.

Die Ermittlungen konzentrieren sich denn derzeit auch auf die Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed und Regieassistent David Hall, wie US-Medien am Samstag aus dem vorläufigen Untersuchungsbericht zitieren.

Weiterhin unklar ist, mit welcher Munition die Waffe geladen war, und warum sie diese tödliche Wirkung entfalten konnte. Die Polizei von Santa Fe wollte auf Anfrage nicht bestätigen, dass Sicherheitsprotokolle verletzt worden seien. Die Ermittlungen seien noch nicht mal so weit, dass klar sei, wovon genau Kamerafrau Hutchins und Regisseur Souza getroffen worden sind.

Beschwerden von Mitarbeitern

Am Donnerstag, wenige Stunden vor den tödlichen Schüssen, verliessen offenbar mehrere Mitglieder der Filmcrew das Set, um gegen die Arbeitsbedingungen vor Ort zu protestieren. Die Los Angeles Times berichtete das zuerst unter Berufung auf ein Crew-Mitglied; die Bekannte eines anderen Arbeiters vor Ort bestätigte den Vorgang.

Zu denen, die das Set verliessen, gehörten Kameraleute und deren Assistenten, die sich über die Arbeitszeiten sowie die weite Anreise zur Bonanza Creek Ranch in der Nähe von Santa Fe beschwerten. Hutchins war offenbar nicht dabei, habe den Protest der Kollegen aber bedauert. «Es fühlt sich an, als würde ich meine besten Freunde verlieren», habe sie gesagt.

Bedauerte den Protest der Kollegen: Das Opfer Halyna Hutchins. (Archivbild)

Die Dreharbeiten hatten am 6. Oktober begonnen, zum Zeitpunkt der Schüsse waren einem Statement der eigens für den Film gegründeten Firma Rust Movie Productions zufolge 22 Schauspieler, 75 Crew-Mitglieder und 230 Komparsen am Set. Der Crew war versprochen worden, dass sie im nur 30 Kilometer entfernten Santa Fe nächtigen würde – kurz nach Drehbeginn hiess es jedoch: Albuquerque, etwa eine Autostunde entfernt. Arbeitsbeginn an den meisten Drehtagen war 6.30 Uhr; das bedeutete: Abfahrt um spätestens 5.30 Uhr, an manchen Tagen seien Crew-Mitglieder erst kurz vor Mitternacht ins Hotel zurückgekehrt.

Bereits zuvor mehrere Vorfälle mit der Pistole

Eine Stunde, nachdem die Kamera-Crew die Arbeit niedergelegt hatte, kamen laut Los Angeles Times neue Arbeiter ans Set, die keiner Gewerkschaft zugehörig waren. «Die wollten weiterdrehen, also haben sie diese Abkürzung gewählt», wird die Quelle zitiert. Es habe bereits am vergangenen Samstag zwei Vorfälle mit der Pistole gegeben.

Das Stunt-Double von Baldwin habe zwei Schüsse abgegeben, obwohl ihm versichert worden war, dass keine Projektile oder Platzpatronen in der Waffe seien: «An diesem Set gab es massive Sicherheitslücken. Es musste immer nur schnell, schnell, schnell gehen», so die Quelle. Laut Zeitungsbericht war der Produktionsleiter über diese Schüsse informiert gewesen, ein Mitarbeiter habe ihn per SMS gewarnt.

Die Produktionsfirma verschickte ein Statement, in dem es heisst: «Sicherheit hat höchste Priorität bei Rust Productions. Wir haben keine offiziellen Beschwerden erhalten über den Umgang mit Waffen und Requisiten am Set, werden aber eine interne Untersuchung durchführen, so lange die Dreharbeiten ausgesetzt sind.» Baldwin ist nicht nur Schauspieler, sondern auch Produzent des Independent-Films, der mit einem Etat von sechs Millionen Dollar als Low-Budget-Produktion gilt.

Projektile an US-Drehorten verboten

Aus dem Zeitplan der Produktion, geht hervor, dass sich die Schüsse während der Proben ereignet haben. Es sollte eine Schiesserei in einer Kirche geben, die Figur von Baldwin sollte das Gebäude währenddessen verlassen. Für die Einstellung sollte er die Pistole aus dem Holster ziehen; weitere Quellen bestätigen, dass jemand «Cold Gun» gerufen habe. Beim zweiten Versuch habe sich ein Schuss gelöst, der Hutchins' Brust durchbohrte und dann Regisseur Souza traf, der direkt hinter ihr kniete. Souza wurde verletzt, mittlerweile aber aus dem Krankenhaus entlassen.

«Es gibt heutzutage keinen Grund mehr, Platzpatronen zu verwenden – man kann alles in der Post-Produktion einfügen. Wem die Finanzierung fehlt, einen Film sicher zu drehen, sollte ihn gar nicht drehen.»

Rachel Morrison, erste für einen Oscar nominierte Kamerafrau

Die Sicherheitsmassnahmen seien überaus streng, wenn Waffen an Filmsets benutzt werden, erklärte ein Mitglied der Filmarbeiter-Gewerkschaft International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE), gewöhnlich hat ausser dem «Weapons Masters» niemand Zugang zu Pistolen; es gibt strenge Kontrollen und Sicherheitsabstände (sechs Meter auch bei Platzpatronen). Es gab allerdings auch Missverständnisse über den Hergang des Unfalls, weil die IATSE-Kammer Local 44 in einer Email an Mitglieder von einer «live round» sprach – was zunächst nach «Projektil» klang, jedoch auch Platzpatronen sein können. Projektile sind an US-Drehorten verboten.

Der Schuss aus seiner Waffe durchbohrte Hutchins’ Brust: Alec Baldwin nach der Vernehmung durch die Polizei. (21. Oktober 2021) 

Streit um Lohnerhöhung und längere Pausen

Die grössere Frage, die der Fall natürlich aufwirft, ist die Frage nach schlechten Arbeitsbedingungen an Filmsets. Womöglich steht er stellvertretend für grössere Missstände in der Branche. Erst in der vergangenen Woche war ein Streik der IATSE-Mitglieder abgewendet worden. Das sind jene Leute, die in Hollywood nur «Below-the-Line-Workers» genannt werden: Maskenbildner, Kostümdesigner, Dekorateure, Techniker – symbolisch dafür, wie wenig glamourös diese Jobs sind, war die Debatte über die Straffung der Oscar-Verleihung. Ein Vorschlag war, man könne die Academy Awards für die Below-the-Line-Workers – also in den Kategorien wie «Production Design» oder «Makeup and Hairstyling» – doch in den Werbepausen vergeben.

Es ging bei diesem monatelangen Streit zwischen Produzenten und Gewerkschaft wahrlich nicht um viel. Die Einigung, über die die Mitglieder noch abstimmen werden, sieht eine Gehaltssteigerung von drei Prozent pro Jahr vor sowie längere Pausen zwischen den Drehtagen, die schon mal 20 Stunden dauern können. IATSE setzt sich zusammen aus regionalen Kammern, allein in Hollywood gibt es 13 mit mehr als 40’000 Arbeitern; Hutchins etwa war Mitglied von Local 600. In einem Instagram-Eintrag vergangene Woche unterstützte sie deren Forderungen. Aus ihrem Umfeld heisst es, dass sie bei einem Streik am Montag ihre Arbeit niedergelegt hätte.

Weiterhin unklar ist, mit welcher Munition die Waffe geladen war, und warum sie diese tödliche Wirkung entfalten konnte: Ein aufgelöster Alec Baldwin nach der Vernehmung. (21. Oktober 2021)

Es ist durchaus möglich, dass dieser Fall nun für weitreichende Veränderungen in der Branche sorgen wird. «Es gibt heutzutage keinen Grund mehr, Platzpatronen zu verwenden – man kann alles in der Post-Produktion einfügen», schreibt etwa Rachel Morrison auf Instagram. Sie ist die erste Kamerafrau, die für einen Oscar nominiert wurde (2017 für «Mudbound»): «Wem die Finanzierung fehlt, einen Film sicher zu drehen, sollte ihn gar nicht drehen.» Andere wie etwa Kevin Williams, an der Film-Fakultät der Elite-Uni UCLA zuständig für Requisiten, finden die bestehenden Regeln ausreichend, wenn sie denn strikt eingehalten würden: «Es würde nicht schaden, die Leute stärker aus- und fortzubilden.»