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Frühförderung bei Legehennen
Rauf auf die Hühnertreppe

In der 700 Quadratmeter grossen Halle des Versuchsstalls in Zollikofen BE picken und scharren 4500 Legehennen in 20 Volierenabteilen.
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Staub klebt an den Gittern, Rohren und Kabeln. Diffus strahlt das Tageslicht von den oberen Fenstern des Gangs auf die 20 Versuchsabteile. Im ganzen Stall wuseln 4500 Legehennen umher, legen fast jeden Tag ein Ei. Ein stetiges Gegacker erfüllt die Halle auf dem Gelände des Aviforums in Zollikofen, dem Kompetenz-Zentrum der Schweizer Geflügelwirtschaft. In den Volieren wird gefressen und getrunken, gescharrt und gepickt, herumgeflattert und -gelaufen, manchmal auch noch gestritten.

Was einem heillosen Durcheinander gleicht, hat aber auch etwas Geordnetes. «Die Hühner haben grösstenteils einen strukturierten Tagesablauf», sagt die Biologin Sabine Gebhardt vom Zentrum für tiergerechte Haltung für Geflügel und Kaninchen der Universität Bern, die in Zollikofen forscht. So suchen die Legehennen stets zwischen 3 und 6 Uhr morgens die geschützten Nester auf, wo sie ihre Eier hinter kleinen, roten Plastikvorhängen versteckt legen können. «Sie haben dort etwas Privatsphäre», ergänzt Gebhardt.

In den Silos sind verschiedene Futterarten, die etwa unterschiedliche Zusätze an Mineralstoffen oder Vitaminen enthalten.

2019 wurden in der Schweiz rund 1 Milliarde Eier produziert. Für eine so grosse Menge benötigt es optimale Bedingungen, sagt Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Vetsuisse der Uni Bern. Doch die moderne Geflügelzucht und -haltung bringe die Tiere an ihre physiologischen Grenzen. So seien Zehen- und Federpicken, Erdrücken und Kannibalismus nur einige der Folgen, die bei einer nicht optimalen Geflügelhaltung auftreten können.

Um solche negativen Auswirkungen zu unterbinden, setzt sich Würbel dafür ein, die Haltungsbedingungen weiter zu optimieren. Allerdings weiss er nur zu gut, dass solche Vorschläge in dem hart umkämpften Markt nicht ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Aspekte umsetzbar sind. Dennoch: «Auch die Produzenten und Konsumenten haben daran ein grosses Interesse», sagt Ruedi Zweifel, Direktor der Stiftung Aviforum. Schliesslich produzierten gesunde Legehennen auch gesunde Eier.

Die Einstreu ist im hinteren Bereich beleuchtet, damit die Hennen ihre Eier nicht irgendwo legen, sondern in die vorgesehenen Nester.

Auf den ersten Blick sehen die Legehennen der Zuchthybride «Lohmann Selected Leghorn» alle gleich aus: weisse Federn, neugierige Knopfaugen, rötliche Kämme. Doch der Eindruck täuscht. Einige Hühner haben bunt gefärbte Markierungen auf dem Gefieder. «Dies sind unsere Fokustiere, deren Aktivität wir mehrere Monate für die Untersuchungen verfolgen», sagt Gebhardt. Sie tragen kleine Sender auf dem Rücken oder werden mithilfe von Videokameras überwacht.

Einige Hennen hocken gern und lang oben auf einer Sitzstange, während andere lieber ewig unten in der Streu picken. «Es gibt die Couch-Potatoes und die Hyperaktiven», sagt Gebhardt. «Hühner sind halt auch nicht viel anders als Menschen.» Wenn im Stall am Abend gegen 17 Uhr die Jalousien heruntergingen und das Licht ausgeschaltet werde, sei sofort Ruhe im Stall. Um zwei Uhr beginne der Arbeitstag für die Hennen wieder von vorn.

Warum sich Legehennen jedoch am Tag individuell so unterschiedlich verhalten, ist bisher erst wenig erforscht. Deshalb untersucht eines der Teams an der Uni Bern, ob vielleicht der Stress beim Transport der eintägigen Küken eine Auswirkung auf die spätere Entwicklung und den Charakter der Tiere hat. Dafür vergleichen sie Hühner, welche konventionell als eintägige Küken aus der Brüterei mit einem Lastwagen angeliefert werden mit solchen, die direkt im Stall geschlüpft sind.

Förderprogramm für Küken

Der Forscher Alex Johny bringt den Küken bei, wie sie eine Rampe im Stall benutzen können, um später weniger Knochenbrüche zu erleiden.

Unweit des Versuchsstalls für Legehennen befindet sich das 2018 entstandene Gebäude für die Kükenaufzucht. Ein kurzes Klopfen an der Stalltür kündigt ihnen nun Besuch an. «Ich will sie nicht erschrecken», sagt Alex Johny. Der Doktorand untersucht insgesamt 350 Versuchsküken während ihrer ersten Lebenswochen auf ihre kognitiven Fähigkeiten sowie ihr Wohlbefinden. Zudem denkt sich Johny nützliche Massnahmen für eine geeignete Frühförderung aus, damit sie sich später im Legehennenstall schneller und unfallfreier zurechtfinden.

Ausgefüllt ist der fensterlose Raum der Kükenschule fast vollständig mit mehreren, über zwei Meter hohen Gehegen, die zuunterst einen mit Sägemehl eingestreuten Bereich sowie zwei Ebenen aus perforiertem Plastik und Sitzstangen enthalten. Minirampen aus Metallgitter verbinden die unterschiedlichen Aufenthaltsbereiche. Die inzwischen schon sechs Wochen alten Jungtiere piepsen munter vor sich hin und nähern sich neugierig.

Johny bringt ihnen mit ein paar Tricks bei, schon von klein auf die praktischen Hühnertreppen zu benutzen, die sie später dann in modernen Legehennenställen vorfinden werden. In der Natur würde die Glucke den Kleinen alles Wichtige zeigen. Wo sie Futter finden oder Gefahren lauern. Wie sie erhöhte Schlafplätze auf Bäumen erreichen. Doch in der landwirtschaftlichen Geflügelhaltung sehen die Küken ihre Mütter nie.

Attrappe ersetzt Glucke

Weil die Küken ohne fürsorgliche Mutter aufwachsen, soll eine sich bewegende Hühnerattrappe ihnen nun den Weg zeigen.

Deshalb benutzen die Forscher unterschiedliche Attrappen, um ein Muttertier zu simulieren. Für einen Teil der Küken ist der Ersatz der Henne eine schwarze Plastikbox mit einem beweglichen Hebel, an dem ein orange gefärbtes Dreieck aus Holz befestigt ist. Dieses täuscht den Schnabel der Henne vor. Klopfbewegungen und -geräusche ermuntern die Küken ab ihrem vierten Lebenstag, eine Rampe zu benutzen.

Auch im benachbarten Gehege, wo sich als Attrappe ein Bild einer braunen Henne befindet, haben die Jungtiere ihre Lektion gelernt. Ziel der Studie ist es, eine wirkungsvolle, aber kostengünstige Methode für die Praxis zu finden. Denn in der Geflügelhaltung muss ökonomisch gearbeitet werden.

«Nichts ist zufällig angeordnet» sagt Biologin Gebhardt. Jede serienmässig eingesetzte Stalleinrichtung werde zunächst durch den Bund geprüft. So war das auch, als eine Doktorandin vor ein paar Jahren die positive Auswirkung von Rampen in der Legehennen-Haltung feststellte. Diese erleichtern es den Tieren, die gesamte Höhe der Volieren zu nutzen. Gleichzeitig verhindern sie gefährliche Stürze und schmerzhafte Brüche des Brustbeins. Deshalb sollen die Hühnertreppen jetzt schon bei den Küken eingeführt werden.

In diesem Labor werden einige der Hühner untersucht und nach dem Tod seziert.

Denn bis zu 80 Prozent der Schweizer Legehennen zeigen Veränderungen am Brustbein, die durch Knochenbrüche entstanden sind. «Diese beeinträchtigen das Wohlergehen der Tiere», sagt Gebhardt. Oftmals erkenne man erst bei der Schlachtung, dass es an dem Knochen sogar mehrere Brüche gegeben habe.

Verantwortlich dafür ist auch die hohe Eiproduktion. Die hier gehaltenen Legehennen sind so gezüchtet, dass sie pro Jahr 300 bis 330 Eier legen. Durch den hohen Verbrauch an Kalzium für die Herstellung der Kalkschale sind die Knochen der Legehennen nicht mehr so hart – genauso wie bei Menschen mit Osteoporose.

Es gibt zwar eine Legehennen-Zuchtlinie, die fast keine Brustbeinveränderungen aufweist. «Doch diese Tiere sind aus Sicht der Halter nicht wirtschaftlich, weil sie zu viel fressen», sagt Gebhardt. Bedauerlich sei, dass die Schweizer Bevölkerung nicht bereit sei, die höheren Kosten zu tragen.

«In der Praxis werden Kollateralschäden akzeptiert», sagt auch Hanno Würbel. Eine tatsächlich tiergerechte Haltung sei nur in der Nischenproduktion möglich und leider nicht marktfähig. Deshalb erfinden die Forschenden in Zollikofen nun Stallanpassungen, die den Tieren das Leben in der kostenoptimierten Produktion erleichtern sollen.

Darum müssen auch die Küken am Aviforum erst in die Schule gehen, bevor sie ihr Leben als Legehennen beginnen können. Wie sich solche Kognitions- und Verhaltenstest auf die Gehirnbildung auswirken, wird über die ganze Lebensspanne der Hennen erforscht. «Dies ist ein noch nie dagewesener Einblick in die Entwicklung der Hühner», freut sich Gebhardt.

Schutz vor Krankheitserregern

Plötzlich ist Aufregung in der 700 Quadratmeter grossen Halle der Legehennen. Das Knattern von laufenden Spiralen ertönt und das Gackern wird geradezu vom neu aufkommenden Lärm verschluckt. Denn das grobgemahlene Mischfutter auf Sojabasis rattert jetzt ein paar Minuten durch Rohre - direkt zu den Hühnern in die erste und dritte Etage der Futtertröge. Die Hennen scheinen dieses Ritual nur zu gut zu kennen und reihen sich nebeneinander.

Beim Verlassen der Halle nimmt Sabine Gebhardt ihre Kopfbedeckung ab, entfernt den Überzug der Schuhe und zieht den Schutzanzug aus. Denn im Stall herrschen strenge Hygienevorschriften, damit der Mensch nicht aus Versehen Krankheitserreger einschleppt. Dennoch ist die Halle der Legehennen nicht blitzblank geputzt und Staub klebt überall. «Das kommt vor allem von der Einstreu», sagt die Forscherin. Denn dort könnten die Hühner ausgiebig Staubbaden, was für sie wichtig sei – ähnlich wie das Duschen für uns.