Unerkannt in BerlinRAF-Terroristin Klette tanzte Capoeira und postete auf Facebook
Über 30 Jahre lang suchte die deutsche Polizei nach Daniela Klette. Dabei lebte sie wohl unerkannt ein normales Leben in Berlin.
Vor dem Mietshaus in Berlin-Kreuzberg stehen uniformierte Polizisten. Der Eingang des siebengeschossigen Gebäudes in der Sebastianstrasse nahe der früheren Grenze zwischen West- und Ostberlin ist gesperrt. Kriminaltechniker sind vor Ort. Polizisten tragen grössere Kisten ins Haus, offensichtlich um Gegenstände abzutransportieren. Am Montagabend ist hier nach mehr als 30 Jahren Fahndung die frühere Terroristin der Rote-Armee-Fraktion (RAF), Daniela Klette, gefasst worden. Die 65-Jährige sitzt wegen mehrerer Raubtaten in Untersuchungshaft.
Die als Terroristin gesuchte Klette lebte in der Berliner Wohnung laut dem «Spiegel» unter dem Namen Claudia Ivone. Bei der Durchsuchung fanden die Ermittler den Angaben zufolge unter anderem Magazine einer Waffe und Patronen. Eine Waffe sei bislang nicht gefunden worden.
Um Geld zu verdienen, habe sie privaten Nachhilfeunterricht in Mathematik gegeben, erzählt ein Nachbar mittleren Alters. Klette soll dort im 5. Stock rund 20 Jahre gewohnt haben, ist zu hören. Er habe sich öfter mit ihr unterhalten. Zu Weihnachten habe er Kekse von ihr geschenkt bekommen. Klette habe aber nur eher oberflächliche Kontakte zur Nachbarschaft gepflegt.
«Sie hat immer Hallo gesagt und war eigentlich ganz nett», berichtet eine Jugendliche aus der Nachbarschaft. «Ich habe sie immer nur allein gesehen mit ihrem Hund und ihrem Fahrrad.» Vor dem grossen Hund der 65-Jährigen habe sie etwas Angst gehabt. Sie selbst sehe ganz freundlich aus, trage die grauen Haare zum Zopf gebunden. Klette sei nie in Begleitung gewesen, schildern mehrere Anwohner.
Erstaunlich ist: Obschon Klette über 30 Jahre lang eine der meistgesuchten Personen Deutschlands war, zeigen neuere Fotos auf ihrem unter falschem Namen geführten Facebook-Profil, dass sie sich nicht einer gesichtsverändernden Operation unterzogen hat. Klette sei heute noch zu erkennen, wenn man sich ihre Fahndungsbilder vor Augen halte, sagte denn auch Clemens Eimterbäumer, Chef der zuständigen Staatsanwaltschaft Verden laut dem «Spiegel».
Aktiv war Klette offenbar bis circa 2020 in einem brasilianischen Kulturverein in Berlin, in dem der brasilianische Kampftanz Capoeira geübt wurde. Das zeigen Bilder auf ihrem Facebook-Profil, auf dem sie auch Naturaufnahmen postete. Der Podcast «Legion» berichtete bereits im Dezember 2023 über den Verdacht, dass die Person aus dem Capoeira-Verein Klette sein könnte. Den «Legion»-Machern zufolge leitete sie Kurse für Kinder und Jugendliche und war mit dem Verein auch in Brasilien und Paris, ehe sie sich zurückzog – und ihre Spur vermeintlich versandete. Auf das Facebookprofil der Tänzerin gestossen waren die Journalisten dank der Hilfe von Michael Colborne vom Recherchekollektiv Bellingcat. Dieser hatte mit alten Fahndungsbildern und einer Gesichtserkennungssoftware im Internet offenbar einen Treffer gelandet.
Fahnder verstärkten den Druck
Zuletzt hat die Staatsanwaltschaft Verden am 14. Februar Hinweise zu früheren RAF-Terroristen in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen: XY … ungelöst» erbeten. Es gingen mehr als 250 Hinweise ein. Die Festnahme von Klette ging allerdings nicht auf den Fahndungsaufruf in der Sendung zurück. Vielmehr erhielten die Fahnder den entscheidenden Hinweis laut eigenen Angaben schon im November 2023. Dem «Tagesspiegel» zufolge hatten die Behörden zuletzt wieder verstärkt Druck auf die Familien der Gesuchten ausgeübt und Briefe sowie Computer ausgewertet. Zudem hätten die Fahnder intensiv in der autonomen Szene ermittelt. Dort habe aber nach diversen Vorladungen der Tenor vorgeherrscht, die Ermittler tappten komplett im Dunkeln. Ein Trugschluss, wie sich nun gezeigt hat.
Sagt sie nun als Kronzeugin aus?
Der RAF-Experte Butz Peters hofft nach der Festnahme Klettes auf eine weitreichende Aufklärung der Taten der dritten Generation der RAF. Er rechne damit, dass die Ermittler der 65-Jährigen nun «die Kronzeugenregelung schmackhaft machen, sagte Peters, der als Anwalt arbeitet und mehrere Bücher über die RAF geschrieben hat. «Dann muss sie sich entscheiden.»
Klette steht nach DPA-Informationen im Verdacht, an einem Schusswaffenangriff auf die US-Botschaft in Bonn 1991 beteiligt gewesen zu sein. Vermutet wird ausserdem eine Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt (Hessen) 1993. Spuren deuten darauf hin, dass sie auch bei der Anti-Terror-Aktion 1993 in Bad Kleinen am Tatort war. Nach wie vor unklar ist, wer vor mehr als 30 Jahren den letzten RAF-Mordanschlag 1991 auf Treuhand-Chef Detlev Carsten Rohwedder in Düsseldorf verübte.
Klette wird sich nach derzeitigem Stand aber nicht für die Terroranschläge der RAF vor Gericht verantworten müssen. Ihr wird dafür die Beteiligung an sechs Raubüberfällen zur Last gelegt. Die Raubserie startete nach der 1998 erklärten Selbstauflösung der RAF. Dabei ging es um Beschaffungskriminalität für das Leben im Untergrund. Klette und ihre noch immer flüchtigen Mitstreiter Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub sollen die Taten begangen haben, um an Geld zu gelangen. Bislang macht Klette laut Staatsanwalt keine Angaben zur Sache. Die mittels Fingerabdrücken überführte Ex-Terroristin bestreitet aber auch nicht, Daniela Klette zu sein.
DPA/nlu
Fehler gefunden?Jetzt melden.