Psychologen in der Grundversicherung Jetzt geht der Streit um die Kosten der Psychotherapie los
Seit bald zwei Jahren rechnen Psychologinnen und Psychologen über die Grundversicherung ab. Santésuisse publiziert erste Zahlen zu den Kosten – und kritisiert die angeblich massiven Mehrkosten.
Lange haben die Psychologinnen und Psychologen dafür gekämpft, dass sie ihre Therapieleistungen direkt über die Grundversicherung abrechnen dürfen. Seit Mitte 2022 ist dies der Fall, sofern die Therapie von einer Hausärztin oder einem Psychiater angeordnet wird. Knapp sechs Wochen vor der Abstimmung über die Kostenbremse und die Prämieninitiative werden nun erste Zahlen zu den Kosten der von Psychologen geleisteten Psychotherapie publik. Laut dem Kassenverband Santésuisse wurde die vom Bundesrat prognostizierte Kostenzunahme übertroffen.
Gemäss Santésuisse haben die Kosten der abgerechneten Therapien von Psychologen und Psychologinnen innerhalb eines Jahres um 300 Millionen Franken zugenommen, auf 785 Millionen, wie der «Blick» berichtete. Dies entspricht etwa 0,7 Prämienprozent. Der Kassenverband hat die jüngsten Kostendaten von März 2023 bis Februar 2024 ausgewertet. Eingeführt wurde die direkte Abrechnung auf 1. Juli 2022, mit einer Übergangsfrist von einem halben Jahr.
Bundesrat rechnete mit 170 Millionen Mehrkosten
Vor Juli 2022 konnten Psychologinnen und Psychologen nicht selbstständig über die Grundversicherung abrechnen, sondern nur indirekt über ein Anstellungsverhältnis mit einem Psychiater. Die jährlichen Kosten dieser sogenannt delegierten Psychotherapie beliefen sich zuletzt auf 480 Millionen Franken. Der Bundesrat rechnete durch die Zulassung zur Grundversicherung kurzfristig mit Mehrkosten von 100 Millionen Franken, langfristig mit jährlich 170 Millionen mehr.
Mit den von Santésuisse angeführten 300 Millionen wäre dieser Wert also bereits übertroffen. Fast ein Drittel der Zusatzkosten führt der Verband auf die Tariferhöhung zurück, die die Psychologinnen und Psychologen mit dem anderen Kassenverband, Curafutura, ausgehandelt haben. Der Tarif ist zwar erst ein provisorischer, gilt aber vorerst für sämtliche Kassen. Und diese Lohnerhöhung war dem Bundesrat bei seiner Kostenprognose nicht bekannt.
Rund ein Drittel der Mehrkosten führt Santésuisse auf den Systemwechsel selbst zurück: Psychologinnen, die früher über Zusatzversicherungen abgerechnet haben oder deren Therapie durch die Patientinnen selbst bezahlt wurden, rechnen nun über die Grundversicherung ab. Schliesslich geht Santésuisse davon aus, dass die Kostenübernahme durch die Grundversicherung zu einer Zunahme der Therapien geführt hat.
Die Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) hält die Kritik von Santésuisse für unberechtigt und sieht das neue Anordnungsmodell auf Kurs. Erst Ganzjahresvergleiche könnten aussagekräftige Informationen dazu liefern, wie sich der Modellwechsel auf die Kosten auswirke. Diese hätten im ersten Jahr, also von 1. Juli 2022 bis Ende Juni 2023, im Vergleich zum Vorjahr um rund 150 Millionen zugenommen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass die Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen seit Jahren steige und dieser Trend anhalte. Zudem seien früher von Zusatzversicherungen übernommene Kosten nun in die Grundversicherung verschoben worden. So entspreche die Kostensteigerung in der Grundversicherung etwa den 100 Millionen des Bundesrates, sagt FSP-Sprecher Florian Näf.
Die FSP sei an einem korrekten Kostenmonitoring interessiert. Näf verweist darauf, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) einen solchen Bericht erstellt, der laut BAG demnächst veröffentlicht wird.
6000 Psychologinnen rechnen über Grundversicherung ab
Seit Einführung des Anordnungsmodells haben laut FSP 5500 Psychologinnen und Psychologen eine Abrechnungsnummer für die Grundversicherung erhalten. Dazu kommen rund 500 Organisationen, die in der Regel mehrere Therapeuten beschäftigen und ebenfalls über die Grundversicherung abrechnen können. Bei den insgesamt 6000 zur Abrechnung Berechtigten handelt es sich jedoch nicht um 6000 «neue Psychologen», wie der «Blick» diese Woche schrieb. Die meisten haben bereits vor dem Anordnungsmodell entweder zulasten der Grund- oder einer Zusatzversicherung abgerechnet oder wurden von den Patienten direkt bezahlt.
Ziel des Anordnungsmodells ist es, mehr Therapieplätze verfügbar zu machen. Nach wie vor gibt es laut FSP jedoch einen Mangel. Dieser betreffe vor allem Kinder und Jugendliche. Diese müssten oft monatelang warten. Dabei dürften nicht nur die direkten Mehrkosten betrachtet werden. Mit der frühzeitigen Behandlung psychischer Störungen würden Klinikaufenthalte, Krankheitsabsenzen am Arbeitsplatz oder gar Rentenkosten für die Invalidenversicherung verhindert.
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