Kolumne «Miniaturen des Alltags»Psychologieseminar auf dem Tennisplatz
Wer jegliche Art von menschlichen Emotionen erleben will, der besuche einen Tennisclub. Das hat Redaktor Nicola Ryser kürzlich festgestellt.
Tennis ist oft kein Balsam für die Seele. Das ist meine These. Natürlich mag es äusserlich betrachtet ein anmutiger, vielseitiger Sport sein. Doch bewegt sich dieser auf einem schmalen Grat zwischen purer Glückseligkeit und reinem Frust.
Am Wochenende wurde mir dies wieder bewusst. Als nämlich alle sechs Aussencourts des Tennisclubs Stäfa besetzt waren, verkam die Atmosphäre zu einem Konglomerat an Emotionen und Geräuschen. Ich habe für einmal zugehört – und dadurch ein empirisches Seminar für Sportpsychologie simuliert. Meine Erkenntnisse: Es gibt drei Gemütszustände.
Da haben wir erstens den positiven Zustand, begleitet von Euphorie und Freude. Der äusserte sich beispielsweise auf Platz sechs, als ein Spieler den Ball präzise in die Ecken zirkelte und dabei ein lautes «Wuhu!» ausstiess. Oder als die Dame von Court zwei gerade den verwerteten Breakball mit einem «Yes!» kommentierte.
Es gibt aber auch den neutralen Zustand, ein Potpourri aus Nervosität, Unsicherheit und einer Prise Optimismus, ausgelöst durch eine Situation, die auf beide Seiten kippen kann. Symbolisch: ein zögerliches «Chum scho» vom Spieler auf Platz fünf nach dessen drittem Rahmenball, ein genervtes «Konzentrier dich» auf Platz zwei nach einem weiteren Doppelfehler.
Und dann geht es noch schlimmer. Nämlich, wenn gar nichts mehr läuft, wenn jeder Ball das gewünschte Ziel verfehlt, die Verzweiflung Oberhand gewinnt: der negative Zustand. Der innere Vulkan bricht aus, die Ausdrücke landen teils in der Vulgarität, die Tennisschläger am Boden. Und ja, auch solche Töne gab es am Wochenende.
Interessant ist jedoch, dass der Zustand innert Sekunden wechseln kann. Psychologisch gesehen könnte man fast von einer Art Bipolarität sprechen. Vielmehr ist es aber einfach Tennis. Anmutig. Vielseitig. Und wohl tatsächlich nicht immer Balsam für die Seele.
Fehler gefunden?Jetzt melden.