Prozess vor Berner ObergerichtViviane Obenauf muss für 18 Jahre ins Gefängnis
Der Boxweltmeisterin und ihrem Anwalt ist es nicht geglückt, das dreiköpfige Richtergremium von der Unschuld der Beschuldigten zu überzeugen.
Die Unschuldsbeteuerungen der Boxweltmeisterin Viviane Obenauf haben das Berner Obergericht nicht überzeugt. Am Freitag bestätigte die 1. Strafkammer den Schuldspruch der Vorinstanz und verurteilte die Brasilianerin wegen Mordes zu 18 Jahren Haft und 14 Jahren Landesverweis. Der Anwalt der 37-Jährigen hatte einen vollumfänglichen Freispruch gefordert, während die Generalstaatsanwältin für eine Strafe von 18½ Jahren plädiert hatte.
Im Dezember 2022 hatte das Regionalgericht Oberland in Thun die Sportlerin und Mutter eines heute 13-jährigen Sohnes zu 16 Jahren Gefängnis sowie 12 Jahren Landesverweis verurteilt. Der Gang vor das Berner Obergericht hat also für die Beschuldigte mit einer Strafverschärfung geendet.
Obenauf, die vor ihrer Verhaftung am Brienzersee im Berner Oberland gelebt hatte, nahm das Urteil regungslos zur Kenntnis.
Das Berner Obergericht sieht es als erwiesen an, dass Viviane Obenauf am 18. Oktober 2020 ihren Ehemann Martin F. (Name geändert) in dessen Wohnung in Interlaken mit einem Baseballschläger erschlagen hat. Das Ehepaar lebte damals getrennt. Obenauf ist laut Urteil in ihrem Auto von Oberried nach Interlaken gefahren, um den Mord am Pächter des Restaurants Des Alpes zu begehen. Danach kehrte sie in ihre Wohnung zurück, wo sie ihren damals neunjährigen Sohn schlafend zurückgelassen hatte.
Das Obergericht hat die Boxweltmeisterin aufgrund einer Vielzahl von Indizien verurteilt, welche die Generalstaatsanwältin in ihrem Plädoyer am vergangenen Montag als «erdrückend» bezeichnet hatte. Es gebe keinen Zweifel, dass Viviane Obenauf schuldig sei. Die Anklage warf der Brasilianerin vor, mit einer geradezu enthemmten Gewalttätigkeit vorgegangen zu sein. Das 61-jährige Opfer ist mit 19 Schlägen gegen Kopf und Gesicht und mit weiteren gegen den Rumpf schwer verletzt worden und nach einem wahrscheinlich mehrminütigen Todeskampf qualvoll gestorben.
Am Morgen nach der Tat war es Obenauf, die als Erste die Wohnung betrat. Als schockierend bezeichneten es die Staatsanwältin und nun auch das Obergericht, dass sie ihren Sohn mitgenommen und ihm den Anblick des blutüberströmten Stiefvaters zugemutet hat.
Die Blutspritzer auf den Schuhen
Ein wichtiges Indiz für Obenaufs Schuld ist der Umstand, dass ihre Schuhe mikroskopisch kleine Blutspritzer aufwiesen, die dem Opfer zugeordnet werden konnten. Die Verteidigung hatte andere Möglichkeiten erwähnt, wie die Spritzer auf Obenaufs Schuhe gelangt sein könnten. Etwa, als sie den Leichnam am Morgen des 19. Oktober vorfand. Aus forensischen Gründen ist diese Erklärung laut dem Obergericht allerdings nicht stichhaltig. Was zusätzlich für die Schuld der Brasilianerin spreche, sei, dass eine Jacke, die Obenauf während der Tat mutmasslicherweise getragen habe, Blutspuren des Opfers sowie eine DNA-Spur der Beschuldigten aufgewiesen habe.
Auch Spuren im Schlafzimmer von Martin F. weisen laut dem Berner Obergericht auf Obenaufs Täterschaft hin. So sei das Handy des Opfers, das sich dort befunden habe, vom Ladegerät getrennt und zerstört worden. Eine Dritttäterschaft hätte dazu keinen Grund gehabt, im Unterschied zur Beschuldigten, die aufgrund von Nachrichten, die sie auf dem Handy gelesen und womöglich als Beleg für die belastete Beziehung empfunden habe, wütend gewesen sei.
Obenaufs Verteidiger hatte am Montag auf einen Umstand hingewiesen, der im Urteil der Vorinstanz nicht erwähnt wird: Obenaufs Sohn habe am Abend der Tat den Film «Harry Potter 5» geschaut und sei danach ins Bett gegangen – zu einem Zeitpunkt, als sich seine Mutter noch in der Wohnung aufgehalten habe. Der Film dauere nachweislich sehr lange, sodass sich die Ereignisse rein zeitlich gar nicht abgespielt haben könnten, wie es die Anklage behaupte. Um die Tat in Interlaken zu begehen und danach in ihre Wohnung zurückzukehren, hätte Obenauf laut Verteidigung schlicht die Zeit nicht gereicht.
Laut Obergericht gibt es indessen zahlreiche Indizien, wonach Obenauf die Wohnung verlassen habe. Und versuchte, sich ein Alibi zu verschaffen, indem sie auf ihrem iPad einen Film streamte – über dessen Inhalt sie danach kaum etwas wusste. Entgegen den Ausführungen der Verteidigung stimmen die Indizien gemäss Obergericht auch zeitlich nahtlos zusammen.
Ausserdem versuchte der Verteidiger, die Zeugenaussage eines Automechanikers zu entkräften, der das Auto der Beschuldigten, einen Cadillac SRX, in der Tatnacht bei der Fahrt durch einen Kreisel gesehen haben will. Begleitet war er von einem Kollegen und einer Kollegin. Die Aussagen dieses Zeugen sind in den Augen des Verteidigers im Verlauf der Ermittlungen immer detailreicher geworden – wahrscheinlich unter dem Einfluss von Medienberichten. Ausserdem hätten sie sich teilweise widersprochen. Obenaufs Anwalt wies ferner darauf hin, dass seine Mandantin selbst darum gebeten habe, den Bordcomputer des Fahrzeugs auszuwerten. «Als Täterin hätte sie das sicher nicht gefordert.» Das Ansinnen scheiterte allerdings daran, dass bei einem Fahrzeug mit Fabrikationsjahr 2006 derartige Auswertungen nicht möglich sind.
Das Obergericht hingegen schätzt die Aussagen des Automechanikers als «überaus glaubhaft» ein. Daran würden auch die geringfügigen Unstimmigkeiten in der Schilderung der drei Personen nichts ändern, die sich in der Tatnacht in der Nähe des Kreisels aufhielten. Die Vermutung der Verteidigung, es könnte sich um eine bewusste Falschaussage handeln, wies der Gerichtspräsident als nicht überzeugend zurück. Eine vorgängige Streitigkeit zwischen der Beschuldigten und der Werkstatt, für die der Zeuge arbeite, sei kein plausibles Motiv, um jemandem einen Mord anzuhängen. Zumal der Mechaniker nicht behauptet hatte, Viviane Obenauf am Steuer gesehen zu haben.
Was Obenaufs Verteidiger nicht überzeugend darzulegen vermochte, war, wie ein anderer Täter oder eine andere Täterin in die Wohnung gelangt sein könnte. Einbruchsspuren waren weder an der Wohnungs- noch an der Balkontür festzustellen. Die Balkontür stand am Morgen nach der Tat zwar offen. Dass ein hypothetischer anderer Täter in der Hoffnung auf den Balkon geklettert sei, das Opfer habe in einer kalten Oktobernacht versehentlich die Balkontür offen gelassen, hatte die Staatsanwältin bei ihrem Plädoyer am Montag in den Bereich des «rein Theoretischen» verwiesen. Der Gerichtspräsident betonte in seiner Urteilsbegründung, es deute nichts darauf hin, dass die Balkontür den ganzen Nachmittag über offen gestanden habe. Dafür sei die Wohnung am Morgen nicht genug «ausgekühlt» gewesen. Vielmehr habe Obenauf die Türe nach der Tat geöffnet, um einen Einbruch vorzutäuschen.
Obenaufs Verteidiger sprach ferner von der Möglichkeit, dass es weitere Schlüssel zur Wohnung geben könnte. Auch dies wies die Staatsanwaltschaft zurück. Einzig Obenauf habe einen Zweitschlüssel gehabt. Das Obergericht schloss sich dieser Einschätzung an, weil bei der Hausverwaltung keine zusätzlichen Schlüssel registriert gewesen seien.
Als weiteres Indiz gegen Obenauf wertete das Obergericht die Tatwaffe – einen Baseballschläger, der sich in der Wohnung des Opfers befand. Eine Dritttäterschaft hätte eine eigene Waffe mitgenommen und sich nicht darauf verlassen, am Tatort selbst eine Mordwaffe vorzufinden. Das Argument der Verteidigung, wonach Obenauf wegen einer Schulterverletzung gar nicht fähig gewesen wäre, eine derartige Gewalttat auszuführen, wies der Gerichtspräsident zurück. Die Verletzung sei nicht so schlimm gewesen, um die Bewegungen, die zur Tat nötig gewesen seien, zu verhindern.
Alles deutet auf ein Beziehungsdelikt hin
Was die Staatsanwältin ferner als starkes Indiz gegen die Boxweltmeisterin gewertet hatte, war der Umstand, dass die Täterschaft viel öfter und viel heftiger auf Martin F. eingeschlagen hatte, als es zu dessen Tötung nötig gewesen wäre. Dieses in der Sprache der Justiz als «Übertötung» bezeichnete Vorgehen sei für Beziehungsdelikte typisch. Als mögliches Motiv für die Tat nannte die Anklägerin Obenaufs Enttäuschung, dass ihr Mann kein Kind mit ihr wollte. Ausserdem habe sie sich von ihm auch sonst zurückgesetzt, ignoriert und in ihrem Stolz verletzt gefühlt. Das Obergericht bekräftigte diese Argumentation. Es gebe mehrere Indizien, wonach die Ehe zerrüttet gewesen sei.
Die Art, wie die Tat begangen wurde, deute auf eine starke emotionale Beziehung zwischen Täterschaft und Opfer hin. Dies spricht laut Obergericht klar gegen die Hypothese, wonach jemand anders den Pächter des Des Alpes ermordet hat. Insgesamt gebe es auch sonst keinerlei Hinweise auf eine Dritttäterschaft. Was genau die hasserfüllte Reaktion Obenaufs provoziert habe, lasse sich zwar nicht wirklich nachvollziehen, das Motiv bleibe teilweise im Dunkeln.
Das Obergericht wertet die Tat als besonders grausam und skrupellos, was eine Erhöhung der Haftstrafe auf 18 Jahre rechtfertige.
Schon vor dem Verdikt des Berner Obergerichts hatte Obenauf angekündigt, im Fall einer Verurteilung weiterkämpfen zu wollen. Der Boxweltmeisterin steht noch der Gang vor das Bundesgericht offen. Ihr Anwalt kündigte nach dem Verdikt des Obergerichts an, über einen Weiterzug an die höchste Instanz zu entscheiden, wenn das schriftliche Urteil vorliege. Dies könne Wochen oder sogar Monate dauern. Es sei indessen wahrscheinlich, dass sich auch das Bundesgericht mit dem Fall befassen werde.
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