Heute vor 70 JahrenPropagandaschlacht zwischen Drogerien und Apotheken
Reisserische Sujets und schwere Vorwürfe an den politischen Gegner sind im Abstimmungskampf heute gang und gäbe. Das hat Geschichte, wie ein Blick ins Archiv zeigt.
Ähnlich wie viele Landwirte ihre Existenz von den Agrarinitiativen bedroht sahen, zitterten vor 70 Jahren die Zürcher Apothekerinnen und Apotheker vor einer Initiative, die eine Änderung des Medizinalgesetzes erreichen wollte. Konkret sollte mit der Initiative eine gesetzliche Grundlage für die Arbeit von Drogistinnen und Drogisten geschaffen werden. Bis dahin war es ihnen juristisch weder gestattet noch verboten, Heilmittel zu verkaufen.
Für die Apothekerinnen und Apotheker dieser Zeit scheint jene Initiative ein bevorstehender Weltuntergang gewesen zu sein, wenn man Zeitungsinserate betrachtet, die für ein Nein warben. Das Volk werde vergiftet, wenn die ungebildeten Drogistinnen und Drogisten Medikamente abgeben dürfen, deren Wirkung und Zusammensetzung sie nicht genau kennen, so steht es unter einem Totenkopf.
Der Konter der Drogerien liess nicht lange auf sich warten. Die Apothekerinnen und Apotheker, die früher viele Medikamente selber herstellten, würden heutzutage sowieso nur noch Medikamente verkaufen, die von grossen Pharmakonzernen en masse und darum viel günstiger hergestellt werden. So rechnen die Zürcher Drogisten vor, dass ein Liter Milch beim Apotheker sage und schreibe 49.50 Franken kosten würde, inflationsbereinigt sind das heute ungefähr 220 Franken. Einen Tag später werden die Drogisten prompt von den Apothekerinnen und Apothekern zurechtgewiesen, weil die Drogisten die Mengen einiger Vitamine millionenfach zu hoch angegeben hätten – für das Apotheker-Komitee ein weiterer Beweis der Unfähigkeit von Drogistinnen und Drogisten. Diese Richtigstellung ist den Apothekerinnen und Apothekern dann auch gleich ein Inserat über eine halbe Seite wert. Davon unbeirrt rechnen die Drogisten gleich auch noch vor, dass der Selbstkostenpreis für Augenwasser, dass der Apotheker für 3.20 Franken verkauft, bloss 48 Rappen beträgt.
Die Apotheken warnen währenddessen das Volk vor einer Schar von Beamten, die benötigt würden, um den Drogistinnen und Drogisten bei der Ausführung ihrer Befugnisse auf die Finger zu schauen. Auch warnen sie vor einem Anstieg der Steuern und übermässiger Heilmittelreklame, die eine Annahme der Initiative zur Folge haben würde.
Gewonnen haben schlussendlich die Drogerien, das Zürcher Stimmvolk nahm die Initiative mit 67 Prozent Ja-Stimmen an. Mit einem Inserat dankten sie am 9. Juli 1951 der Zürcher Stimmbevölkerung für ihre Entscheidung. Gefreut haben dürfte diese Inserateschlacht auch die beiden «Zürichsee-Zeitungen»: Vom ersten bis zum zehnten Juni erschienen in den Lokalblättern 29 Ja- und 30 Nein-Inserate zur Initiative.
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