Wahl der Woche (57)Pool oder Meer?
Unsere Autorin und unser Autor streiten sich über den richtigen Ort zum Schwimmen.
Liebe Leserinnen und Leser, in der Kolumne «Wahl der Woche» streiten sich unsere Redaktorin Simona Pfister und unser Redaktor Sven Behrisch jede Woche über die kleinen und grossen Dinge des Alltags. Letztes Mal um Fisch oder Vogel, heute um Schwimmorte.
Sven Behrisch: Vernünftig schwimmen kann man nur im Pool
Unter den Fortbewegungsarten, die uns Menschen zur Verfügung stehen, ist jene, die uns im Wasser weiterbringt, die am wenigsten ausgeprägte. Während wir das Gehen, das Rennen und das Rollen perfektioniert haben, hinkt das Schwimmen hinterher. Das zeigt sich schon am schlampigen Gebrauch des Verbs «schwimmen». Denn all die Rückenpaddler, Freizeitbader und Strandtuchposer, die «schwimmen» gehen, schwimmen nicht, sie planschen. Schwimmen ist eine zielgerichtete Fortbewegung, aber nicht das richtungslose Gepaddel, das die Planscher regelmässig vor die Schwimmer und diese in den Wahnsinn treibt. Vernünftig schwimmen, weil von den Badenden separiert, kann man daher nur in einem Pool mit abgetrennten Bahnen. Im Meer dagegen ist man nicht nur den Wellen, dem Salzwasser und manchmal auch den Haien ausgesetzt, sondern, viel schlimmer noch, den Querkraulern, Herumspritzern und flottierenden menschlichen Seebullen. Neben ihnen kann man nicht schwimmen, nur untergehen.
Simona Pfister: Nichts ist realer als Schwimmen im Meer
Der Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard meinte bereits vor über vierzig Jahren, die postmoderne Gesellschaft sei durch sogenannte Simulakren bestimmt, Simulationen von Simulationen, die sich im Zeichengewitter der Massenmedien nicht mehr von der Realität unterscheiden liessen, ja diese gewissermassen auflösten. Das ist ziemlich prophetisch, finde ich, denn damals gab es noch lange kein Internet, keine Social Media, keine KI. Pools allerdings schon. Und mich beschleicht das Gefühl, dass Baudrillard mit seiner Theorie vor allem darauf abzielte.
Denn nichts ist realer als Schwimmen im Meer, das Aufgehen in der endlosen Weite des Weltwassers, es ist quasi das Ur-Schwimmen, das wahre Schwimmen in dem Wasser an sich. Selbst Schwimmen im See ist nur ein Abklatsch davon. Schwimmen in Pools ist dann eben die nächste Stufe, die künstliche Imitation der natürlichen Imitation (Schwimmen im See) der wahren Realität (Schwimmen im Meer). Wenn also jetzt jemand behauptet, wirklich schwimmen könne man nur im Pool, dann ist das ein eindeutiges Zeichen, dass er den Simulakren zum Opfer gefallen ist und jeden Bezug zur Realität verloren hat.
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