Proteste erreichen Floyd-ProzessPolizistin erschiesst Afroamerikaner – Beamtin und Polizeichef treten zurück
Mitten in den Floyd-Prozess in Minneapolis platzt die Nachricht, dass 15 Kilometer vom Gerichtssaal entfernt ein Afroamerikaner bei einer Polizeikontrolle getötet wurde. Der Fall löst neue Ausschreitungen aus.
Erneut erschüttert der gewaltsame Tod eines jungen Afroamerikaners die Stadt Minneapolis – während dort der Prozess wegen der Tötung von George Floyd läuft. In der Nacht auf Dienstag wurden bei teils gewaltsamen Protesten rund 40 Personen festgenommen und einige Beamte verletzt, wie örtliche Medien berichteten. Die Demonstrationen fanden statt, obwohl Bürgermeister Jacob Frey eine Ausgangssperre in der Stadt verhängt hatte.
Anlass der Ausschreitungen war der Tod des 20-jährigen Daunte Wright, der am Sonntag in Brooklyn Center im Norden der Stadt von einer Polizistin erschossen worden war, lediglich 15 Kilometer entfernt von dem Gerichtssaal, in dem George Floyds Tod aufgearbeitet wird.
Die Polizistin verwechselte Taser und Pistole
Wright war in seinem Auto von einer Streife angehalten worden, weil die Registrierung des Wagens abgelaufen war. Bei der Überprüfung seiner Personalien hat sich gemäss Behördenangaben herausgestellt, dass ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, weil er in der Vergangenheit ohne Berechtigung eine Waffe getragen habe und zum deshalb fälligen Gerichtstermin nicht erschienen sei. Nachdem die Polizisten dies festgestellt hatten, stieg Wright, wie auf einem mit einer Bodycam aufgenommenen Video einer beteiligten Polizistin zu sehen ist, wieder in seinen Wagen. Es kam zu einem kurzen Handgemenge.
«Ich habe gerade auf ihn geschossen.»
Die Polizistin zog eine Waffe und rief mehrmals: «Taser, Taser!» Dann drückte sie ab, wie auf dem Video zu sehen ist. Es handelte sich jedoch nicht um eine «taser gun», eine Elektroschockpistole, sondern um eine scharfe Waffe. Zu hören ist, wie die Polizistin einen ungläubigen Fluch ausstösst und sagt: «Ich habe gerade auf ihn geschossen.»
Der örtliche Polizeichef Tim Gannon und die Beamtin, die am Sonntag auf Wright geschossen hatte, erklärten am Dienstag ihren Rücktritt, wie Bürgermeister Mike Elliott sagte. Gannon sagte am Montag, dass die Polizistin offenbar irrtümlich geglaubt habe, eine Elektroschockpistole auf Daunte Wright gerichtet zu haben und ihn mit einem einzigen Schuss tötete. Dabei handelt es sich um eine weisse 48-Jährige, die seit 26 Jahren für die örtliche Polizei arbeite.
Biden: «Absolut keine Rechtfertigung» für Gewalt
Im Raum stand vor allem die Frage, ob es sich erneut um einen Fall von Rassismus handelte, in dem ein weisses Mitglied der Polizei einen Afroamerikaner getötet hat. Die Beamtin sei einstweilen vom Dienst suspendiert worden. US-Präsident Joe Biden äusserte sich am Montag im Weissen Haus zu dem Fall. Er sagte: «War es ein Unfall? War es Absicht? Das muss in einer umfassenden Untersuchung festgestellt werden.» Der Präsident rief zur Ruhe auf. «Friedlicher Protest ist verständlich», sagte er. Für Gewalt gebe es aber «absolut keine Rechtfertigung».
Der neue Fall wurde auch zum Thema im Prozess, in dem der weisse Polizist Derek Chauvin wegen der Tötung des Afroamerikaners George Floyd angeklagt ist. Sein Anwalt Eric Nelson forderte, dass die Jury von der Öffentlichkeit isoliert werden und keinen weiteren Zugang zu aktuellen Nachrichten haben solle. Seine Begründung: Die Jury werde von den Vorgängen um die Tötung Wrights beeinflusst. Peter Cahill, der dem Prozess vorstehende Richter, wies diesen Einwand zurück und beschied, dass das Verfahren wie geplant weiterlaufen werde.
Bewegende Worte von Floyds Bruder
Der elfte Tag des Prozesses gegen Chauvin war ein Tag der Gegensätze, ein Montag der Emotionen und der nüchternen Bestandsaufnahme. Chauvin hatte im Mai 2020 bei einer Festnahme rund neun Minuten lang auf dem Hals des Schwarzen George Floyd gekniet. Nach diesen neun Minuten war Floyd tot.
An diesem Montag sprach zunächst Philonise Floyd im Gerichtssaal, der jüngere Bruder von George. Er erzählte von den engen Familienbanden, vom gemeinsamen Aufwachsen, und davon, dass George Floyd ein derart miserabler Koch gewesen sei, dass er nicht einmal Wasser habe kochen können. Dennoch habe er die besten Bananen-Mayonnaise-Sandwiches zubereitet. Als er das sagte, musste er selber lächeln.
Im Verlauf seiner Aussage verdüsterte sich Floyds Stimmung, und als er länger von der intensiven Beziehung zu seinem Bruder sprach, begann er zu weinen. Er erzählte, dass George Floyd, der 46 Jahre alt wurde, ein guter Footballer und Basketballer gewesen sei, der im Sport immer der Beste sein wollte, und der seine 2018 verstorbene Mutter über alles geliebt habe. Es war zu erwarten, dass Philonise Floyd nichts Schlechtes über seinen sieben Jahre älteren Bruder sagen würde, aber die Art und Weise, wie er über ihn sprach, war nach Angaben von Prozessbeobachtern im Gerichtssaal überaus bewegend.
Floyd starb, weil ihm die Luft abgedrückt wurde
Im Gegensatz dazu stand die nüchterne Aussage des Kardiologen Jonathan Rich. Dieser erklärte, dass er nach dem Studium aller Unterlagen, Berichte und Daten aus medizinischer Sicht ausschliessen könne, dass Floyd wegen Drogenmissbrauchs oder wegen eines Herzfehlers oder -infarkts gestorben sei. Floyd habe ein starkes Herz gehabt. Sein Tod sei einzig und allein auf Sauerstoffmangel zurückzuführen, und dieser sei dadurch ausgelöst worden, dass der angeklagte Polizist so lange auf Floyds Hals gekniet habe.
«Ich bin der Ansicht, dass George Floyds Tod absolut zu verhindern war.»
Die Verteidigung hatte bisher argumentiert, dass es zumindest nicht auszuschliessen sei, dass Floyds Tod auch andere Ursachen hatte. Rich sagte: «Ich bin der Ansicht, dass George Floyds Tod absolut zu verhindern war.» Da Rich nicht der erste Mediziner ist, der diese Ansicht vertritt, gehen der Verteidigung allmählich die Argumente aus. Zuvor hatten Polizeivertreter erklärt, Chauvins Vorgehen habe nicht den Vorschriften entsprochen. Vielleicht ist es auch diesem Umstand geschuldet, dass Chauvins Anwalt sich derzeit auf Verfahrensfragen kapriziert.
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