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Meinung

Proteste vor dem Weissen Haus
Polizisten prügeln Trump den Weg zur Kirche frei

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Washington hat schon viel erlebt – Aufmärsche, Rassenunruhen, Strassenschlachten, Grossdemonstrationen. Sogar eine Invasion: Im August 1814 eroberten die britischen Rotröcke die Stadt und setzten etliche Regierungsgebäude in Brand, darunter das Weisse Haus.

Doch Bilder wie jene, die die Amerikaner am Montagabend im Fernsehen aus ihrer Hauptstadt zu sehen bekamen, gab es noch nie. Da stand Donald Trump, der Präsident der Vereinigten Staaten, vor einer Reihe amerikanischer Flaggen im Rosengarten des Weissen Hauses und hielt eine Rede. Und draussen im Lafayette-Park, auf der anderen Seite der berühmten Pennsylvania Avenue, gingen berittene Polizisten mit Schlagstöcken und Tränengas gegen Hunderte Menschen vor, die dort weitgehend friedlich demonstriert hatten. Während Trump sprach, war im Hintergrund das Knallen der Blendgranaten zu hören.

Trump stattete der historischen St. John's Church in wohl inszenierter Demut einen Besuch ab, eine Bibel in der Hand und begleitet von seinem halben Kabinett.

Ein paar Minuten später wurde der Zweck der Aktion deutlich: Die Polizei prügelt dem Präsidenten den Weg zur historischen St. John's Church frei, einer kleinen Kirche am Rand des Lafayette-Parks, deren Gottesdienste seit 1816 von allen amerikanischen Präsidenten besucht wurden. Am Abend zuvor hatten Randalierer im Keller der Kirche Feuer gelegt. Die Flammen konnten rasch gelöscht werden, die Kirche selbst wurde nicht beschädigt. Das hinderte Trump allerdings nicht daran, in seiner Rede zu behaupten, sie sei «in Brand gesetzt worden». Jetzt stattete er ihr in wohl inszenierter Demut einen Besuch ab, eine Bibel in der Hand und begleitet von seinem halben Kabinett sowie einer Gruppe Journalisten, die wegen der Gasschwaden husten und würgen mussten.

Die Polizei geht hart gegen Demonstranten in der Nähe des Weissen Hauses vor. (Ken Cedeno/REUTERS).

Seit fast einer Woche werden die USA jetzt von gewalttätigen Protesten und Plünderungen erschüttert – seit am Memorial Day in Minneapolis der Afroamerikaner George Floyd bei einem Einsatz von dem weissen Polizisten Derek Chauvin getötet worden ist. Chauvin hatte seinem am Boden liegenden Opfer mehrere Minuten lang das Knie in den Nacken gepresst und so die Blut- und Sauerstoffzufuhr zu Floyds Gehirn unterbrochen, bis dieser starb. Asphyxie nennen die Gerichtsmediziner das. Juristen nennen es ein Tötungsdelikt. Die Amerikaner sind es zwar gewöhnt, das weisse Polizisten Schwarze töten, doch dieser Fall war besonders erschütternd.

Bis zum Montagabend hatte Trump den um sich greifenden wütenden Demonstrationen und Krawallen weitgehend tatenlos zugesehen. Er motzte auf Twitter über die angeblich linksradikalen Demonstranten, über die Antifa, über die Demokraten und die Medien. In einer Telefonkonferenz am Montagmittag beschimpfte er die Gouverneure der Bundesstaaten als Schwächlinge, die sich von den Randalierern auf der Nase herumtanzen liessen. Die Gouverneure sollten endlich hart durchgreifen, forderte Trump, sie sollten die Nationalgarde losschicken und Leute verhaften. Doch davor, selbst einzugreifen – und sich damit auch selbst Verantwortung für die Lösung des Problems aufzubürden – schreckte Trump zurück.

Der Druck auf Trump war zu gross geworden

Am Montagabend griff Trump dann ein. Der Druck war zu gross geworden, die Kritik an seiner Führungsschwäche wuchs mit jeder Gewaltnacht. Und Trumps Umfragewerte sinken, inzwischen liegt er deutlich hinter dem Demokraten Joe Biden. Insofern ging Trump mit der Rede buchstäblich in die Offensive: Die Krawalle seien «kein friedlicher Protest», sagte er. «Das sind Akte einheimischen Terrors.» Und der Präsident drohte: Er sei «der Präsident von Recht und Ordnung», sagte Trump. Sollten die Gouverneure und Bürgermeister die Ausschreitungen nicht in Eigenregie beenden, werde er das US-Militär dafür einsetzen und «das Problem schnell für sie lösen». Ein Gesetz aus dem frühen 19. Jahrhundert – der «Insurrection Act» von 1807 – gibt dem Präsidenten dazu das Recht. Er kann aktive Armeeeinheiten entsenden, um zum Beispiel in Katastrophenfällen zu helfen – aber auch um Aufstände niederzuschlagen oder Unruhen zu beenden.

Während der Präsident den Bundesstaaten offenbar noch Zeit lassen will, die Lage selbst unter Kontrolle zu bringen, hat er mit der Hauptstadt Washington keine Geduld mehr. Dort wird das Weisse Haus seit Tagen von Demonstranten belagert, am vergangenen Freitag wurde Trump vom Secret Service sogar für kurze Zeit in einen Schutzbunker gebracht – eine Demütigung für den Präsidenten, der kaum etwas so fürchtet, wie schwach auszusehen. «Während ich hier spreche, habe ich Tausende und Abertausende von schwerbewaffneten Soldaten, Armeeangehörigen und Polizisten in Gang gesetzt, um die Unruhen, die Plünderungen, den Vandalismus, die Angriffe und die wahllose Zerstörung von Eigentum zu stoppen», so Trump.

Die Polizei hat Präsident Trump den Weg durch den Lafayette Park zur St. John's Church freigemacht. (Patrick Semansky/KEYSTONE)

Von allen möglichen Wegen, mit den Krawallen umzugehen, wählt Trump damit den härtesten. Anstatt zu versuchen, die Lage zu beruhigen, setzt der Präsident auf Eskalation und droht damit, das Militär gegen die eigenen Staatsbürger einzusetzen. Wie diese politisch und rechtlich weitreichende Entscheidung im Detail zustande gekommen ist, welche Kabinettsmitglieder dafür oder eventuell dagegen gewesen sind, ist bisher nicht bekannt. Sicher ist, dass sich am Montag einige enge Vertraute des Präsidenten für eine harte Linie ausgesprochen hatten. So riet zum Beispiel der republikanische Senator und Irak-Veteran Tom Cotton dem Präsidenten, das aktive Militär gegen die Demonstranten einzusetzen. Randalierern und Plünderern sollte «kein Pardon» gegeben werden, twitterte er – ein Ratschlag, der sowohl internationalem als auch amerikanischem Recht widerspricht. «100 % richtig», twitterte Trump zurück. «Danke, Tom!»

Wie Trump sich die Sache mit dem Militäreinsatz in der Praxis vorstellt, ist allerdings offen. Die demokratischen Gouverneure, von denen viele bereits ihre Nationalgarde aktiviert haben, werden kaum zulassen, dass der Präsident nach eigenen Kriterien und im Zweifelsfall gegen ihren Willen Truppen in ihren Bundesstaaten einsetzt. Der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo hat Trump bereits wissen lassen, dass er kein zusätzliches Militär braucht. Ob und wie sich Trump im Ernstfall bei einem Streit verhalten will, ist offen. Die Vorstellung, der US-Präsident könnte die 82. Luftlandedivision über Los Angeles oder Brooklyn abspringen lassen, weil die Gouverneure dort angeblich nicht hart genug gegen Plünderer vorgehen, ist vollkommen bizarr. Das würde die USA ins Jahr 1861 zurückwerfen. Damals begann der Bürgerkrieg.