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Mordfall Sarah Everard
Polizist wird zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt

Eine Gerichtsskizze von Staatsanwalt Tom Little und dem Angeklagten (Zweiter von Rechts) am Mittwoch vor dem Londoner Strafgericht Old Bailey. 
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Eine Frau ist verschwunden. Entführt, vergewaltigt und ermordet auf dem Weg nach Hause. Der geständige Täter ist ein Mann, dessen Beruf es ist, Menschen zu beschützen. Ein Polizist. Schnell wird im Fall Sarah Everard aus Trauer Wut. «Genug ist genug», sagen viele Frauen in Grossbritannien, unter dem Hashtag «Reclaim These Streets» («Holt euch die Strassen zurück») berichten sie in sozialen Netzwerken von ihren eigenen Ängsten und Erfahrungen auf dem Heimweg.

Mitten in der Pandemie trauern sie öffentlich um die 33-jährige Marketingleiterin, sie fordern mehr Einsatz im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt, die britische Herzogin Kate solidarisiert sich, Politiker versprechen ein Umdenken.

Sechs Monate sind seither vergangen. Aber hat sich auch etwas geändert?

77 Frauen, die mutmasslich von Männern getötet wurden, zählt der Sender ITV seit dem Verschwinden von Sarah Everard in Grossbritannien. Gerade entsetzt der Fall Sabina Nessa, 28, Grundschullehrerin, die Londoner. Ein paar Minuten sind es von ihrer Wohnung im Südosten der Stadt bis zu einem Pub in Kidbrook, wo eine Freundin wartet. Nessa kommt nie an. In dieser Woche hat das Gericht einen Mann wegen Mordes angeklagt.

Und während sich erneut zahlreiche Frauen öffentlich fragen, wann es aufhört, dass sie im Dunkeln Angst haben müssen, wird am Donnerstagmittag das Urteil gegen den Mörder von Sarah Everard verkündet: Das Strafgericht Old Bailey verurteilt Wayne C., 48, verheirateter Familienvater und Polizist, zu einer lebenslangen Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Freilassung.

Der Mann ist seit 2018 bei der Metropolitan Police, zuletzt bewacht er Botschaften in London, nun sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh und wird wohl dort bleiben. Im britischen Justizsystem bedeutet «whole life order», dass ein Verurteilter wirklich bis zum Lebensende in Haft bleibt.

Blumen für Sarah Everard. Der Tod der 33-Jährigen hat viele in Großbritannien dazu gebracht, ihre Stimme gegen Gewalt gegen Frauen zu erheben.

«Als wäre sie ein Nichts»

Am Abend ihres Verschwindens am 3. März besucht Sarah Everard Freunde. Gegen 21 Uhr bricht sie auf, vier Kilometer sind es nach Hause. Zuletzt wird sie um 21.30 Uhr allein auf einer Hauptstrasse in Clapham gesehen. Tagelang wird nach ihr gesucht, ihre Leiche wird schliesslich in einem Wald in der südostenglischen Grafschaft Kent gefunden, 80 Kilometer von Clapham entfernt – und nur wenige Meter von einem Grundstück, das dem Täter gehört.

Die Überwachungskamera eines Busses zeigt, wie Everard von einem Mann in einem Mietwagen abgefangen wird. Die Überprüfung ergibt, dass der Polizist das Auto ausgeliehen hat. Sie habe gegen die Lockdown-Regeln verstossen, gibt Wayne C. der Frau zu verstehen. Er zeigt ihr seinen Dienstausweis und legt ihr Handschellen an, so schildert es Staatsanwalt Tom Little am Mittwoch.

Mit Hilfe weiterer Überwachungskameras, die in Grossbritannien auch an Strassen angebracht sind, rekonstruieren die Ermittler und Ermittlerinnen die Fahrtroute ihres Kollegen und finden weitere Indizien. Offenbar hat der Polizist eine Entführung geplant: Wenige Tage vor der Tat habe er nicht nur das Auto gemietet, sondern auch Teppichschoner gekauft, berichtet etwa die BBC. Sarah Everard ist dann wohl ein Zufallsopfer.

Wayne C. behauptet zunächst, osteuropäische Gangster hätten ihn gezwungen, eine Frau zu entführen und ihnen zu übergeben, um Schulden zu begleichen. Erst unter Druck gesteht er, Sarah Everard getötet zu haben. Laut Obduktion stirbt sie durch «Druck auf den Hals», die Tatwaffe soll ein Polizeigürtel gewesen sein.

Der 48-Jährige soll die Leiche dann mit Benzin übergossen, angezündet und in einem Tümpel geworfen haben. «Er hat meine Tochter behandelt, als wäre sie ein Nichts und sie entsorgt, als wäre sie Müll», sagt die Mutter von Sarah Everard vor Gericht.

In diesem von der Metropolitan Police herausgegebenen Videostandbild spricht der Polizist Sarah Everard am Strassenrand an.


Hässliche Bilder der Polizei

Auf seine Arbeitgeber wirft der Fall kein gutes Licht: Kurz nach seiner Festnahme stellt sich heraus, dass der ehemalige Beamte sich in Fast-Food-Restaurants entblösst hat, aber weiterhin im Dienst bleiben darf. Nach seinem Mordgeständnis wird er mit sofortiger Wirkung entlassen.

C. habe alles verraten, wofür die Polizei stehe, sagt eine Vorgesetzte. «Wir alle in der Met sind entsetzt, angewidert und wütend über die Verbrechen dieses Mannes ... Es tut uns zutiefst leid.»

Doch nicht nur der Umstand, dass der Täter ein Polizist ist, der seinen Polizeiausweis für ein Verbrechen nutzte, schadet dem Ruf der Metropolitan Police. Hinzu kommen die hässlichen Bilder, wie Beamte die Mahnwache für Sarah Everard unter Berufung auf Abstandsregeln gewaltsam auflösen.

Viele stellen nun auch in Frage, ob die Polizei Anzeigen von Frauen, die sich bedroht fühlen, ernst nehme. Cressida Dick, Chefin von Scotland Yard, muss um ihren Job kämpfen. Premierminister Boris Johnson verspricht im Unterhaus, «das grundsätzliche Problem des alltäglichen Sexismus» anzugehen. Und mehr Geld.

«Wir sind nicht sicherer»

Mitte September wiederholt sich die Geschichte in London. Wieder verschwindet eine Frau auf der Strasse im Dunkeln. Wieder ist es früher Abend. Und wieder demonstrieren danach Hunderte Frauen. Die Leiche von Sabina Nessa wird am 20. September, einen Tag nach der Vermisstenmeldung, in einem Park entdeckt.

Es sei «herzzerreissend, dass wir sechs Monate nach der Ermordung von Sarah Everard um weitere Frauenleben trauern, die durch männliche Gewalt verloren wurden», schreibt Anna Birley von «Reclaim These Streets». Es habe so viele Worte gegeben, aber so wenig sei passiert. Ganz ähnlich fällt das Urteil von Mitbegründerin Jamie Klinger im Telegraph aus. Sie glaubt: «Wir sind nicht sicherer als vor sechs Monaten.»

Wie in der Verhandlung bekannt wurde, hatte der Polizist die junge Frau am 3. März mithilfe seines Dienstausweises angehalten, weil sie Corona-Regeln missachtet habe. Everard war zu Fuss auf dem Heimweg von einer Freundin. Ihre verbrannte Leiche wurde erst Tage später in einem Wäldchen in der südostenglischen Grafschaft Kent entdeckt – ganz in der Nähe eines Grundstücks, das dem verheirateten Familienvater gehörte. Der Mann war in London für die Bewachung diplomatischer Vertretungen zuständig.