Polizeichef rechtfertigt Einsatz scharfer Munition
China feiert Geburtstag. In Peking fahren Panzer zur Parade. Und in Hongkong randalieren Demonstranten. Ein 18-Jähriger wurde angeschossen.
Überschattet von Ausschreitungen in Hongkong hat die Volksrepublik China ihren 70. Gründungstag mit der grössten Waffenschau ihrer Geschichte gefeiert. An der riesigen Militärparade am Dienstag am Platz des Himmlischen Friedens in Peking nahmen 15'000 Soldaten teil.
Mehr als 160 Flugzeuge sowie 580 Panzer und Waffensysteme wurden vorgeführt, darunter nuklear bestückbare Interkontinentalraketen. Mit der Truppenschau demonstrierte die chinesische Führung militärische Stärke, ihren Machtanspruch und internationalen Gestaltungswillen.
«Es gibt keine Macht, die die Grundlagen dieser grossen Nation erschüttern kann», sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer Rede. Es wurde auch als Hinweis auf den Rivalen USA und den Handelskrieg der beiden grössten Volkswirtschaften verstanden. «Keine Macht kann den Fortschritt des chinesischen Volkes und der Nation aufhalten.»
Schüsse in Hongkong
Trotz eines Demonstrationsverbotes protestierten hingegen in Hongkong wieder Zehntausende gegen ihre Regierung und den Einfluss der kommunistischen Führung in Peking. Es kam zu schweren Zusammenstössen zwischen radikalen Demonstranten und Polizeikräften.
Aktivisten blockierten Strassen, warfen Pflastersteine und Brandsätze. Die Beamten setzen Tränengas und Wasserwerfer ein. Es fielen mehrere Schüsse, die nach Polizeiangaben meist als Warnung abgegeben wurden. Doch wurde ein Demonstrant durch einen Schuss in die Brust verletzt.
Einem 18-Jährigen wurde nach Angaben der Polizei mit scharfer Munition in die Schulter geschossen. Insgesamt seien 31 Menschen verletzt worden. Zwei befänden sich in kritischem Zustand. Weitere Details wurden nicht genannt. Im Internet verbreitete sich ein Video rasend schnell, auf dem gezeigt wird, wie ein Polizist aus kurzer Entfernung auf einen Demonstranten schiesst. Die Aufnahmen liessen sich nicht verifizieren.
Polizeichef rechtfertigt Einsatz scharfer Munition
Hongkongs Polizeichef Stephen Lo rechtfertigt den Einsatz scharfer Munition damit, dass das Leben von Polizeibeamten ernsthaft in Gefahr gewesen sei. Lo teilt zugleich mit, dass es sich bei dem von der Polizei angeschossenen Demonstranten um einen 18-jährigen Mann handele. Über dessen aktuellen Zustand wisse er nichts, ergänzt Lo. Als der junge Mann ins Krankenhaus befördert worden sei, sei er bei Bewusstsein gewesen.
Der britische Aussenminister Dominic Raab nennt den Einsatz von Schusswaffen unverhältnismässig. Die Polizei riskiere damit lediglich, die Lage weiter zu eskalieren. Raab fordert Sicherheitskräfte und Demonstranten gleichermassen zur Zurückhaltung auf.
Die EU-Kommission ruft zu Gewaltverzicht in Hongkong auf. «Angesichts der andauernden Gewalt und Demonstrationen in Hongkong sind Dialog, Deeskalation und Zurückhaltung die einzigen Wege, die erfolgsversprechend sind», sagt eine EU-Kommissionssprecherin in Brüssel. Es müsse mehr getan werden, um das Vertrauen der Gesellschaft wieder herzustellen. Zudem müsse die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gewahrt bleiben.
«Ein Land, zwei Systeme»
Mit Blick auf die seit fünf Monaten anhaltenden Proteste für Demokratie und Freiheitsrechte forderte Xi Jinping «langfristige Stabilität» in Chinas Sonderverwaltungsregion. Er bekräftigte den Grundsatz «ein Land, zwei Systeme», nach dem die frühere britische Kronkolonie autonom regiert wird. Auch betonte er mit Blick auf Taiwan den Grundsatz der «friedlichen Wiedervereinigung». Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil der Volksrepublik. «Der Kampf für eine vollständige Wiedervereinigung des Vaterlandes muss fortgesetzt werden.»
In einer schwarzen Limousine des Typs «Rote Flagge» stehend nahm Xi Jinping als Oberkommandierender die Truppenparade auf der Strasse des Ewigen Friedens ab. Als Demonstration der Stärke wurden erstmals eine neue, mächtige Interkontinentalrakete, ein Hyperschall-Gleitflugkörper und hochmoderne Drohnen gezeigt. Die neue Rakete vom Typ «Dong Feng 41» (Ostwind) kann mit bis zu zehn nuklearen Sprengköpfen bestückt in einer halben Stunde die USA erreichen.
Smog während Parade
Die Volksbefreiungsarmee werde entschieden «Chinas Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen», sagte Xi Jinping. Er beteuerte aber, dass China auf dem «Pfad der friedlichen Entwicklung» bleiben werde. Wie Generalmajor Cai Zhijun, Vizedirektor des Generalstabs, sagte, sollte die Militärschau auch die «unabhängige Innovationsfähigkeit» Chinas demonstrieren. Die präsentierten Waffen seien «komplett selbst produziert».
Die Propaganda präsentierte die Errungenschaften Chinas, das mit seiner Reform und Öffnung seit den 80er-Jahren zur zweitgrössten Volkswirtschaft nach den USA aufgestiegen ist. «Wir sind nicht mehr das arme China von vor siebzig Jahren», sagte Zhu Lijia, Professor der Verwaltungshochschule. «China ist stark und reich geworden.» Obwohl viele Fabriken geschlossen worden waren, herrschte zur Parade Smog, sodass die Flugzeuge beim Überflug nur durch Dunst zu sehen waren. Empfohlene Grenzwerte wurden um das Sechsfache übertroffen.
Die Überbleibsel Maos
In Anlehnung an ein Zitat des «grossen Steuermanns» Mao Tsetung, der am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik ausgerufen hatte, lautete die Botschaft zum Feiertag: «Ohne die Kommunistische Partei gäbe es kein neues China.» Es geht nach Angaben der Expertin Kristin Shi-Kupfer vom Berliner China-Institut Merics «um die Kampfbereitschaft der Kommunistischen Partei unter Xi Jinping».
Innenpolitisch sei «eine ideologische Disziplinierung» gefordert, sagte Shi-Kupfer. Aus Sicht Pekings brauche es absolut ergebene Parteikader, die «zu allererst der Linie des Parteivorsitzenden folgen» und in der Lage seien, die «Kämpfe» des 21. Jahrhunderts zu führen. Dazu zählten das langsamere Wirtschaftswachstum und die Auseinandersetzung mit «feindlichen Kräften».
Kritik unerwünscht
Die Feiern werden gleich von mehreren Krisen überschattet. Dazu zählt neben den Protesten in Hongkong und dem Handelskrieg mit den USA auch das langsamere Wirtschaftswachstum in China. In China grassiert zudem die afrikanische Schweinegrippe und könnte bis Jahresende die Hälfte des Bestandes dahinraffen. Auch steht China wegen der Inhaftierung von Uiguren in Umerziehungslagern in der Kritik.
«Massive Menschenrechtsverletzungen ziehen sich durch die Geschichte des modernen Chinas», sagte Hanno Schedler von der Gesellschaft für bedrohte Volker (GfbV) in Göttingen. Unter Xi Jinping hätten sie «einen neuen, traurigen Höhepunkt erreicht». Er setze auf «gnadenlose Verfolgung» von Uiguren und Tibetern, von Kasachen, Kirgisen und Mongolen, von Bürgerrechtsanwälten und Müttern der 1989 beim Tiananmen-Massaker getöteten Demonstranten. «Die Kommunistische Partei setzt alles daran, kritische Stimmen auszuschalten.»
sda/reuters/red
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