Umstrittener Einsatz in LondonPolizei löst Mahnwache für Sarah E. gewaltsam auf
Hunderte Menschen haben der ermordeten 33-Jährige gedacht. Die Polizei schritt wegen Corona-Massnahmen resolut ein und sorgte für «teilweise verstörende» Szenen.
Der Mord von Sarah E. hat Grossbritannien tief getroffen. Entsprechend gross war der Aufmarsch am Samstag an dem improvisierten Gedenkort für die auf ihrem Nachhauseweg entführte und später ermordete 33-Jährige. Selbst die britische Herzogin Kate hatte es sich nicht nehmen lassen, Blumen niederzulegen.
Stunden später kam es zu hässlichen Szenen, als die Polizei mit Gewalt Teilnehmerinnen einer Mahnwache vor dem Musikpavillon in dem Park Clapham Common im Londoner Süden wegzerrte. Nun steht Scotland Yard heftig in der Kritik. Ausgerechnet am britischen Muttertag und der Woche des Internationalen Frauentags fühlen sich viele Frauen in Grossbritannien von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen (Lesen Sie dazu: Sarah E. und die unendliche Angst vor dem Nachhauseweg).
Erst am Freitag war der in einem Waldstück in der Grafschaft Kent gefundene leblose Körper der zuvor als vermisst gemeldeten 33-jährigen Sarah E. identifiziert worden. Damit wurde aus Befürchtungen über ihr Schicksal traurige Gewissheit. Zuletzt gesehen wurde sie am 3. März in der Nähe von Clapham Common, als sie in der Dunkelheit auf dem Nachhauseweg von einer Freundin war. Ein 48 Jahre alter Polizist steht unter Verdacht, sie entführt und ermordet zu haben.
Der Fall löste einen landesweiten Aufschrei gegen Belästigungen und Gewalt an Frauen aus. Es geht dabei nicht nur um extreme Fälle, wie den von Sarah E., sondern um alltägliche Übergriffe und um die Angst, die für Frauen ständiger Begleiter ist.
Hunderte Menschen hatten sich am Samstagabend trotz Warnungen vor Verstössen gegen die Corona-Regeln an dem Musikpavillon zusammengefunden. Ein offizieller Aufruf zu der Mahnwache von der Initiative «Reclaim these Streets» (etwa: Erobert diese Strassen zurück) war von den Organisatorinnen zurückgenommen worden, nachdem Gespräche mit der Polizei über eine Durchführung unter Beachtung der Corona-Massnahmen gescheitert waren. Doch davon liessen sich viele nicht abhalten.
Die Rechtfertigung der Polizei
Auf Videos von dem Polizeieinsatz am Samstagabend war zu sehen, wie Polizisten mehrere Frauen gewaltsam abführten. Eine Frau wurde auf den Boden gedrückt. «Die Beamten vor Ort waren mit einer sehr schwierigen Entscheidung konfrontiert», rechtfertigte eine Scotland-Yard-Sprecherin den Einsatz später, bei dem es vier Festnahmen gegeben hatte. Die Menschen hätten am Abend eng zusammengestanden, dabei sei das Risiko von Übertragungen des Coronavirus sehr hoch gewesen. Keine Bedenken habe es den Tag über gegeben, als viele Menschen – wie Herzogin Kate – Blumen an dem improvisierten Gedenkort niederlegt hatten.
«Reclaim these Streets» teilte mit, Frauen im ganzen Land seien «zutiefst traurig und wütend über die Szenen, die Polizisten beim Überwältigen von Frauen während einer Mahnwache gegen männliche Gewalt zeigen». Sie machten die Beamten für die Eskalation verantwortlich. Die Mahnwache hätte wie geplant mithilfe von Ordnerinnen im Rahmen der Corona-Regeln durchgeführt werden können. Doch das habe die Polizei abgeblockt, hiess es in der Mitteilung.
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Auf Twitter verwiesen viele Nutzer zudem auf eine ausgelassene Feier von Fussballfans vor einer Woche in Glasgow. Tausende Menschen hatten den Sieg der schottischen Meisterschaft durch die Glasgow Rangers auf den Strassen der Stadt gefeiert. Die Polizei schritt damals nicht ein.
Londons Bürgermeister: «Inakzeptabel»
Londons Bürgermeister Sadiq Khan bezeichnete die Szenen des Polizeieinsatzes als «inakzeptabel». Die Polizei habe zwar die Verantwortung, die Corona-Massnahmen durchzusetzen, aber von den Bildern werde klar, dass die Reaktion der Beamten «weder angemessen noch verhältnismässig» war, so der Labour-Politiker. Die konservative Innenministerin Priti Patel bezeichnete die Aufnahmen als teilweise verstörend. Sie habe einen «vollständigen Bericht» von Scotland Yard zu den Ereignissen angefordert. Ausgerechnet am Montag soll jedoch ein Gesetzentwurf der konservativen Politikerin in die zweite Lesung im Parlament gehen, der Polizisten mehr Möglichkeiten geben soll, Proteste zu beschränken.
Der Fraktionsvorsitzende der Liberaldemokraten im britischen Parlament, Ed Davey, forderte die Londoner Polizeichefin Cressida Dick zum Rücktritt auf. Die Szenen des Polizeieinsatzes seien eine Schande für die Metropolitan Police, so Davey auf Twitter.
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Bei der Bewegung «Reclaim These Streets» gingen unterdessen bis Sonntagfrüh knapp 500’000 Pfund (rund 647’000 Franken) an Spenden ein. Ursprünglich sollten damit Strafen bezahlt werden, mit denen die Veranstalterinnen hätten rechnen müssen, wenn sie die Mahnwache wie geplant durchgeführt hätten.
Jamie Klingler, eine der Organisatorinnen von «Reclaim these Streets» sagte der britischen Nachrichtenagentur PA, es fühle sich an, wie im Zentrum einer Flutwelle zu stehen, bei der die halbe Bevölkerung (an die Männer gerichtet) sage: «Das ist euer Problem, ihr müsst es in den Griff bekommen, und zwar jetzt, wir werden es nicht länger hinnehmen.»
/fal
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