Bundesgericht korrigiert St. Galler Justiz
Polizei darf Cannabis-Kleinmengen nicht mehr einziehen
Die Staatsanwaltschaft wollte 3 Gramm Cannabis vernichten, die bei einem Mann sichergestellt wurden. Das Bundesgericht ordnet nun die Rückgabe an – weil der Stoff zum Eigengebrauch bestimmt war.
2,7 Gramm Marihuana und 0,6 Gramm Haschisch: Das stellten Grenzwächter im März 2019 am Bahnhof St. Margrethen bei einem Mann sicher. Zudem wurde ihm eine DNA-Probe entnommen. Die Staatsanwaltschaft St. Gallen warf dem Mann vor, die Drogen aus Österreich eingeführt zu haben. Zwar wurde der Beschuldigte vom Kreisgericht Rheintal freigesprochen, da sich der Grenzübertritt nicht beweisen liess. Doch das Gericht ordnete, wie in solchen Fällen üblich, die Vernichtung der beschlagnahmten Drogen an. Dasselbe sollte für die Filtertips – Mundstücke für selbst gedrehte Zigaretten – gelten. Das Kantonsgericht bestätigte dieses Verdikt, wogegen der Mann beim Bundesgericht Beschwerde erhob.
Dieses hat nun den Einzug der Drogen für unrechtmässig befunden. Eine geringfügige und für den Eigenkonsum bestimmte Menge Cannabis dürfe nicht zur Vernichtung eingezogen werden, hält das Gericht in seinem am Montag veröffentlichten Urteil fest. Denn auch der Erwerb, Besitz und die Einfuhr von bis zu 10 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum seien nicht strafbar.
Das Bundesgericht verweist in seiner Begründung darauf, dass seit 2013 der Cannabiskonsum nur noch mit einer Ordnungsbusse geahndet wird. Der Wille des Parlaments sei gleichzeitig gewesen, dass der geringfügige Besitz von Cannabis straflos werde. Die zuständige Gesundheitskommission des Nationalrats hatte damals in ihrem Bericht zur Einführung der Ordnungsbusse explizit festgehalten, dass nur noch Stoff eingezogen werden dürfe, der tatsächlich konsumiert werde. Sprich: Die Polizei darf einen Joint nur dann beschlagnahmen, wenn er gerade geraucht wird.
Beschlagnahmung soll Konsum verhindern
Bisher begründeten die Gerichte den Einzug der Drogen in Kleinmengen damit, dass sonst mit dem Cannabis unmittelbar eine Straftat begangen werden könne – nämlich der Konsum des Stoffs. Dieser Praxis setzt das Bundesgericht mit seinem Urteil nun ein Ende. Im konkreten Fall müssen die St. Galler Behörden dem Mann das Cannabis zurückgeben. Die Filtertips werden jedoch vernichtet.
Das Bundesgericht hat mit diesem Urteil den Umgang mit Kleinmengen von Cannabis detaillierter geklärt. Bereits 2017 hielt das Gericht in Lausanne fest, dass der Besitz von maximal 10 Gramm straffrei ist. Experten hatten damals kritisiert, dass das Gericht auf halbem Weg stehen geblieben sei. Denn wenn es den Besitz einer zum Eigenkonsum bestimmten Menge für straffrei erkläre, hätte es gleich auch den Einzug dieser Menge für unzulässig erklären müssen.
Unzulässig war im vorliegenden Fall auch die DNA-Probe. Diese hätte dazu dienen sollen, dem Mann die Einfuhr des Cannabis in die Schweiz nachzuweisen. Dazu sei die DNA-Probe jedoch untauglich gewesen, hält das Bundesgericht fest. Denn sofern auf dem Marihuana und Hasch überhaupt DNA-Spuren gefunden worden wären, so wären sie mit grosser Wahrscheinlichkeit vom Verdächtigten selbst gewesen. Damit wäre aber die Einfuhr nicht bewiesen worden.
Der Konsum von Cannabis ist in der Schweiz nach wie vor verboten, wird jedoch seit 2013 nur noch als Übertretung taxiert und mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken geahndet. Einen Strafregistereintrag gibt es dafür nicht. Verboten sind Cannabisprodukte ab einem THC-Gehalt von 1 Prozent. Cannabis wird als verbotene Droge häufig als Marihuana (getrocknete Cannabisblüte) oder Haschisch (Cannabisharz) gehandelt.
Der Verein Legalize It, der für die vollständige Hanflegalisierung kämpft, zeigt sich erfreut über das Urteil. Vereinssekretär Sven Schendekehl sagt: «Das Bundesgericht stellt nun endlich klar, dass sich die Polizei und die Staatsanwaltschaften um anderes kümmern sollen als um Cannabiskonsumenten». Ärgerlich sei, dass das Bundesgericht diese Klarstellung nicht schon viel früher vorgenommen habe.
SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler sieht im Bundesgerichtsurteil hingegen einen weiteren Schritt zur vollständigen Legalisierung von Cannabis. Der Gerichtsentscheid spiele den Dealern in die Hände. Seit der Definition der Kleinmenge von 10 Gramm für den Eigenkonsum trage kein Dealer mehr als diese Menge auf sich, sagt die frühere Polizistin. Bisher habe die Polizei das Cannabis wenigstens beschlagnahmen können. «Nun kann der Dealer einfach weitermachen, weil die Polizei ihm den Stoff nicht mehr wegnehmen darf.» Nach Geissbühlers Meinung wäre es ehrlicher, wenn die Liberalisierungsbefürworter mit einer neuen Volksinitiative die Freigabe fordern würden. «Dann hätten wir einen klaren Volksentscheid dazu.»
Schendekehl von Legalize It hofft hingegen, dass mit dem jüngsten Urteil auch die Zahl der polizeilichen Verzeigungen wegen Cannabiskonsums und damit zusammenhängender Delikte weiter zurückgeht, wie dies bereits nach dem Urteil von 2017 der Fall war. Damals reduzierte sich diese Zahl von über 30’000 auf rund 20’000 Verzeigungen. Zudem wurden statt 20'000 Ordnungsbussen pro Jahr wegen Cannabiskonsums nur noch 10'000 ausgestellt. 2021 waren es gar nur noch 3600 Ordnungsbussen.
Verzeigungen der Polizei an die Staatsanwaltschaft erfolgen wegen des Verdachts auf jene Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz, die nicht mit einer Ordnungsbusse geahndet werden. Darunter fallen unter anderem der Schmuggel oder Handel grösserer Mengen oder privater Anbau von Cannabis.
Urteil: 6B_911/2021
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