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Meinung

Politkolumne
Mehr Frauen – weniger «Männerbonus»?

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Die Frühjahrssession steht bevor – und sie bringt Frauen neue Power: Sechzehn Ständerätinnen vertreten ihren Heimatkanton in der kleinen Kammer, so viele wie noch nie. Mit der Sozialdemokratin Eva Herzog  präsidiert eine Frau das machtvolle, traditionell «altherrendominierte» «Stöckli». Nidwalden entsendet erstmals überhaupt eine Frau in den Nationalrat. Auch auf kantonaler und lokaler Ebene tut sich etwas: In Neuenburg tagt seit 2021 das erste Kantonsparlament mit einer Frauenmehrheit. Und zu Beginn der laufenden Legislatur überragt die Stadt Bern mit einem Frauenanteil von 70 Prozent sämtliche nationalen Parlamente der Welt.

Helvetias Rufe verhallen nicht ungehört. Von kleinen Rückschlägen abgesehen, bewegen sich die Frauenanteile zwar langsam, aber stetig in Richtung der magischen Paritätsmarke. Eine zahlenmässig gleichere Vertretung macht jedoch längst noch keine gleichere Politik.

So erhärtete jüngst eine gross angelegte politikwissenschaftliche Vergleichsstudie: Die Interessen der Frauen werden in politischen Entscheidungen schlechter abgebildet als jene der Männer. Befürwortet eine Mehrheit der Bürger eines Landes nach anfänglicher Skepsis beispielsweise einen Nato-Beitritt, so wird dieser statistisch wahrscheinlicher. Sind es hingegen die Bürgerinnen, die einen Kurswechsel vollziehen, schwinden die Chancen darauf. Dieser Forschungsbefund eines «Männerbonus» ist robust. Er zeigt sich in allen 43 berücksichtigten Ländern, über einen ausgedehnten Untersuchungszeitraum von 40 Jahren und unabhängig von den über 4000 analysierten Sachfragen.

Auch hierzulande gilt: Frauen bestimmen vermehrt mit, doch das Versprechen einer Demokratie, welche die Interessen aller wahrt, bleibt uneingelöst. Zwar konnten Parlamentarierinnen dank einer fraktionsübergreifenden «Verschwesterung» Anliegen wie das revidierte Sexualstrafrecht oder die Gendermedizin durchbringen. Es bleiben jedoch Ausnahmen, die hinter einer systematischen Benachteiligung verschwimmen.

Am Wahlabend auf den Frauenanteil zu schielen, bleibt wichtig – allerdings vor allem bei der Exekutive. Denn je mehr Frauen in der Regierung vertreten sind, desto stärker schwindet der «Männerbonus». Auf die Schweiz übersetzt, halbiert sich die Bevorteilung der Männer mit jeder zusätzlich gewählten Bundesrätin. Eine ausgeglichene Repräsentation der Geschlechter leistet also einen messbaren Beitrag zu chancengleicher politischer Teilhabe.

Diese zu erreichen, nimmt uns alle in die Pflicht. So sind ältere Frauen aufgerufen, ihre politischen Rechte tatsächlich wahrzunehmen. Während sich die Wahlbeteiligung junger Frauen und junger Männer kaum mehr unterscheidet, bleibt der «Gender Gap» bei Personen über 65 Jahre besonders ausgeprägt. Auch bürgerliche Wählerinnen und Wähler sollten künftig erwägen, zumindest bei gleicher Qualifikation Kandidatinnen vorzuziehen. Derweil könnte das links-grüne Lager parteiinterne Quoten abschaffen, weil sich seine Wählerschaft inzwischen derart stark zugunsten der Frauen ausspricht, dass die Quoten paradoxerweise vermehrt zum «Männerschutz» werden. Und sämtliche Parteien sollten informelle «Verdienstkriterien» beseitigen, wenn sie die Listenplätze vergeben. Oft portiert der örtliche Parteipräsident lieber den loyalen Parteigenossen, der in eisiger Samstagskälte stundenlang Unterschriften sammelte, als die Mutter, die familiären Pflichten nachging.

Welche weiteren Hebel gäbe es, um darauf hinzuwirken, dass die Politik dem «Durchschnittsmann» nicht länger mehr Gehör schenkt als der «Durchschnittsfrau»? Es zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem Anteil von Frauen mit Hochschulbildung bzw. deren Arbeitsmarktbeteiligung und dem Ausmass des «Männerbonus». Bildungsoffensiven und eine auf bessere Vereinbarkeit zielende Familienpolitik könnten also auch Investitionen in die Demokratie insgesamt sein.

Doch: Ob solche Forderungen künftig mehrheitsfähiger sind, ist höchst fraglich. Zurzeit öffnet sich ein neuer «Supergraben»: Während 18- bis 29-jährige Frauen immer progressiver denken, werden die politischen Ansichten junger Männer immer konservativer. Diese ideologische Zweiteilung der Gen Z wird unter anderem durch die #MeToo-Bewegung oder vermehrte Arbeitsmarktkonkurrenz ausgelöst – und wird politische Folgen haben, gerade weil frühe Sozialisationserfahrungen besonders prägend sind.

Der Politologie-Professor Adrian Vatter und die promovierte Politologin Rahel Freiburghaus von der Universität Bern überprüfen regelmässig gängige Annahmen zu politischen Themen im Licht der politikwissenschaftlichen Forschung.