Politische KorrektheitWas darf man noch sagen?
Immer mehr Begriffe werden als sexistisch, rassistisch oder ausgrenzend gebrandmarkt. Wie man in Zeiten der verbotenen Wörter nicht die Sprache verliert.
Es wäre zum verrückt werden, wenn man denn «verrückt» noch vorbehaltlos sagen dürfte. Doch auch zu diesem Wort, oder zu «crazy», wie es im Englischen heisst, gibt es mittlerweile Einwände, von höchster Stelle gar. Die Elite-Universität Stanford, Kalifornien, publizierte kürzlich eine Liste «schädlicher Wörter», die auf den universitätseigenen Webseiten unbedingt zu vermeiden seien, weil sie rassistisch, sexistisch oder verletzend seien. Das erwähnte «crazy», so ist zu lesen, trivialisiere das Leid psychisch kranker Menschen.
Man mag sagen, diese schwarze Liste schädlicher Wörter sei der leidlich bekannte woke Übereifer, wie er an amerikanischen Universitäten grassiert. Aber Tatsache ist: Noch nie ist so heftig gestritten worden um die politisch korrekte Wahl der Wörter wie heute. Und noch nie war in den Sprachgemeinschaften die Verunsicherung über den angemessenen Ausdruck so gross.
«Schwarze Liste»: Darf man das noch sagen?
Nicht, wenn es nach den Stanford-Sprachwächtern geht, denn der Begriff wecke «negative Assoziationen mit der Hautfarbe Schwarz». Dieser Index der zu meidenden Wörter gehört zu einem Genre, das Hochkonjunktur feiert: den Leitfäden für eine angeblich nicht diskriminierende oder geschlechtergerechte Sprache, wie sie Ämter, Ministerien, Universitäten oder politische Interessengruppen mittlerweile im Wochentakt publizieren.
Sprachphilosophisches für die Polizei
Die Sprachdebatte ist furchteinflössend komplex, und sie fordert mittlerweile alle gesellschaftlichen Instanzen. Beispielsweise teilte vor kurzem die Berliner Polizei in einer Sprachregelung zuhanden ihrer Beamtinnen und Beamten mit: Begriffe wie «Farbige» oder «Dunkelhäutige» dürften wegen ihrer «kolonialistischen und diskriminierenden Bedeutungen» in Personenbeschreibungen keinesfalls mehr verwendet werden. Es solle nur noch, wenn unvermeidbar, von einer «Person mit hellerer bzw. mit dunklerer Hautfarbe» die Rede sein.
Ein geradezu sprachphilosophisches Verständnis verlangt das 29 Seiten starke Papier den Berliner Polizistinnen und Polizisten ab, wenn darin doziert wird, «Begriffe wie Weisssein oder Schwarzsein bedeuten keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern sind eine politische und soziale Konstruktion».
Sprechen und Schreiben, vorrangig das öffentliche, verlangt derzeit von uns allen besonders viel Nachdenken und Sensibilität.
Selbstverständlich, das N-Wort spricht oder schreibt niemand mehr aus (ausser Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der dafür, sprachlich unsensibel, öffentlich als «Nazi» ausgeschimpft wird). Aber darf man überhaupt noch die Abkürzung, den sogenannten Vermeidungsbegriff gebrauchen – oder ist auch das mittlerweile tabu? Und worüber streiten sich eigentlich Schweizer Historikerinnen und Historiker, wenn sie sich uneinig sind, ob das M-Wort und damit noch in Stein gemeisselte Häuserinschriften wie «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» aus Zürichs Stadtbild radiert werden müssen? Was soll man sagen? Was nicht? Was kostet einen Kopf und Kragen?
Wenn Wörter kaputtgehen
Hier kommt ein kluges Buch gerade zur rechten Zeit: «Kaputte Wörter?» betitelt der deutsche Sprachexperte und Journalist Matthias Heine sein im Duden-Verlag erschienenes Buch und schaltet sich am Beispiel von 78 umstrittenen Begriffen in die Debatte um sensible Sprache ein, von A wie «Abtreibung» über K wie «Kolonie» bis Z wie «Zwerg». Dabei liefert Heine nicht eine weitere Verbotsliste ab, vielmehr bereitet er das Wissenswerte über die Bedeutung, die Geschichte und den Gebrauch eines Wortes so auf, dass sich die Leserin und der Leser im besten Fall selbst ein fundiertes Urteil bilden können. Das Buch soll, so sagt der Autor selbst, «darüber aufklären, welche Wörter Kommunikationsstörungen erzeugen können, wenn man sie arglos benutzt».
Die Kapitel zu den einzelnen Wörtern sind alle nach demselben Prinzip aufgebaut: Zuerst Wortursprung und -geschichte, dann bestehende Kritik an der Form des Wortes oder an seinem Gebrauch und am Ende eine Einschätzung des Autors, ob der jeweilige Begriff tatsächlich «kaputt», also nicht mehr zu verwenden, oder noch «reparaturfähig» sei. Die Fakten basieren auf zahlreichen Wörterbüchern und linguistischen Untersuchungen. Ein imposanter Anmerkungsapparat belegt die gründliche Recherche.
Dass Verkehrsbetriebe kaum noch von «Schwarzfahren» sprechen, zeigt, wie aufgeheizt die Debatte ist.
Oft genügt eine einfache etymologische Expertise, um zu beurteilen, ob eine Vokabel diskriminierend oder beleidigend ist. Das «Schwarz» in Schwarzfahren oder Schwarzfahrer etwa steht in keinerlei Zusammenhang mit der Hautfarbe Schwarz, sondern bedeutet «heimlich», «im Verborgenen» – wie in Schwarzmarkt oder Schwarzbrennerei. Dass Verkehrsbetriebe das Wort indessen kaum mehr benützen, sondern umständlich von «Fahren ohne gültigen Fahrausweis» sprechen, zeigt, wie aufgeheizt die Debatte ist, wie gross allenthalben die Angst, unter Rassismusverdacht zu fallen.
Die gleiche Befürchtung liegt der Unsicherheit vieler bei der Verwendung des Ausdrucks «Jude» zugrunde. Selbstverständlich gab und gibt es Antisemitinnen und Antisemiten, die diesen Begriff verwendeten. Das Wort an sich ist von seiner Herkunft indessen keineswegs diskriminierend, und da es die grosse Mehrzahl der Jüdinnen und Juden zur Eigenbezeichnung verwendet, besteht kein Grund, das Wort, zumal in einem respektvollen Kontext, zu tabuisieren.
Anders hingegen der Fall bei «Zigeuner»: Der Begriff wird seit Jahrzehnten schon von Sinti und Roma als rassistisch empfunden und zur Eigenbezeichnung abgelehnt. Dies zu respektieren, ist nicht einmal eine Frage von politischer Korrektheit, sondern ein Gebot der Höflichkeit.
Stanford geht über die Bücher
Buchautor Heine stellt fest, in keiner anderen Sprachgemeinschaft als der deutschen sei die Sorge um die Sprache und den richtigen Ausdruck ausgeprägter; mit einer «quasireligiösen Observanz» werde die Sprache gepflegt. Sicher ist, dass der Sprachenstreit spaltet. Auf der einen Seite diejenigen, die argumentieren, dass Sprachregelung notwendig ist, um eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Auf der anderen Seite wird ins Feld geführt, Sprachvorschriften schränkten die Redefreiheit ein und führten zu einer Kultur der Überempfindlichkeit und Zensur.
Dass die Akteure im Sprachkampf regelmässig überborden, zeigt sich am Beispiel des erwähnten Stanford-Index, der angeblich schädliche Wörter auflistet. Die Veröffentlichung trat weltweit ein heftiges, fast ausnahmslos negatives Medienecho los. Universitätspräsident Marc Tessier-Lavigne musste reagieren, er gab bekannt, die Liste werde noch einmal überdacht.
Im Übrigen sei und bleibe Stanford, Heimat von immerhin 36 Nobelpreisträgern, ein «Ort akademischer Freiheit».
Matthias Heine: «Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache». Duden, Berlin 2022. Fr. 35.90.
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