Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Vereinfachte Pestizid-Zulassung
Sorgen um «hochtoxische Stoffe»: Trinkwasser­versorger schlagen Alarm

Roman Wiget von der Seeländer Wasserversorgung zeigt die im Bau befindliche neue Filteranlage zur Entfernung von Pestiziden aus Trinkwasser.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Roman Wiget kämpft mit der Pestizid­belastung im Berner Seeland.
  • Rund 60’000 Menschen erhalten Trinkwasser aus belastetem Grundwasser.
  • Eine neue Filteranlage soll Pestizide aus dem Trinkwasser filtern.
  • Der Vorstoss Bregy könnte schadstoffreiche Stoffe ohne Prüfung zulassen.

Roman Wiget hat ein Problem. Er versorgt im Berner Seeland rund 60’000 Menschen mit Trinkwasser. Der Geschäftsführer des regionalen Versorgers SWG kann aber einige wichtige Trinkwasserfassungen nicht nutzen, weil in der Region intensiv Landwirtschaft betrieben wird. Das Grundwasser ist deshalb mit Chlorothalonil belastet.

Das Fungizid wurde ab den 70er-Jahren im Acker-, Getreide-, Gemüse- und Weinbau eingesetzt. Später fanden Forscher heraus, dass die Chemikalie wahrscheinlich krebserregend ist. Ab 2020 verboten die Schweizer Zulassungsbehörden deshalb ihren Einsatz.

Trotzdem wird der Stoff bis heute im Grundwasser gemessen. «In unverändert hoher Konzentration», sagt Wiget. Er rechnet mit Jahrzehnten, bis die Konzentration abnimmt. Die SWG baut deshalb zurzeit eine neue Filteranlage. Einmal in Betrieb, filtert sie chemische Rückstände aus dem Trinkwasser. Etwas über 2 Millionen Franken kostet der Bau, pro Jahr sind nochmals 250’000 Franken für ihren Betrieb fällig.

Vorstoss fordert Zulassung von Stoffen aus der EU

Für den Wasserversorger im Seeland wäre es wichtig, dass Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft möglichst zurückhaltend eingesetzt werden. Doch ein Vorstoss im Parlament verlangt das Gegenteil. Im Rahmen einer parlamentarischen Initiative fordert Nationalrat und Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy, dass Pflanzenschutzmittel, die bereits in der EU im Einsatz sind, auch in der Schweiz ohne Zulassungsverfahren eingesetzt werden können. Nur wenn nötig, sollen Produktbewilligungen an die schweizerischen Anwendungsvorschriften angepasst werden. Der Mitte-Vorstoss wurde bereits einmal von den zuständigen Kommissionen angenommen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament hat er gute Chancen, auch im Plenum durchzukommen.

Roman Wiget von der Seeländer Wasserversorgung zeigt eine im Bau befindliche Filteranlage zur Entfernung von Pestiziden aus Trinkwasser.

Rund 80 Wirkstoffe könnten danach neu in die Umwelt gelangen. Die Agrarwissenschaftlerin Eva Goldmann vom WWF hat die Liste genauer untersucht und darunter mehrere problematische Stoffe gefunden: «Auf der Liste finden sich hochtoxische Stoffe, die auch für den Menschen gesundheitsgefährdend sind. Sechs davon sind wasserlöslich und können das Grundwasser gefährden», sagt sie.

Darunter findet sich etwa das Herbizid Halosulfuron-methyl. Gemäss Einschätzung der Europäischen Chemikalien-Agentur (Echa) kann es das ungeborene Kind schädigen. Die EU hat das Mittel deshalb auf eine Liste von Wirkstoffen gesetzt, die wegen ihrer Gefahr für die Gesundheit durch moderne und weniger gefährliche Mittel ersetzt werden sollten.

Auf der Liste der Stoffe, die neu ohne Zulassung in der Schweiz eingesetzt werden könnten, sind auch sogenannte Dinosaurier-Pestizide. Unter diesen Wirkstoffen, die schon länger keiner Prüfung unterzogen wurden, sind etwa Fosthiazate. Vor 23 Jahren wurden sie in Deutschland als Insektizid im Ackerbau zugelassen. Inzwischen kam die Echa zum Schluss, dass der Wirkstoff schädlich für die Fortpflanzung ist – und hochtoxisch für Wasserorganismen. Andere Wirkstoffe, die neu in der Schweiz zur Anwendung kommen könnten, sind nach Einschätzung der US-Umweltbehörde wahrscheinlich krebserregend. Darunter der in Italien zugelassene Unkrautvertilger Diclofop.

Die Landwirtschaft braucht diese Mittel

«Die Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz ist auf Pflanzenschutzmittel angewiesen», sagt Nationalrat Bregy zu seinem Vorstoss. Dieser erhöhe weder Grenzwerte noch den quantitativen Einsatz, im Gegenteil: «Dank der Zulassung der in der EU zugelassenen Mittel sollen den Landwirten zukünftig neuere und damit teilweise auch ökologischere Mittel zur Verfügung stehen.» Denn die Landwirtschaft sei dringend auf neue Wirkstoffe angewiesen: «Ohne neue Pflanzenschutzmittel wird die Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz irgendwann zum Erliegen kommen», sagt Bregy.

Dies sieht auch der Bauernverband so, der die Initiative Bregy unterstützt. Aktuell seien viele Zulassungsverfahren in der Schweiz blockiert, mehr als 700 Gesuche seien bei der Zulassungsstelle beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen hängig. Gleichzeitig seien mehr als ein Drittel der zugelassenen Mittel verschwunden, heisst es beim Bauernverband SBV. «Die Bauern setzen die Pflanzenschutzmittel nicht aus Spass ein», sagt SBV-Sprecherin Sandra Helfenstein. «Vielmehr brauchen sie die Mittel, um Ernten bei Befall von Krankheiten oder Schädlingen zu schützen.» Wenn es nicht genügend Pflanzenschutzmittel gebe, dann werde der Anbau in der Schweiz verschwinden. Stattdessen würden dann weniger nachhaltig produzierte Lebensmittel importiert.

Eva Goldmann vom WWF hält dagegen, die Situation in der EU lasse sich nicht mit jener in der Schweiz vergleichen. «Faktoren wie Hangneigung, höhere Niederschlagsmengen und ein hoher Anteil an Drainagen führen dazu, dass Pestizide hierzulande leichter ins Grundwasser gelangen.»

Schon heute ein Problem mit Stoffen

Aus Sorge ums Trinkwasser lehnt der Schweizer Verband für Wasser, Gas und Wärme den Vorstoss Bregy ab. «Er stellt ein unverhältnismässig hohes Risiko für die Grundwasserqualität und damit die Versorgungssicherheit der Bevölkerung dar», sagt Sprecher Christos Bräunle. Der Verband fordert, dass die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auch künftig ausnahmslos durch nationale Behörden geprüft wird. «Auch um den Risiken und den spezifischen Rahmenbedingungen in der Schweiz Rechnung zu tragen», so Bräunle.

Denn schon heute habe die Schweiz ein Problem mit Stoffen, die ein ordentliches Zulassungsverfahren durchlaufen hätten, sagt Martin Forter von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz. Neue Forschungsergebnisse zeigten, dass teilweise aus früher bewilligten Wirkstoffen heute gesundheitsgefährdende Substanzen geworden seien. «Vor diesem Hintergrund neue Pestizide sogar ohne Prüfverfahren zuzulassen, wäre aus unserer Sicht hochproblematisch.»

Im Seeland prüft man wegen der hohen Kosten für die neue Filteranlage nun eine Haftungsklage. Auf dem Gerichtsweg will die SWG unter der Leitung von Roman Wiget erreichen, dass die Verursacher der Verschmutzung dafür aufkommen. Doch das ist nicht so einfach. «Unseres Erachtens sind nicht die Bauern die Verursacher, sondern die Zulassungsstelle», erklärt Wiget.

Dort, beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), will man sich nicht dazu äussern, verweist jedoch auf einen Bericht zur Chlorothalonil-Sanierung, den der Bundesrat kürzlich veröffentlichte. «Gemäss diesem sind grundsätzlich die Wasserversorgungen dafür verantwortlich, Sanierungsmassnahmen einzuleiten und die Kosten dafür zu tragen», so das BLV. Am Ende braucht es wohl einen Gerichtsentscheid zu dieser Frage.