Persönlichkeit, Intelligenz, BeliebtheitWarum wir uns schlecht selbst einschätzen können
Wie gut kann man sich selbst kennen? Es scheint zumindest keinen Unterschied zu machen, ob man auf die Suche geht oder nicht.

Vor mittlerweile langer Zeit strebte die Mitbewohnerin der Studierenden-WG danach, sich selbst besser kennen zu lernen. Neben Horoskopen waren Persönlichkeitstests in Zeitschriften eines der Mittel ihrer Wahl auf dem Pfad zur erhofften Selbsterkenntnis. Nachdem sie die Tests ausgefüllt und die Magazine fertig gelesen hatte, legte sie die Hefte stets ins Badezimmer, wo sich in einem Korb die Nebenbeilektüre der Wohngemeinschaft stapelte.
Den übrigen Bewohnern der WG war es also vergönnt, die in den Magazinen verschriftlichte Selbsteinschätzung der Mitbewohnerin zu überprüfen. Und sagen wir es so, zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung klaffte regelmässig eine Lücke. Das geheime Urteil mancher WG-Mitglieder lautete: Das Selbstbild der Mitbewohnerin war mehr von Wunsch als Wirklichkeit geprägt.
Das war natürlich ein bisschen gemein, die ausgefüllten Tests nachzulesen, und ob das Urteil der Schnüffler zutraf, sei auch dahingestellt. Allerdings passt die Anekdote zu dem Teilergebnis einer Studie, die Psychologen um Christoph Heine von der Universität Witten/Herdecke gerade im «European Journal of Personality» veröffentlicht haben. Menschen mit starker Motivation, sich besser kennen zu lernen, haben demnach auch kein klareres Bild von sich selbst. Das überprüften die Wissenschaftler, indem sie Probanden baten, ihre Intelligenz, Persönlichkeitseigenschaften und Beliebtheit bei anderen einzuschätzen. Die Ergebnisse kontrastierten die Psychologen dann mit denen valider Tests.
Selbst die motivierten Wanderer auf dem Pfad der Selbsterkenntnis gelangen also kaum ans Ziel. Woran das liegt? Das Motiv zur Selbsterkenntnis gehe meist Hand in Hand mit dem Wunsch, ein grossartiger Mensch zu sein und sich selbst zu verbessern, so die Forscher. Das erträumte Selbstbild könnte also den Blick auf das wahre Ich verstellen: Wer gerne leuchten will, scheut vermutlich den Blick auf seine Schattenseiten. So zeigte sich in den analysierten Daten auch, dass der Wunsch nach Selbsterkenntnis mit einem Hang zu Narzissmus korreliert.
Wer bin ich? Im Alter lässt die Dringlichkeit dieser Frage nach
«Ausserdem bekommen wir oft wenig aussagekräftiges Feedback über uns selbst», sagt Heine. Klar, Freunde und Bekannte ersparen einem (meist) unangenehme Einsichten, und ob nun Persönlichkeitstests in Zeitschriften oder dem Internet valide sind, darf bezweifelt werden. Jedenfalls gelinge es Menschen mit einem ausgeprägten Drang zur Selbsterkenntnis, so die Psychologen, auch nicht besser, aussagekräftiges von wertlosem Feedback zu unterscheiden.
Der Wunsch nach Selbsterkenntnis bleibt dennoch weitverbreitet. Persönlichkeitstests, Smartphone-Apps, Coaches oder andere Angebote: Der Markt der Selbstbespiegelung scheint stetig zu wachsen. Einen besonders ausgeprägten Wunsch danach pflegen, laut den Daten der Psychologen, junge und gut gebildete Menschen, also jene, die auf der einen Seite mutmasslich viel wissen, auf der anderen aber noch keine Ahnung haben, wer sie sind oder werden wollen. In der Lebensphase nach den Studenten-WG-Jahren mag das Ich weiter ein Rätsel bleiben, doch drängen sich andere Fragen in den Vordergrund.
Fehler gefunden?Jetzt melden.