Peinlichkeit im BundeshausLiebe Bürgerliche, was soll das?
Trotz dreifacher Mehrheit im Bundeshaus: SVP, Mitte und FDP bringen kaum ein Projekt innerhalb einer vernünftigen Zeit zustande.
Die politische Sprache in der Schweiz zeichnet sich durch einige Marotten aus, die es so nur hier gibt. Besser gesagt: die es so nur «in diesem Lande» gibt. Bei Kompromissen darf das «Fuder nicht überladen werden», bei der SVP gibt es per se und ausschliesslich «liebi Froue u Manne». Erfolgsmodelle sollten besser nicht «an die Wand gefahren» werden (vor allem nicht, wenn es um das «Schweizer Erfolgsmodell» geht), die «Spiesse müssen immer gleich lang» sein.
So weit, so bekannt. So weit, so ausgeleiert. Erfahrene Schweizer Politikerinnen und Politiker haben diese Hülsen alle drauf, sie beherrschen sie «aus dem Effeff» und «im Schlaf».
Wirklich erfahrene Schweizer Politikerinnen und Politiker kennen noch die zweite Stufe unserer Politsprache. Jene der Codes – und des Understatements. Zum Beispiel bei diesem Satz: «Spätestens nach den Rückmeldungen, die ich in den letzten Tagen erhalten habe, ist auch mir bewusst, dass es anspruchsvoll wäre, die Bevölkerung davon zu überzeugen, höhere Steuern für die Armee zu bezahlen.»
FDP-Ständerat Josef Dittli hat diesen Satz gesagt. Er schlug in einer Zeitung vor, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um mehr Geld für die Armee aufzutreiben. Kam nicht so gut an.
Übersetzt in normale Sprache bedeutet der Dittli-Satz sinngemäss das: «Mein Gott, haben die Leute stinkig auf meinen Vorschlag reagiert. Niemals im Leben zahlen die mehr Steuern für die Armee. NIE IN HUNDERT JAHREN!!»
Die Idee von Dittli kam nicht nur in der Zeitung – sie wurde auch in der Sicherheitskommission des Ständerats diskutiert. Einstimmig war die Kommission dafür, auch die Mitglieder von SVP und FDP, die vor dem Eintritt ins Bundeshaus fast schon schwören müssen, niemals für neue Steuern zu sein.
Auf ihr Ja zur Erhöhung der Mehrwertsteuern für die Armee angesprochen, machten viele sofort wieder einen Rückzieher. Darunter auch Josef Dittli. «Das war in keiner Weise ein Vorentscheid für eine Steuererhöhung. Jetzt müssen wir einmal richtig anfangen zu sparen – danach schauen wir weiter», sagte er der NZZ.
Das ist verwirrend.
Und es ist eine weitere Episode einer nun schon mehr als zwei Jahre andauernden Geschichte, die dieselbe NZZ kürzlich als «bürgerliches Trauerspiel» bezeichnet hat, das «langsam peinlich» werde.
Die bürgerlichen Parteien SVP, Mitte und FDP haben zusammen die Mehrheit im Bundeshaus. Im Nationalrat, im Ständerat, im Bundesrat. Diese Mehrheit hat kurz nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine beschlossen (und diesen Entscheid danach mehrmals bestätigt), dass die Armee möglichst schnell viel mehr Geld erhalten soll. Fast dreissig Milliarden Franken für die Jahre 2025 bis 2028, das ist ein Drittel mehr als im gleichen Zeitraum zuvor.
Nur: Wie dieses Geld beschafft werden soll, das wissen die drei bürgerlichen Parteien nicht (so wenig wie die Armee weiss, was sie mit dem Geld überhaupt kaufen soll – aber das ist ein anderes Kapitel).
Das ewige Hin und Her bei der möglichen Armeefinanzierung, das Ventilieren von allen möglichen Ideen, wirft ein schlechtes Licht auf das Parlament als Ganzes. Ganz offensichtlich reicht eine dreifache politische Mehrheit in Bern nicht aus, um ein Projekt innerhalb einer vernünftigen Zeit zustande zu bringen. Zu unterschiedlich sind die Meinungen innerhalb der Mehrheit, zu unflexibel die Positionen.
Die Finanzierung der Armee ist dabei nicht das einzige Beispiel. Ob das gross angekündigte Sparprogramm je so umgesetzt wird? Fraglich. Ob es je eine Lösung mit der EU gibt? Mehr als fraglich.
Es scheint fast so, als sei auch das Regieren mit einer komfortablen bürgerlichen Mehrheit etwas «anspruchsvoll».
Aber das nur im Sinne einer «Rückmeldung».
Philipp Loser ist Redaktor des «Tages-Anzeiger».
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