Kampf gegen CoronaPatentschutz für Covid-Impfstoffe wackelt
Die USA, die EU und wichtige Schwellenländer wollen den Patentschutz bei Impfstoffen aussetzen. Doch bis Vakzine in Schwellenländern günstiger gefertigt werden können, ist es noch ein weiter Weg.
Die Welthandelsorganisation WTO nähert sich einem Kompromiss an, um Covid-Impfstoffe leichter Schwellen- und Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Ein solcher Durchbruch würde es erlauben, Impfstoffe ohne Rücksicht auf den Patentschutz zu produzieren und so die Impfquote in ärmeren Ländern zu erhöhen.
In der Patentschutzfrage haben die USA, die EU sowie Indien und Südafrika nun einen Kompromiss erzielt, wie das US-Handelsministerium am Dienstagabend mitteilte. Noch müsse eine definitive Lösung erarbeitet werden, doch der Kompromiss sei «der aussichtsreichste Weg hin zu einer konkreten und substanziellen Lösung» der Pandemie. Die WTO bezeichnete die Einigung als «riesigen Schritt nach vorn».
Lösung mit Löchern
Obwohl so eine wichtige Hürde für eine flächendeckende Impfung in Entwicklungsländern beseitigt werden könnte, ist der Kompromiss voller Schlupflöcher. Der Patentschutz soll nur für Impfstoffe, nicht aber für Covid-Medikamente, Tests und Diagnosen ausgesetzt werden, wie das Politikmagazin «Politico» nach Einsicht in den Vertragsentwurf schreibt.
Laut der Deutschen Presseagentur soll die Freigabe zudem nur für Entwicklungsländer gelten, die 2021 nicht mehr als 10 Prozent ihrer Impfdosen exportiert haben. Diese Regelung zielt offenbar auf China und Indien, die eine eigene Impfstofffertigung haben und Exporteure sind.
NGO haben Zweifel
Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen reagieren denn auch skeptisch. «Das sind kleine Schritte, die die Interessen der Pharmafirmen höher gewichten als Menschenleben», sagte Patricia Ranald vom Australien Fair Trade & Investment Network. Andererseits hat die WTO endlich eingesehen, dass die Regeln geändert werden müssen.
Denn derzeit sind nur vier Prozent der Bevölkerung der ärmsten Länder zweimal geimpft. Das sei ein «katastrophales moralisches Versagen», kritisierte Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Die Diskussion um einen Verzicht des Patentschutzes auf Impfstoffen war von Indien und Südafrika lanciert worden, also von zwei Staaten, die in der Lage sind, Generika für ärmere Länder herzustellen. Sie verlangten allerdings, dass die Aufhebung des Patentschutzes auch auf Medikamente, Tests und Diagnosemittel ausgeweitet wird. Zudem sollte dies solange gelten, bis die Pandemie beendet ist.
Der Kompromiss beschränkt sich nun offenbar nur auf Impfstoffe. Zudem soll offenbar der Patentschutz nur für drei oder fünf Jahre ausgesetzt werden. Ebenfalls nicht erfasst wird der Technologietransfer, was die Entwicklung der Generika verlangsamen dürfte.
164 Länder müssen zustimmen
Das ist das Kernargument der Pharmaindustrie gegen eine Aufhebung des Patentschutzes: Ohne eine klare Regelung für den Wissenstransfer sei angesichts der komplexen Fertigung eines Covid-Impfstoffes allein die Aufhebung des Patentschutzes nutzlos. Moderna zum Beispiel stellt während der Pandemie das Patent für seinen Impfstoff gratis zur Verfügung, ohne Lizenzgebühren zu verlangen.
Ein Abkommen in der Streitfrage muss nun von sämtlichen 164 WTO-Mitgliedstaaten gutgeheissen werden. Die USA hatten im vergangenen Mai dem Verzicht auf den Patentschutz für Impfstoffe zugestimmt, und Australien und Neuseeland folgten nach.
Die EU hielt sich bisher zurück, ist nun aber auch auf den Zug aufgesprungen. Nach ihrer Ansicht muss nach einer Wartefrist von sechs Monaten auch über den Patentschutz für Medikamente und Diagnosemittel entschieden werden, wie das Indien und Südafrika fordern. Die Schweiz hat sich bisher gegen Lockerungen beim Patentschutz ausgesprochen.
Pfizer steigerte seinen Gewinn von 9,1 auf 22 Milliarden Dollar im Jahr 2021.
Für die Pharmafirmen dürfte die Aufhebung des Patentschutzes leicht verkraftbar sein, den hochprofitabel ist das Geschäft nur im Westen. Pfizer liefert gemäss Reuters eine Impfdosis für 3 bis 10 Dollar an afrikanische Länder, und dies bei Produktionskosten von 6,75 Dollar. Auch andere Hersteller betonen, Entwicklungsländer würden zum Selbstkostenpreis beliefert.
Kräftig kassiert wird dagegen vor allem in Industrieländern, wo Impfungen staatlich subventioniert werden. So kostet eine Impfdosis von Biontech/Pfizer in der EU 19,50 Euro, Moderna verlangt 21,50 Euro. Wie viel die Schweiz den Herstellern bezahlt, ist nicht öffentlich. Bekannt ist dagegen, dass die Krankenversicherer dem Bund seit Anfang Jahr 25 Franken je Impfdosis zahlen müssen. Zuvor betrug die Pauschale 5 Franken.
Den Pharmafirmen spülen die Impfstoffe enorme Gewinne in die Kassen. Beispiel Pfizer: Nach einem Profit von 9,1 Milliarden Dollar im Jahr 2020 wies der Konzern für das vergangene Jahr einen Gewinn von 22 Milliarden aus. Für das laufende Jahr erwartet der Konzern gar 32 Milliarden Dollar.
Der grösste Gewinntreiber dürfte das neue Covid-Medikament Paxlovid sein, das gemäss dem WTO-Kompromiss in Entwicklungsländern patentgeschützt bleiben soll. Der Profit der Pharmaindustrie mit Covid-Mitteln dürfte dieses Jahr auf über 100 Milliarden Dollar steigen.
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