Papablog: Unterschiedliche LiebeswegeGut getrennte Eltern
Unser Autor wirft einen Blick auf romantische Beziehungsideale und feiert die Vielfalt der Liebe. Ein Plädoyer für Offenheit und Diversität in Liebesbeziehungen.
«Was ist euer Geheimnis?» Je länger man als Paar, zumal als Elternliebespaar, einigermassen erfolgreich liiert ist, umso häufiger wird man mit dieser Frage konfrontiert. Liebevolle Langzeitbeziehungen gelten als das Mass aller Dinge. Für immer und ewig grosse Gefühle, romantische Gesten und natürlich auch sehr häufiger geiler Sex. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem beide schlagartig alt werden. Dann sollen ältere Pärchen nur romantisch Händchen halten und zärtliche «Früher, weisst du noch»-Blicke austauschen und nicht etwa Körperflüssigkeiten. Die werberelevante Zielgruppe (20–59 Jahre) findet die Vorstellung nämlich einigermassen gruselig, dass welke Körper noch begehren. Das führt einem dann doch zu deutlich vor Augen, dass man selbst verwelken wird. Bevor wir uns das eingestehen, tun wir lieber weiter überrascht bei Meldungen darüber, dass bei Seniorinnen und Senioren die Anzahl der sexuell übertragbaren Krankheiten steigt.
Entzauberung der Langzeitliebe
Die Rahmenhandlung steht also: Er trifft sie und sie trifft ihn, grosse Liebe, Ehe, beruflicher Erfolg und Elternschaft. Ein bis zwei Vögeleien die Woche, Jahresurlaub irgendwohin, wo es netter ist als daheim. Grosselternschaft, Händchenhalten und Taubenfüttern im Park. Allerdings umgibt diesen Ablauf kein Geheimnis, sondern ein Missverständnis. Was nach der allgemeingültigen Vorlage für Liebesbeziehungen klingt, ist in Wahrheit ein Spezialfall, der für die meisten Menschen viel zu eng ausgelegt ist. Als Mann, der seit mittlerweile knapp 30 Jahren in einer Liebesbeziehung steckt, kann ich es Ihnen ja sagen: Die Langzeitliebesbeziehung wird vollkommen überschätzt. Sie ist ein interessantes Phänomen und kommt wohl auch gelegentlich schon mal vor, aber als einheitliche Beziehungsversion für alle ist sie absolut untauglich.
Warum sollte man mit einem Menschen, den man liebt, automatisch gut zusammenleben und/oder liebevoll und erfolgreich Kinder grossziehen können? Warum sollte man sich über Verantwortlichkeiten, Finanzen, Urlaubsorte oder Kühlschrankinhalt einig sein, nur weil man sich liebt? So funktionieren Menschen nicht. Trotzdem scheinen wir nach wie vor besessen von romantischen Beziehungsidealen und bewerten andere Beziehungen dementsprechend.
Die Liebesbeziehung von meiner Lebenskomplizin und mir wird beispielsweise immer wieder für die Übererfüllung romantischer Ansprüche gelobt. Für ihre Dauer. Für die Anzahl der Kinder, die aus ihr hervorgegangen sind. Für ihre Konfliktarmut. Dabei können gute Liebesbeziehungen auch «nur» 4 Monate dauern, kinderlos sein und viel Konfliktpotenzial haben. Und meine könnte schlecht sein, weil wir uns eigentlich nicht trauen, uns endlich zu trennen, ich nach dem zweiten Kind behauptet habe, eine Vasektomie vornehmen zu lassen, und wir unsere Konflikte einfach nur nicht austragen. Eine Beziehung nach romantischen Kriterien zu bewerten, macht überhaupt keinen Sinn. Es gibt sehr viel wertvollere Dinge, von denen man sich für die eigene Beziehung inspirieren lassen kann:
Wenn wir uns trennen sollten, dann so wie die beiden.
Ich möchte über meinen Ex-Partner / meine Ex-Partnerin so wie diese Person sprechen.
Die streiten sich richtig gut.
Die grenzen sich prima ab.
Die kriegen das als getrennte Eltern super miteinander hin.
Es gibt unendlich viele Versionen von Liebesbeziehungen. Viele davon können sehr grossartig sein. Indem wir die eine bevorzugen, werten wir nicht nur andere bis zur Unmöglichkeit ab, sondern überhöhen ein Modell zur Allgemeingültigkeit, das auch nur manchmal gut ist.
Das sollten wir vielfältiger hinbekommen. Um nicht zu sagen: liebevoller.
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