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Rekord-Zahlen
Anstieg von Krokodilattacken versetzt Indonesier in Angst

Ein Krokodil namens Karossa, das in einem Gehege in Budong-Budong, Sulawesi, Indonesien ruht, nach einem tödlichen Angriff in Karossa.
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Fast sieben Monate nach einer Krokodilattacke, die um ein Haar ihr Leben gekostet hätte, fasste sich Munirpa ein Herz, wagte sich mit ihrem Mann und ihren Kindern in das Flussmündungsgebiet nahe ihrem Haus – da, wo das Reptil zugeschlagen hatte. Es geschah an einem Augustmorgen im vergangenen Jahr, als  Munirpa – die wie viele Indonesier nur einen Namen benutzt – wie gewohnt ihren Haushaltsmüll in einen 50 Meter entfernten Bach warf. Es ging blitzschnell – zu dem Zeitpunkt, an dem sie erfasste, was sich ereignete, hatte das vier Meter lange Krokodil bereits massiv zugebissen, praktisch nur ihr Kopf war noch gänzlich verschont.

Sie wehrte sich, versuchte, mit ihrem Finger in die Augen des Angreifers zu stechen. Ihr Mann, der sie schreien hörte, rannte herbei und fasste sie beim Oberschenkel, um sie dem Maul der Bestie zu entreissen. Es folgte eine Art Tauziehen, das der Mann schliesslich – gerade noch rechtzeitig für Munirpa – gewann.

Die Familie wohnt im Bezirk Central Mamuju in der Provinz Westsulawesi auf der indonesischen Insel Sulawesi, da, wo der Fluss Budong-Budong ins Meer mündet. Die Leute hier leben mit der Krokodilgefahr und manche sterben an ihr – und sie sind nicht die einzigen. Die 48-jährige Munirpa war nur eines von fast 180 Opfern von Krokodilattacken im vergangenen Jahr in Indonesien, die den Behörden gemeldet wurden. Einwohner wie sie haben es lernen müssen, mit diesen Tieren, die in Indonesien gesetzlich geschützt sind, zu koexistieren – indem sie auf der Hut sind. Aber angesichts der Zunahme von Attacken werden unter Einwohnern und Experten Stimmen laut, die ein Eingreifen der Regierung fordern, um das Problem zu stoppen, bevor es noch grösser wird.

Rekord-Anzahl an Attacken

Die 179 Angriffe 2024 in Indonesien waren weltweit die höchste Zahl in einem einzelnen Staat und laut der unabhängigen Datenbank CrocAttack wurden 92 der Opfer getötet. In Sulawesi gab es zehn Attacken mit drei Toten. Munirpa verbrachte einen Monat im Krankenhaus und wurde zwei Mal operiert. Als Reporter der Nachrichtenagentur AP unlängst mit ihr sprachen, war ihre Furcht noch klar sichtbar – wie die Narben auf ihren Beinen. «Ich habe solche Angst. Ich will nicht an den Strand gehen. Ich wage mich nicht einmal hinter das Haus», so Munirpa. Sie habe auch ihre Kinder angewiesen, nicht an den Fluss, in den Garten oder fischen zu gehen. 

In den Dörfern wie ihrem in der Umgebung des Budong-Budong sind die Krokodile zu einem täglichen Gesprächsthema geworden. Es gibt hier so viele von ihnen, dass jetzt Warnzeichen die Gebiete markieren, in denen sie lauern – sei es in der Flussmündung oder in anderen Wasserstrassen, in denen einst Kinder schwammen und planschten. 

Rusli Paraili, ein Krokodilpfleger, füttert ein gerettetes Krokodil in einem Gehege in Budong-Budong, Westsulawesi, Indonesien, am Montag, den 24. Februar 2025.

Problem: Palmöl-Plantagen

Der Anstieg der Zahl von Attacken begann vor ungefähr 12 Jahren, als Palmöl-Plantagen an der Flussmündung zunehmend populär und häufiger wurden, wie der 39-jährige Rusli Paraili sagt, der jeden Tag auf einer speziellen Farm mit Krokodilen umgeht. Manche Unternehmen legten künstliche Wasserwege an, verbanden sie mit dem grösseren Teil des Budong-Budong – und das war der Zeitpunkt, an dem die Reptilien herumzuschweifen begannen, den Fluss verliessen und in Fisch- oder Krabbenteiche nahegelegener Wohngebiete krochen. 

Palmöl-Plantagen beherrschen jetzt die Landschaft in Westsulawesi, von den Bergen bis zur Küste. Ausschau nach Krokodilen zu halten ist Teil der täglichen Routine von Einwohnern geworden. Mit Taschenlampen leuchten sie in ihre Teiche und die Kanäle, wenn sie dort zu tun haben – resigniert akzeptierend, dass sie sozusagen ihr Zuhause mit einem Raubtier teilen.

Salzwasserkrokodile sind in Indonesien seit 1999 gesetzlich geschützt, das heisst, sie sind eine Spezies, nach der nicht frei gejagt werden darf. Und da es sich um ein Raubtier handelt, gibt es auch keine Widersacher in der Natur, die zur Populationskontrolle beitragen könnten.

Krokodil-Warnschild am Fluss in Budong-Budong, West-Sulawesi, Indonesien, mit der Aufschrift: ’Achtung Krokodil! Bitte seien Sie beim Tätigsein am Fluss wachsam. Krokodil könnte auf der Lauer liegen.’ Im Hintergrund sind ein Fluss, Boote und Palmen zu sehen.

Gefährliche Zunahme

Paraili räumt ein, dass die Zunahme der Angriffe ein grosses Problem ist. Als Antwort darauf betreut er Krokodile auf einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Farm – weit entfernt von Menschen. Die Regierung und Palmöl-Unternehmen greifen ihm seit fünf Jahren mit Zuschüssen unter die Arme. Hinzu kommen noch Spenden aus den Gemeinden. Wenn das Geld knapp wird, benutzt er sein eigenes, um sicherzustellen, dass die Reptilien gefüttert werden. Manche der insgesamt 50 Schützlinge in vier Teichen haben Namen, das grösste Exemplar von ihnen – geformt wie ein Schiff – heisst zum Beispiel Tanker. 

Reptilien-Spezialist Amir Hamidy von Indonesiens nationaler Behörde für Forschung und Innovation fürchtet, dass die Zahl der Krokodile bei weitem zu gefährlich hoch wird, – was sich in der Zunahme der Angriffe widerspiegele. Er ist für eine bessere Populationskontrolle, meint, dass der Schutz einer Spezies «nicht zwangsläufig heisst, dass die Population nicht reduziert werden kann, wenn sie ein in der Tat unsicheres Mass erreicht».

Auch Paraili glaubt, dass die Regierung handeln muss. Es gehe um menschliches Leben, betont er und warnt, dass es im Fall von Untätigkeit in den kommenden Jahren noch mehr Attacken geben werde. Suyuti Marzuki, Leiter der Behörde für Meeresangelegenheiten und Fischerei, sagt, dass die Regierung über Möglichkeiten nachdenke, die  den Einwohner sowohl mehr Sicherheit als auch wirtschaftliche Alternativen bieten könnten. Er nannte in diesem Zusammenhang auch einen Handel mit Krokodilhäuten als eine Option, doch das wäre ein äusserst kontroverser Weg.

Aber zumindest vorläufig werden Einwohner wie Munirpa noch mit der Gefahr leben müssen und können nur hoffen, dass die zuständigen Stellen möglichst rasch realistische Schritte zu ihrer Sicherheit ergreifen «Es ist genug, dass ich von einem Krokodil gebissen worden bin», sagt die Indonesierin. «Ich werde es nicht zulassen, dass es meinen Kindern widerfährt.»

DPA/aeg