Duell der GigantenWelcher Film soll bei den Oscars abräumen, «Barbie» oder «Oppenheimer»?
«Barbenheimer» war der Hype des letzten Sommers. Doch welcher der beiden Kassenschlager darf am Sonntag auf keinen Fall leer ausgehen? Unsere Argumente.
Wieso «Barbie» gewinnen muss
Ich kann es mir einfach machen: «Barbie» muss nur schon deswegen den Oscar für den besten Film gewinnen, weil weder Regisseurin Greta Gerwig noch Hauptdarstellerin Margot Robbie in ihren jeweiligen Kategorien nominiert sind. Was für ein Affront. Der Hauptpreis würde zumindest für diese Missachtung entschädigen.
Aber vermutlich ist es komplizierter. Klar, «Barbie» ist eine frische Komödie, die zeigt, welche Kreativität selbst dort möglich ist, wo ein Spielzeughersteller das Budget vorgibt und jede Drehbuchfassung durchliest – und zwar, wie man lesen konnte, mit zunehmendem Entsetzen. «Barbie» ist ein verspielter, fast kindlicher Spass, der die Popkultur umarmt, aber auch die Bilder reflektiert. So ironisiert der Film, dass die schöne Margot Robbie als Barbie besetzt worden ist. «Barbie» ist eine Autorenkomödie, die zum Welterfolg wurde.
Relativ schnell nennt man solchen Stoff feministisch. Aber «Barbie» ist nicht einfach nur ein emanzipatorisches Manifest, sondern reicht tiefer. Die Komödie hinterfragt das, was an Barbie als Idealvorstellung dranhängt. Nämlich dass Frauen alles Mögliche sein können, weil es auch alle möglichen Puppen gibt; Ärztin-Barbie, Astronautin-Barbie und so weiter.
Die Realität in «Barbie» sieht anders aus. Hier reden Managertypen im Sitzungszimmer über die Vorteile weiblicher Handlungsfähigkeit, doch weit und breit ist keine Managerin zu sehen. Die Barbies sind scheinbar glücklich, aber stromlinienförmig. Feminismus wird als Produktangebot rumgereicht, erweist sich aber als inhaltsleer. Die Komödie ist auch eine Kritik an all dem, was sich als weibliches Empowerment verkauft.
Entsprechend ist «Barbie» auch viel mehr als ein abendfüllender Werbespot für ein Spielzeug. Nichts interessiert «Barbie» weniger als die reine Perfektion einer Puppe. Im Gegenteil, Regisseurin Greta Gerwig hat einen Film gemacht, der das Bekannte mit anderen Augen betrachtet.
Barbie befreit sich, weil sie sich aus der Illusion verabschiedet. Gerwig liefert damit auch einen hintersinnigen Kommentar zur Strategie von Hollywoodstudios und anderen Konzernen, die aus Marken, die man überall kennt, so viel fiktionalen Content wie möglich herausklopfen wollen – seien das «Star Wars» und «Spiderman» oder Nike und «Tetris». «Barbie» ist der lebendige Beweis, dass man auch auf originelle Weise umgehen kann mit Dingen, die wir schon kennen.
«Oppenheimer» ist am Sonntag natürlich der grosse Favorit. Mein Verdacht ist, dass der Film nicht zuletzt deshalb so schwer fasziniert, weil hier ein Team aus superklugen Köpfen mit gewaltigen Ressourcen an einem epochal wichtigen Projekt arbeitet. Zu so einem Team möchte man doch auch gehören! Tatsächlich ist Filmemachen, jedenfalls wenn man es auf dem Level von Christopher Nolan betreibt, ja nicht viel anders als das, was die Wissenschaftler in Los Alamos tun. Eine verschworene Gruppe heckt etwas ganz Grosses aus.
«Oppenheimer» ist auch ein Film über den Kinozauber. Bis hinein in die Bombentestszene, wo der Physiker zuschaut, als stünde er in der Vorführkabine eines Kinosaals.
«Barbie» aber ist ein Film, der über die Leinwand hinaus direkt ins Leben zielt. Deswegen muss er am Sonntag gewinnen. Pascal Blum
Wieso «Oppenheimer» gewinnen muss
Zugegeben, man kann sich schon fragen, wieso man sich in Kriegs- und Krisenzeiten noch einen dreistündigen Film über die Geburt der Atombombe reinziehen soll. Geschweige denn, wieso ein Biopic wie «Oppenheimer» den Oscar für den besten Film gewinnen soll.
Aber abgesehen von der Tatsache, dass Massenvernichtungswaffen heute so relevant sind wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, sind es drei überwältigende Stunden, die man so im Kino bisher nicht erleben konnte. Weil es der britisch-amerikanische Regisseur Christopher Nolan schafft, eine solche Spannung zu erzeugen, dass man sich fast nicht mehr zu atmen getraut – und das bei einem Film über einen theoretischen Physiker.
Aber «Oppenheimer» ist mehr als nur eine faszinierende Charakterstudie des ambivalenten, widerborstigen und zugleich genialen Wissenschaftlers J. Robert Oppenheimer, der innerlich ob seiner Freude und seinem Schrecken vor seiner Erfindung zerrissen ist. Er ist auch Wissenschaftsthriller und Kriegsfilm, indem er den Wettlauf der Amerikaner gegen die Nazis nachzeichnet, die Atomkernspaltung beherrschen zu wollen. Und dann sind da noch politische Intrigen und die Schikanen der McCarthy-Ära, denen Oppenheimer nach Kriegsende ausgesetzt ist.
Dabei ist der Film nicht chronologisch aufgebaut, sondern arbeitet mit Rückblenden. Aber es wäre ja auch kein Nolan-Film, wenn die Erzählweise nicht vertrackt wäre, wenn er nicht die Intelligenz des Zuschauers herausfordern würde. Wir springen in «Oppenheimer» zwischen Jahrzehnten hin und her, Konversationen werden plötzlich abgeschnitten, bevor sie weitergeführt werden.
Auch in «Barbie» gibt es immer wieder Unterbrechungen, die vielleicht für Lacher sorgen, aber für die Handlung völlig irrelevant sind. Während «Barbie» ein chaotisches Durcheinander bleibt, geschieht bei «Oppenheimer» nichts ohne Grund. Nolan fusioniert und spaltet Szenen, so wie es bei Atomen möglich ist. Dennoch führt eines unweigerlich zum anderen, alles ist eine grosse Kettenreaktion. Der virtuose Filmaufbau unterstreicht die entscheidende Frage, die Oppenheimer Einstein am Anfang des Films stellt: Wird die Explosion der ersten Atombombe eine Kettenreaktion in Gang setzen, die nicht aufhört und die Erde vernichtet?
Diese Frage wird später von Oppenheimer selbst mit «Ja» beantwortet. Seine Schöpfung hat die Menschheit für immer zerstört. Es ist eine der erschütterndsten Schlussszenen in der Filmgeschichte. Klar, «Oppenheimer» ist ein ernsthafter, pessimistischer und teilweise verstörender Film – und kann nicht wie «Barbie» mit Humor und Tanzeinlagen bespassen. Aber im Gegensatz zu «Barbie» ist er keine leere Hülle, die unter dem Vorwand von Feminismus Kommerz betreibt.
«Oppenheimer» dient keiner Marke, sondern dem Diskurs, indem er grundlegende ethische Fragen aufwirft: Was sind die Vor- und Nachteile von wissenschaftlichen Errungenschaften? Und welche Verantwortung haben Wissenschaftler gegenüber der Menschheit?
Auch Szenen für die Ewigkeit gibt es in «Barbie» wenige bis keine – in «Oppenheimer» aber etliche, die sich ins Hirn einbrennen. Allein für diese hat der Film einen Oscar verdient: Nach jahrelanger Forschung testen die Wissenschaftler des Manhattan-Projekts in der Wüste von Los Alamos zum ersten Mal eine Atombombe.
Doch nach dem Countdown bis zur Detonation ist wider Erwarten kein ohrenbetäubender Knall zu hören – es herrscht gefühlt minutenlange, unerträgliche Totenstille. Dann erstrahlt ein glühender, furchterregend schöner Feuerball am Himmel. Lisa Füllemann
Oscars 2024 – die weiteren Duelle
Ab Sonntag, 23 Uhr tickern wir die ganze Nacht hindurch live von der Oscar-Nacht.
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