Veränderte Lage in WeissrusslandLukaschenko will Verfassungsänderung für Neuwahlen
Der Präsident hat nach tagelangen Massenprotesten in Weissrussland Verfassungreformen vorgeschlagen, die zu Neuwahlen führen könnten. Bei Besuchen in Betrieben wird er ausgebuht.
Staatschef Alexander Lukaschenko sagte am Montag im Staatsfernsehen, «dass wir eine neue Verfassung brauchen. Dazu müssen wir aber ein Referendum abhalten.» Erst mit einer neuen Verfassung könnte es, falls gewünscht, neue Abstimmungen für den Posten des Präsidenten, des Parlaments und andere wichtige Ämter geben.
Bislang hatte sich Lukaschenko strikt gegen Neuwahlen ausgesprochen. Es sei bereit einen Kompromiss zu finden, aber nicht unter dem Druck von Protesten. Auch die Wahlkommission betonte abermals, dass sie keine Grundlage für eine Neuauszählung der Abstimmung sehe.
Die Wahlkommission hatte Lukaschenko nach der Abstimmung 80,1 Prozent der Stimmen zugesprochen. Swetlana Tichanowskaja soll nur 10 Prozent erhalten haben. Ihre Anhänger halten sie für die rechtmässige Siegerin der Wahl und gehen von massiven Manipulationen aus. Seit Tagen gibt es in der Ex-Sowjetrepublik Massenproteste gegen die Staatsführung um den Langzeit-Präsidenten. Dabei gab es Tausende Festnahmen, die meisten Inhaftierten wurden aber wieder freigelassen.
Angesichts der seit mehr als einer Woche andauernden Massenproteste im Land will sich die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja an die Spitze der Bewegung gegen Staatschef Lukaschenko stellen. «Ich bin bereit, in dieser Zeit Verantwortung zu übernehmen und als nationale Anführerin zu handeln», sagte die 37-Jährige am Montag in einer Videobotschaft aus ihrem Exil im EU-Land Litauen. Sie hoffe, dass sich mit diesem Schritt das Land beruhige, alle politischen Gefangenen freigelassen und so bald wie möglich neue Präsidentschaftswahlen angesetzt werden könnten.
Tichanowskaja hatte Belarus aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder verlassen. Ihre Unterstützer sehen sie als die eigentliche Gewinnerin der Präsidentenwahl vor gut einer Woche, die von massiven Fälschungsvorwürfen überschattet war. Sie hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, als Präsidentin Neuwahlen auszurufen.
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«Ich habe und hatte keine Illusionen in Bezug auf meine politische Karriere», sagte sie. «Ich wollte kein Politikerin sein, aber das Schicksal fügte es so.» Das wichtigste sei die Unabhängigkeit von Weissrussland. «Sie ist die Konstante, die unter keinen Umständen verloren gehen darf.»
Sie forderte in dem Video die Sicherheitskräfte und Mitarbeiter der Justiz auf, die Seite zu wechseln: «Wenn Sie sich entscheiden, keine kriminellen Befehle mehr auszuführen und sich an die Seite der Menschen zu stellen, werden diese Ihnen vergeben.»
Zu Wochenbeginn traten Arbeiter in vielen Staatsbetrieben in den Streik. Die Fabriken gelten in der Ex-Sowjetrepublik als elementar für das Funktionieren des Staates. Experten gehen davon aus, dass Lukaschenko über die Arbeitsniederlegungen nach 26 Jahren an der Macht am schnellsten zum Aufgeben gedrängt werden kann.
Menschen rufen Lukaschenko zu: «Hau ab»
Die Staatsagentur Belta behauptete am Montag, dass die Werke im Land «im Grossen und Ganzen funktionieren». Lukaschenko sagte: «Diejenigen, die arbeiten wollen, sollen arbeiten. Wenn nicht, dann werden wir sie auch nicht dazu zwingen.» Wenn 150 oder sogar 200 Menschen streikten, dann habe das keinen Einfluss auf den Betrieb.
Lukaschenko flog am Vormittag mit einem Hubschrauber auf das Werksgelände. Während der Rede riefen ihm die Beschäftigten «Hau ab» entgegen, wie in Videos zu sehen war. Im Nachrichtenkanal Telegram gab es Aufnahmen von Versammlungen in Betrieben und Mitarbeiter, die ihre Fabriken verlassen hatten und auf der Strasse demonstrierten.
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Auch das Staatsfernsehen hatte am Montag Sendeprobleme, weil Mitarbeiter entweder streikten oder prominente Moderatoren gekündigt haben. Für den Abend war in der Hauptstadt Minsk eine neue Grosskundgebung geplant. Bereits am Sonntag demonstrierten im Stadtzentrum Hunderttausende gegen Gewalt und Willkür unter Lukaschenko. Viele forderten auch seinen Rücktritt und Neuwahlen.
EU-Ratschef beruft Sondergipfel ein
Angesichts der Massenproteste nach der Präsidentenwahl in Belarus (Weissrussland) hat EU-Ratschef Charles Michel für Mittwoch (12.00 Uhr) einen EU-Videogipfel angesetzt.
Die Menschen in Belarus hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel am Montag auf Twitter. Gewalt gegen die Demonstranten sei inakzeptabel.
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Die Europäische Union brachte wegen der Polizeigewalt bereits am Freitag neue Sanktionen gegen Unterstützer des Staatschefs Lukaschenko auf den Weg. Zudem sollen Strafmassnahmen gegen Personen verhängt werden, denen eine Fälschung der Präsidentenwahl am vergangenen Sonntag vorgeworfen wird, wie die Aussenminister der 27 Staaten einstimmig entschieden.
«Die EU akzeptiert die Wahlergebnisse nicht», teilte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell nach den Ministerberatungen mit. Man arbeite nun daran, diejenigen zu sanktionieren, die für Gewalt und Fälschungen verantwortlich seien.
SDA/aru/fal
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