Kolumne OmbudsmannIm Clinch konkurrierender Narrative – über die Gewichtung von Ereignissen
Was verdient mehr Aufmerksamkeit: fünf tote Skitourengänger im Wallis oder der Krieg in Gaza? Über die Gewichtung von Ereignissen lässt sich stets diskutieren oder streiten.
![People light candles as they attend a ceremony following the discovery of 5 ski tourers who had died near Tete Blanche in the Swiss alps mountains, in Vex, Switzerland, Monday, March 11, 2024. Five cross-country skiers who went missing during a ski tour in Switzerland were found dead, while a search was still on for the sixth skier. The skiers, five of them members of the same family, went missing around Tete Blanche mountain on Saturday on the Zermatt-Arolla path, near the Matterhorn mountain that straddles the border between Switzerland and Italy. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)](https://cdn.unitycms.io/images/2z8P7POnKOcAL9FJFw72ti.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=oxVYmHK3scs)
Als Bergretter am 20. März 2024 auf der Haute Route zwischen Zermatt und Arolla fünf Skitourengänger tot auffanden und eine weitere Person noch vermisst wurde, war das Medienecho gross. Vier der sechs Verunglückten hatten in Vex im Val d’Hérens gelebt. Experten waren sich uneinig, ob die Gruppe bei den herrschenden Wetterverhältnissen nicht zur Tour hätte aufbrechen oder umkehren sollen.
Ein Berner Leser zeigte sich erstaunt, wie unterschiedlich ein Tamedia-Titel wie der «Bund» das Bergunglück im Wallis und die Messerattacke auf einen Juden in Zürich anfänglich gewichtete. Das tragische Unglück, schrieb er, sei nach aktueller Einschätzung von den Betroffenen «grobfahrlässig bis eventualvorsätzlich» ausgelöst worden und habe Dutzende von Personen zu heiklen Einsätzen gezwungen. Dagegen sei der Anschlag in Zürich, «von gesamtschweizerisch eminenter Bedeutung», zuerst lediglich unter ferner liefen, neben Unglücksfällen, gewöhnlichen Verbrechen und Prominenz abgehandelt worden. Erst später sei eingehender berichtet worden.
Über die Gewichtung von Ereignissen, wie derzeit auch jenen des Krieges in Gaza, lässt sich stets diskutieren oder streiten. Über die Reaktion einer Leserin auf eine Rückmeldung auf Tagesanzeiger.ch dagegen gar nicht. Ein Kommentator hatte gefordert, es brauche griffige Massnahmen gegen Israels rechtsextreme Regierung, nachdem israelische Grenzpolizisten in Ost-Jerusalem einen zwölfjährigen Palästinenser erschossen hatten, der einen angezündeten Feuerwerkskörper über seinem Kopf hielt – eine persönliche Meinungsäusserung angesichts einer unklaren Faktenlage.
«Links-braune» Tamedia-Blätter würden nur berichten, was Israel schade, monierte die Leserin und erinnerte daran, dass in «s.g. Palästina» schon Kleinkinder zum Hass gegen die Juden gedrillt würden: «Gut, dass wenigstens dieser kleine, keinesfalls unschuldige Teufel rechtzeitig eliminiert werden konnte!» Auch werde, so die enragierte Beanstanderin, mit Leserkommentaren zusätzliche Hetze betrieben: «War es nicht schon damals so: Am Anfang wurde nur gelogen und gehetzt …» Als Quellen ihrer Argumente nennt sie News-Plattformen, über deren Ausgewogenheit sich ebenfalls trefflich streiten liesse.
Inzwischen hat Kritik an der Berichterstattung über den Krieg in Gaza auch die reputierte «New York Times» erreicht. In einer Rede hat sich deren Verleger A.G. Sulzberger jüngst gegen Vorwürfe verteidigt, sein Blatt berichte parteiisch, also proisraelisch: «Es gibt keine Story, die umstrittener und in gegensätzlichere Nullsummen-Narrative verstrickt ist (als der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern): zwei Völker, deren Vergangenheit und Gegenwart ihnen eine Vielzahl von Gründen bietet, sich existenziell bedroht zu fühlen.»
Das Fazit des Verlegers? «Um mich ganz klar zu äussern: Ich sage nicht, dass die Wahrheit notwendigerweise in der Mitte liegt, weder in diesem Konflikt noch in irgendeinem anderen. (…) Und ich glaube nicht, dass ein Nachrichtenmedium etwas richtig macht, wenn sich die Leute auf allen Seiten ärgern. Es ist aber auch kein Beleg dafür, dass ein Medium zwangsläufig etwas falsch macht.»
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