Luftgewehr-Schiessen über 10 mMit einem geschenkten Paar Socken zu Olympia-Bronze
Die Jurassierin Audrey Gogniat gewinnt sensationell Bronze mit dem Luftgewehr. Sie zeigt wie bereits in der Qualifikation kaum Nerven. Gold geht an die erst 16-jährige Südkoreanerin Hyojin Ban.
Sich in den Tunnel begeben – das ist eine der Lieblingsmetaphern von Sportlern. Es bedeutet, alles um sich herum auszublenden, um die Bestleistung abrufen zu können. Ganz besonders ist diese Eigenschaft beim Schiessen gefragt. Zu fast 80 Prozent spiele sich diese Disziplin im Kopf ab, sagte Audrey Gogniat vor ihren ersten Olympischen Spielen gegenüber dem Onlineportal Lematin.ch: «Um stabil zu bleiben, muss man seine Emotionen und seinen Stress akzeptieren, man muss versuchen, seine Gefühle zu verstehen.»
Das ist ihr hervorragend gelungen. Seit Montagmorgen ist die 21-Jährige aus Le Noirmont nicht mehr bloss eine Olympiateilnehmerin. Sie ist die erste Schweizer Medaillengewinnerin an den Spielen in Paris. Dass sie den Bann gebrochen hat, war ihr nicht bewusst, auf eine entsprechende Frage des SRF-Reporters reagiert sie nach ihrem Bronze-Coup über 10 Meter mit dem Luftgewehr ahnungslos. «Aber ich spüre eine überwältigende Freude. Die letzten Jahre waren streng, ich habe sehr hart dafür gearbeitet.»
Das geheime Handy
Wie sehr sich Gogniat in den Tunnel begab, zeigt folgendes Beispiel: Im rund 250 km südlich von Paris gelegenen Châteauroux, wo die Schützen den Olympia-Wettkampf absolvieren, hat sie ihr Handy nie eingeschaltet. Sie erhielt vom Verband ein Ersatzgerät, dessen Nummer nur an den engsten Kreis abgegeben wurde. Denn Ablenkung ist Gift in einer Sportart, die ein solch hohes Mass an Konzentration benötigt.
Und Gogniat musste bei ihrer Olympiapremiere eine spezielle Herausforderung meistern. Erstmals wurden Qualifikation und Final im Luftgewehr-Schiessen nicht am selben Tag ausgetragen. So blieb ihr nach ihrem starken Auftritt am Sonntag – sie belegte Rang 3 und erzielte eine persönliche Bestleistung von 632,6 Zählern – eine Nacht Zeit, sich mit allerlei Gedanken auseinanderzusetzen. «Jetzt gehe ich einmal ein bisschen schlafen und dann noch spazieren. Ich möchte meinen Kopf frei halten», sagte sie nach der hochstehenden Qualifikation.
Tatsächlich zeigt sie sich im Final ebenso cool wie am Vortag. Insgesamt 82 Schüsse gibt Gogniat in diesem olympischen Wettkampf ab. Nur mit einem einzigen Versuch verfehlt sie eine 10. Diese 9,9 im 19. Schuss im Final hat allerdings zur Folge, dass der Kampf um Platz 3 nochmals spannend wird, weil die Amerikanerin Sagen Maddalena bis auf 0,5 Punkte an Gogniat herankommt. Und was macht diese? Sie antwortet mit einer 10,7. Zur Einschätzung: Eine 10,9 wäre ein Volltreffer.
Zu einem Krimi wird das Duell um Gold zwischen Hyojin Ban und Yuting Huang. Die 16-Jährige aus Südkorea zeigt ganz zum Schluss doch noch Nerven. 9,9 und 9,6 schiesst sie mit den letzten beiden Versuchen und ermöglicht es so ihrer Konkurrentin aus China aufzuschliessen, auch sie erst 17-jährig. Ein Shoot-off um die Goldmedaille – mehr Spannung geht nicht. Dort gelingt Ban dann eine 10,4, während Huang «nur» eine 10,3 schiesst: Gold für Südkorea, Silber für China. Und: Beide egalisieren mit den 251,8 Punkten den olympischen Rekord.
Mit 7 lernte sie zu schiessen
Für die Schweizer Olympiadelegation sind die Spiele nun lanciert – und wieder zeichnet eine Schützin dafür verantwortlich. Bereits 2016 in Rio und 2021 in Tokio sorgten Heidi Diethelm-Gerber und Nina Christen für die erste Schweizer Medaille. Als Vorbilder bezeichnet Gogniat die beiden, und gerade zu Letzterer hat sie ein spezielles Verhältnis. Christen ist als Bronzemedaillengewinnerin (10 m Luftgewehr) und Olympiasiegerin im Dreistellungskampf von Tokio nicht nur die Leaderin der Schweizer Equipe, sie ist auch Gogniats Zimmerpartnerin in Châteauroux. Es ist anzunehmen, dass die Routinierin trotz verpatzter Luftgewehr-Qualifikation den einen oder anderen Tipp für die junge Jurassierin auf Lager hatte. Ganz sicher aber hat sie für das gute Gefühl bei ihr gesorgt. Denn: Im Winter hat Christen ihren Trainingskolleginnen Flamingo-Socken geschenkt. Seither trägt Gogniat diese bei jedem Wettkampf als Glücksbringer.
Was die beiden Frauen ebenso eint: Sie stammen aus Schützenfamilien. Vater, Grossvater, Onkel, Tanten, Bruder und Schwester – sie alle schiessen bei Gogniats. Schon als Mädchen begleitete Audrey ihren Papa an die Wettkämpfe, mit 7 begann sie dann selbst in der Société de Tir Petit Calibre et Pistolet Franches-Montagnes. In den letzten Jahren drängte sie peu à peu an die Weltspitze, davon zeugen Rang 3 bei der EM und der 6. Platz an der WM – vor allem aber nun Olympiabronze. Dass die stolze Familie mit einer grossen Jura-Fahne vor Ort mitfiebert, freut Gogniat besonders. «Alle sind da, dafür finde ich keine Worte. Diese Medaille mit meiner Familie zu feiern, ist so schön.»
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