Olympia-Debütantin Elena LengwilerVor fünf Jahren war sie noch Anfängerin, nun surft sie um Medaillen
Die Zürcherin stürmt in der zweithöchsten Eishockey-Liga, als sie das Kitesurfen entdeckt – und setzt alles auf eine Karte. Sie schreibt die vielleicht speziellste Schweizer Olympia-Geschichte.
Sie schweben mit bis zu 70 km/h übers Wasser. Möglich machen es ein am Brett angebrachtes Foil und das Kite – ein Lenkdrachen. Willkommen bei der Disziplin Formula Kite, die an diesen Spielen ihre Olympiapremiere feiert. Und eine Schweizerin ist mittendrin: Elena Lengwiler.
Die 28-Jährige liegt vor den letzten Qualifikationsläufen am Mittwoch auf Zwischenrang 6. Damit hat sie weiterhin alle Chancen, am Donnerstag um die Medaillen zu surfen. Dabei ist Lengwilers Weg an die Olympischen Spiele ziemlich ungewöhnlich.
Für den Traum geht sie all in
2019 versucht sie sich während eines längeren Auslandsaufenthalts in Vietnam erstmals im Kitesurfen. Da stürmt sie noch für die GCK Lions in der zweithöchsten Eishockey-Liga. Doch sie ist sofort Feuer und Flamme für den schnellen Sport auf dem Wasser. Und ihr Mann Jonas Lengwiler spielt eine entscheidende Rolle: Ohne ihn hätte sie womöglich nie zum Kitesurfen gefunden. Als sich das Paar vor Lengwilers Abreise nach Vietnam kennen lernt, ist er bereits ein ambitionierter Kiter.
In diesen Tagen steht er nun als Betreuer am Strand von Marseille, wo die Wettkämpfe stattfinden, um das Material bereitzuhalten. Dreht der Wind, muss Lengwiler rasch das Kite wechseln. Doch Ehemann Jonas sei weit mehr als nur ein Betreuer, sagt sie. «Er ist auch für meine mentale Unterstützung wichtig.»
Nach ihrer Rückkehr aus Vietnam zieht das Paar an den Walensee, auf dem sie nun regelmässig anzutreffen ist. Dann erfährt sie, dass Formula Kite 2024 olympisch werden soll – und wird hellhörig. «Ich wollte das Kiten mit dem Foil sowieso ausprobieren», erzählt sie.
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Im Herbst 2022 absolviert Lengwiler in Cagliari einen ersten internationalen Wettkampf, um herauszufinden, ob sie gegen diese Konkurrenz überhaupt bestehen kann. Sie rechnet mit einem Platz am Tabellenende, kann sich aber im Mittelfeld klassieren. Es ist ein Schlüsselmoment.
Schon im folgenden Winter fährt sie ans Meer, um für sich zu trainieren. Sie gehört da weder einem Kader an noch hat sie einen Trainer. Erst Anfang 2023 wird Lengwiler ins Schweizer Team integriert, als einzige Frau neben einem Mann und drei Junioren. Seit letztem September gehört sie offiziell dem Verband Swiss Sailing an, zu dem die Kitesurfer zählen. Bis dahin hat sie fast alles mit dem Ersparten und der grosszügigen Unterstützung der Eltern bezahlt. Mittlerweile stellt ihr der Verband neben einem Trainer, dem Franzosen Matthieu Girolet, auch ein Motorboot zur Verfügung. Ausserdem kann sie die Infrastruktur am nationalen Leistungszentrum in Lausanne nutzen und die Dienste von Physiotherapeuten und Mentaltrainer in Anspruch nehmen.
Nachdem sie im Sommer 2023 ihr Sportmanagement-Studium abgeschlossen und den Nebenjob gekündigt hat, setzt sie alles auf die Karte Olympiaqualifikation – und wird dafür belohnt: Sie wird 4. an der EM, 6. bei der WM und holt bei den «Last Chance»-Regatten Ende April im französischen Hyères als überragende Siegerin einen Quotenplatz für die Schweiz. «Ich hatte eine Aufgabe zu erledigen», sagt sie lachend, «aber ich war schon erleichtert, als es geschafft war.» Das bleibt nicht folgenlos: Der Gstaad Yacht Club hat sie mittlerweile aufgenommen und unterstützt sie finanziell sowie mit seinem Netzwerk, ebenso darf sie nun auf die Zuwendungen der Sporthilfe zählen.
Sie vermisst das Eishockey
Was Lengwiler zweifellos hilft, ist ihre Vergangenheit als Eishockeyspielerin. Ein starker Rumpf und kräftige Beine sind für das Kitesurfen essenziell. «Dank des Eishockeys kenne ich meinen Körper sehr gut: Ich weiss, welches Krafttraining am besten für mich ist, und wie ich es schaffe, mich möglichst schnell zu erholen», sagt sie.
Einige ihrer früheren Teamkolleginnen gewannen 2014 in Sotschi Olympiabronze mit dem Nationalteam. «Da habe ich mitbekommen, welch grosse Sache Olympische Spiele sind», sagt sie. Lengwiler schafft es bis ins U-18-Nationalteam, von Olympia zu träumen, wagt sie jedoch nicht. 2023 hat sie die Schlittschuhe weggelegt, doch sie vermisst die Sportart und denkt darüber nach, sich kommenden Winter einem Plauschteam anzuschliessen.
Vorerst aber hat Lengwiler in der Bucht von Marseille Grosses vor. Swiss Sailing hat sie vor den Spielen in den Kreis der Medaillenkandidatinnen erkoren. Sie habe das gelesen, sagt Lengwiler. Die grossen Töne liegen ihr nicht, sie spricht leise und bedächtig. Diese Art muss sie im Wasser ablegen, wenn es darum geht, sich nach einem Massenstart gegen die Konkurrentinnen durchzusetzen. Dass sie das kann, hat sie in den letzten Tagen bewiesen.
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