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Justizreform spaltet Israel
«Offensive gegen die Diktatur»

Kampf gegen die Justizreform: Demonstration beim Parlament in Jerusalem am letzten Montag.
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Viele hatten gehofft, dass es schneller gehen wird. Dass das israelische oberste Gericht das Gesetz zur Aufhebung der «Angemessenheitsklausel» direkt einfriert. Schliesslich soll es dem Gericht die Macht nehmen, Entscheidungen der Regierung als «unangemessen» zurückzuweisen. Trotz landesweiten Protesten und dem Boykott der Abstimmung durch die Opposition wurde es am Montag verabschiedet, am Mittwoch trat es in Kraft.

Doch so bald wird das Gericht nicht reagieren: Israelische Medien berichten, dass es mit der Überprüfung des Gesetzes im September beginnen werde. Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung, er fusst auf einer Sammlung von Grundgesetzen. So bahnt sich eine Krise zwischen der Exekutive und dem höchsten Gericht des Landes an.

Das Vorgehen der Regierung hat Israel tief gespalten. Der jüngste Schritt gilt als erster Teil einer umfassenden Justizreform, die die Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu seit Monaten vorantreibt. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr. (Lesen Sie zum Thema auch die Analyse «Netanyahus Vorgehen zeigt: Autokraten manipulieren immer zuerst das Recht».)

Mehrere Petitionen beim obersten Gericht

Innerhalb weniger Tage sind mehrere Petitionen am obersten Gericht eingegangen, unter anderem von der Rechtsanwaltskammer, die mehr als 70’000 Anwälte vertritt. Die Antragsteller argumentierten, dass die Existenz Israels als demokratischer Staat durch das Gesetz erheblich beeinträchtigt werde. Am Mittwochnachmittag gab das Gericht dann bekannt, es werde zwei der Petitionen im September anhören. Dann wird es entscheiden, ob es seine Vormachtstellung gegenüber der Regierung wiederherstellen will.

Welche Auswirkungen die Beschlüsse der israelischen Regierung auf das Land noch haben könnten, zeichnet sich bereits ab. Nach landesweiten Protesten folgte am Dienstag ein Ärztestreik, am Mittwoch haben weitere 120 Reservisten der Luftwaffe angekündigt, nicht zum Dienst zu erscheinen. Die Investmentbank Morgan Stanley stufte die Kreditwürdigkeit des Landes herab, die Ratingagentur Moody’s warnte angesichts Spannungen vor negativen Folgen für die Wirtschaft. Die Investitionen in den Start-up-Sektor – das wichtigste Zugpferd der israelischen Wirtschaft – sind bereits dramatisch gesunken.

Die knappe Reaktion von Regierungschef Netanyahu und Finanzminister Bezalel Smotrich: «Dies ist eine momentane Reaktion. Wenn sich der Staub gelegt hat, wird klar sein, dass die israelische Wirtschaft sehr stark ist.» Darauf folgte eine Aufzählung von positiven wirtschaftlichen Entwicklungen in den letzten Monaten und die Schlussfolgerung, dass «Israels Wirtschaft auf einem stabilen Fundament steht und unter einer erfahrenen Führung, die eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik betreibt, weiterwachsen wird».

TV-Umfrage: Nur 22 Prozent für Justizreform

Die Regierungsvertreter verloren kein Wort über die Ängste um Israels Demokratie, die der Grund für diese Warnungen waren. Es sind Ängste, die auch in der Gesellschaft weiter um sich greifen. Seit dem Dienstag denke mindestens jeder vierte Bürger darüber nach, Israel zu verlassen, sagt eine Umfrage des israelischen Senders Channel 13, nur 22 Prozent stünden hinter den Plänen der Regierung.

Wann genau sich das Gericht im September beraten und wie lange das Verfahren dauern wird, ist noch unklar. Sollte das Gesetz durch das oberste Gericht gekippt werden, müsste Netanyahus Regierung entscheiden, ob sie den Rechtsspruch gerade jener Institution respektieren will, deren Befugnisse sie ja einschränken möchte. Täte sie das nicht, kämen Polizei, Militär, unterstehende Gerichte und der öffentliche Dienst in die heikle Lage, sich entscheiden zu müssen, ob sie sich nach der Judikative oder der Exekutive richten.

Sicher ist, dass die Demonstrationen so schnell nicht enden werden. Die Protestbewegung hat die israelische Bevölkerung aufgerufen, am Wochenende in Tel Aviv und in ganz Israel zu demonstrieren. Man werde nun «in eine Phase der Offensive gegen die Diktatur übergehen», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung.