Klassiker am LauberhornOdermatt zaubert, der Rivale fliegt brutal ins Netz – und es hagelt Kritik
Der Nidwaldner gewinnt in überragender Art. Und doch herrscht nicht eitel Sonnenschein – weil Aleksander Kilde im Spital landet und es viele Stürze gibt.
Es gibt an diesem Samstag im Ziel von Wengen eine Geste, die so ziemlich genau auf den Punkt bringt, was gerade geschehen ist an diesem schönen Wintertag im Berner Oberland. Cyprien Sarrazin läuft Richtung des kleinen Podests, auf dem der Ledersessel für den Führenden steht. Als Marco Odermatt sich davon erhebt, macht der Franzose einen kleinen Knicks, als stünde der König vor ihm.
So ganz falsch ist das ja nicht, zumindest heruntergebrochen auf den Skisport. Da regiert dieser Odermatt derzeit fast nach Belieben. Was aber am Fusse von Eiger, Mönch und Jungfrau geschieht, lässt die Gegner nur staunend zurück und die 38’000 Zuschauer verteilt über das Lauberhorn die Schweizer Fähnchen noch etwas frenetischer schwenken.
Es gibt wohl keine Passage dieser Abfahrt, die der Nidwaldner nicht perfekt meistert, er gewinnt nach der verkürzten Abfahrt am Donnerstag auch auf der Originallänge. Sarrazin, der Mann mit dem Knicks und Aufsteiger dieser Speed-Saison, kommt dem Nidwaldner mit 59 Hundertsteln Rückstand am nächsten. Dominik Paris auf Rang 3? Verliert 1,92 Sekunden.
Es gab schon viele verblüffende Fahrten des 26-jährigen Schweizers, vielleicht aber ist diese die eindrücklichste. Sie kommt am Ende einer Rennwoche, in der viele Athleten immer wieder von der Belastung redeten, die schlicht zu gross würde. Zwei Trainings, eine verkürzte Abfahrt, der längste Super-G der Saison, die längste Abfahrt der Welt, so lautete das Programm, weil am Donnerstag die abgesagte Abfahrt von Beaver Creek nachgeholt wurde. Für die Besten war es damit aber noch lange nicht getan. Am Donnerstag und Freitag dauerten die Rennen bis weit in den Nachmittag hinein, am Abend folgten die Startauslosungen und Siegerehrungen mitten im Dorf.
Kilde und der fürchterliche Sturz
Die Tage waren für alle lang, für Odermatt und Sarrazin, die beide Male in die Top 3 fuhren, waren sie noch länger. Gleiches gilt für Aleksander Kilde, der zweimal Dritter wurde. Der beste Abfahrer der letzten zwei Saisons war zudem erkältet, liess das Training am Mittwoch aus und sagte die Siegesfeier am Donnerstag ab. Die Hoffnung, das Mammutprogramm so irgendwie zu bewältigen, zerschlägt sich am Samstag kurz vor dem Ziel.
Kilde gerät beim Ziel-S zu tief, rammt das letzte Tor, fliegt ungebremst und kopfvoran ins Sicherheitsnetz. Dieses spuckt ihn zurück auf die Piste, auf der er benommen bis zur Ziellinie hinunterschlittert. Nach langer Behandlung wird der 31-Jährige per Helikopter abtransportiert.
Dieser kommt am Lauberhorn mit unschöner Regelmässigkeit zum Einsatz: Marco Kohler, den jungen Schweizer, erwischt es am Donnerstag, das vordere Kreuzband reisst, Innen- und Aussenmeniskus sind verletzt. Am Freitag stürzt Alexis Pinturault, wird ins Spital geflogen, wo ein Kreuzbandriss im linken Knie festgestellt wird. Dann also erwischt es Aleksander Kilde, den Mann mit Oberschenkeln wie Baumstämme.
Er führt eine Ausfallliste an, die ungewöhnlich lang ist. 12 der 54 Fahrer sehen das Ziel nicht. Es ist so etwas wie eine Bestätigung für die Kritiker, die befürchteten, es könnte für manch einen zu anstrengend werden.
Den Kräftigsten zusammengelegt
Nach seinem Triumph sagt Marco Odermatt: «Wir wussten, dass es eine brutal strenge Woche wird, dass es vielleicht zu viel wird. Von den Emotionen her ist es schwierig für mich. Es ist ein unglaublicher Sieg, aber Stürze wie der von Aleksander rauben auch Emotionen.» Sarrazin, der Zweitplatzierte, sagt: «Drei Renntage und die längste Abfahrt am Schluss, das ist hart. Aleksander ist der Kräftigste von uns. Wenn es ihn so zusammenlegt, ist das nicht normal. Wir sind trainierte Maschinen, aber trotzdem auch Menschen. Man sollte an uns denken.» Und Odermatt sagt noch das: «Womöglich fuhren wir hier das letzte Mal drei Rennen am Stück.»
Es sind Aussagen, die die Veranstalter treffen. Für die Athleten, für den Sport würden sie in Wengen die abgesagte Abfahrt übernehmen, sagte OK-Präsident Urs Näpflin immer wieder. Finanziell sei ein Rennen an einem Donnerstag alles andere als lukrativ. Es brauchte die Unterstützung von Swiss-Ski und dessen Sponsoren sowie zusätzliche TV-Gelder, um keine Verluste zu schreiben.
Dass der Kalender, entstanden unter FIS-Präsident Johan Eliasch, zum Problem werden könnte, zeichnete sich früh ab. Die Situation spitzte sich durch die Absagen der Abfahrten in Zermatt und Beaver Creek zu. Markus Waldner, Renndirektor beim Weltverband, sagte gegenüber dieser Redaktion: «13 Abfahrten hat es noch nie gegeben, das ist ein Witz, ein Wahnsinn. Der Kalender ist überladen. Und jetzt müssen wir überall abgesagte Rennen reinstopfen.» Auch Doppel-Abfahrten wie nun in Wengen seien nicht ideal. «Vom Marketing her, aber auch wegen der Belastung. Aber: Werden Rennen abgesagt, springen die Trainer und Athleten als Erste auf, um zu fragen, wo wir sie nachholen», sagt Waldner.
Die Kritik der Sportler ist nachvollziehbar, steht aber im Widerspruch dazu, dass sie möglichst oft fahren und die Chance auf Preisgeld haben wollen. Wengen sprang ein, um das zu ermöglichen. Die Organisatoren dürften sich in einem ähnlichen Fall künftig genau überlegen, ob sie das noch einmal tun.
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Startnummer 21 – Stefan Babinsky
Stellen Sie sich das einmal vor: Nur 4 Österreicher sind am Start! So etwas hat es in einer Abfahrt wohl kaum je gegeben. Der eine ist krank, der andere angeschlagen, einige aber fühlen sich auch nicht in der Lage, ein gutes Ergebnis heraus zu fahren und verzichten freiwillig. Schwierige Zeiten also bei der einstigen Ski-Grossmacht. Babinskys Lieblingsdisziplin ist der Super-G, am Freitag wurde er Sechster. Bei der Minschkante leistet er sich heute einen Fehler, danach stürzt er im Kernen-S. Aber auch bei ihm gilt: Es ist nichts passiert.
Schweizer Sonderbehandlung
Den einheimischen Abfahrern wird in Wengen quasi jeder Wunsch von den Lippen gelesen. Um die Belastung so tief wie möglich zu halten, werden sie jeweils vom Ziel auch an den Start geflogen.
Startnummer 20 – Andreas Sander
Nach dem Sturz von Alexander wird der Deutsche abgewunken. Dumm nur, war er schon anderthalb Minuten lang unterwegs. Sander darf jetzt nochmals hoch an den Start, aber ob seine Oberschenkel diese Belastung nochmals aushalten?
Startnummer 19 – Cameron Alexander
Der nächste Sturz! Der Kanadier scheidet im unteren Teil aus, scheint sich aber nicht verletzt zu haben.
Startnummer 18 – Romed Baumann
Geht da überhaupt noch etwas? Oder schafft es Dominik Paris mit knapp zwei Sekunden Rückstand tatsächlich als Dritter aufs Podest? Der Deutsche Baumann jedenfalls fährt einmal mehr hinterher. Er ist 15. und Letzter.
Startnummer 17 – Ryan Cochran-Siegle
Im Moment ist die Luft gerade etwas draussen: Der Amerikaner erreicht bei der Tempomessung mit 150,4 km/h zwar einen hervorragenden Wert, kann aber ebenfalls nichts ausrichten. Er fährt auf Zwischenrang 8. Sein Onkel Bob Cochran wurde in Wengen 1972 Dritter im Slalom.
Startnummer 16 – Stefan Rogentin
Und gleich der nächste Schweizer: Hobby-Jäger Rogentin mag das Lauberhorn, letztes Jahr holte er hier als Zweiter im Super-G seinen einzigen Podestplatz im Weltcup. Auch er aber kann nicht ansatzweise mithalten, doch trotz 3,23 Sekunden Rückstand könnte heute sein bestes Saisonergebnis in der Abfahrt resultieren.
Startnummer 15 – Niels Hintermann
Es ist noch nicht die Saison des Zürchers, von dem so sehr geschwärmt worden war nach der Vorbereitung im Sommer und Herbst. 2,74 Sekunden verliert der überaus selbstkritische Hintermann, das reicht noch immer für Platz 7.
Startnummer 14 – Vincent Kriechmayr
Der zweifache Wengen-Sieger ist einfach nicht in Form. Zuletzt nannte er seine Leistungen «peinlich». Nun ist er Vierter, der Rückstand von 2,49 Sekunden aber ist gewaltig.
Startnummer 13 – Florian Schieder
Der Italiener mag die Klassiker: In Kitzbühel raste er letzten Winter aufs Podest, in Wengen wurde am Donnerstag Vierter. Nun funktioniert es aber nicht, bei der Minschkante kommt er zu Fall. Passiert ist ihm glücklicherweise nichts.
Startnummer 12 – James Crawford
Er ist Super-G-Weltmeister und auf vielen Strecken mittlerweile ein ernstzunehmender Konkurrent für die Besten. In Wengen aber fühlt er sich nicht sonderlich wohl in diesen Tagen. Und so verliert Crawford denn auch viel Zeit, mit 4,40 Sekunden Rückstand resultiert Zwischenrang 10. Er liegt zuhinterst im Klassement.
Das Rennen wird fortgesetzt
Es geht weiter, der Kanadier James Crawford ist gestartet.
Justin Murisier
Nach seinem Ausfall sagt der Schweizer gegenüber SRF: «Es geht mir eigentlich gut, ich spüre nur etwas das Knie und den Rücken, aber für Kitzbühel werde ich bereit sein. Beim Sprung habe ich die Beine zu fest angezogen, dann hat es mich nach hinten gedrückt.»
Dominik Paris im Interview
Der Italiener, derzeit auf Rang 3, sagt: «Solche Stürze wie jener von Alexander sind nicht schön anzuschauen. Jedem von uns ist bewusst, wie gefährlich der Sport ist, den wir ausüben. Meine Fahrt gut, ich bin eigentlich sehr zufrieden. Nur das Brüggli-S hat nicht funktioniert. Aber der Abstand zu Odi ist schon gewaltig. Ich kann nur den Hut ziehen.»
Der Helikopter im Anflug
Aleksander Kilde ist nun transportfähig – der Norweger wird mit dem Helikopter in ein Spital geflogen. Er dürfte nach Interlaken gebracht werden. Wir wünschen dem sympathischen Norweger alles Gute!
Rekordsieger
Seit Einführung des Weltcups gab es nur zwei Fahrer, welche die Lauberhorn-Abfahrt dreimal gewinnen konnten: Franz Klammer und Beat Feuz. Verdrängt ihn keiner mehr, wovon auszugehen ist, steht Odermatt heute bei zwei Erfolgen.
Hier noch der letzte Abschnitt der Fahrt das aktuellen Leaders samt Freudentaumel im Ziel:
Bedrückte Stimmung
Noch vor einer guten Viertelstunde verwandelte sich das Zielstadion in ein Tollhaus, nach Odermatts Traumfahrt flippten die Zuschauer fast aus. Nun ist es ziemlich ruhig, Kildes Sturz haben alle direkt miterleben müssen. Auch heute wird der Helikopter zum Einsatz kommen, leider!
Investitionen nötig
Das Rennen ist unterbrochen, Kilde wird nach wie vor behandelt. Nutzen wir den Unterbruch für einen Blick nach vorne. Morgen findet der Lauberhorn-Slalom statt, dafür wurden zusätzliche Leitungen in den Hang verlegt, weil eine neue Zeitmessung installiert werden musste. Bleibt zu hoffen, dass die Schweizer die Zwischenzeiten so früh wie möglich auslösen werden.
Aleksander Kilde
In den letzten Tagen war Kilde gesundheitlich angeschlagen, gut möglich, dass ihm nach dem kräfteraubenden Programm die Energie fehlte am Schluss dieses Rennens. Mittlerweile liegt der Norweger im Bereich der Ziellinie, er wird gepflegt. Es ist zu befürchten, dass er sich verletzt hat.
Startnummer 11 – Aleksander Kilde
Es heisst, der Norweger sei eine Startrakete. Aber: In diesem Winter tut er sich in dieser Hinsicht etwas schwer, der Schnellste beim Abstossen ist er nicht mehr. Das ist auch in Wengen so, und auch danach kann der Dominator der letzten Abfahrts-Saisons nicht mithalten. Dennoch ist er auf dem Weg zu Rang 3, aber dann stürzt er im Ziel-S heftig und drischt mit voller Wucht ins Fangnetz.
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