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Analyse zu Sebastian Kurz’ Rücktritt
Nur ein Gericht oder eine Wahlniederlage wird ihn stoppen

Wie es aussieht, könnte das System Kurz trotz aller Vorwürfe erst einmal weitermachen. 
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Sebastian Kurz gilt über Österreich hinaus als politisches Talent – zu Recht, wie sich auch in dieser Krisensituation gezeigt hat. Denn der 35-Jährige hat diese Lage ebenfalls für sich zu nutzen gewusst: Mit dem Verzicht auf das Kanzleramt und der Nominierung einer «untadeligen Person» als Nachfolger wurde die Forderung des grünen Koalitionspartners erfüllt.

Womit aber weder die Grünen noch die Öffentlichkeit gerechnet haben, ist, dass Kurz auf die Position des Fraktionschefs im Parlament wechselt und damit weiterhin die Fäden in der Hand behält. Er könnte nun sogar parlamentarische Immunität in Anspruch nehmen, auf der Kurz aber nach eigener Aussage nicht beharren will.

«Als Chef der grössten Fraktion kann Kurz auch Vorhaben der Regierung scheitern lassen. Er hat realpolitisch sogar an Macht dazugewonnen.»

Die Regierung ist sogar auf seine Mitwirkung angewiesen, denn Gesetze müssen im Parlament beschlossen werden. Und als Chef der grössten Fraktion kann Kurz auch Vorhaben der Regierung scheitern lassen. Er hat realpolitisch sogar an Macht dazugewonnen. Als Fraktionschef in Wien kann er persönlich weiterhin an den Sitzungen der Regierung teilnehmen. Auch deshalb ist das Wort Schattenkanzler angebracht, weil die bisherigen Minister seiner ÖVP ihm treu ergeben sind.

Seine Getreuen halten zum Parteichef

Das gilt auch für jenen Mann, den er – angeblich per SMS um drei Uhr früh – gebeten hat, ins Kanzleramt zu wechseln. Der bisherige Aussenminister Alexander Schallenberg ist tatsächlich eine «untadelige Person», weil er nach bisherigem Erkenntnisstand in die bisherigen Affären rund um gefälschte Umfragen und gekaufte Berichterstattung nicht involviert war.

Mit dem versierten Diplomaten Schallenberg hat Kurz jemanden ausgewählt, der auf dem Feld der Innenpolitik keine Erfahrungen hat und zudem erst seit kurzem Mitglied der ÖVP ist – also auch dort keine Netzwerke hat. Ausserdem hat Schallenberg schon öfter Kurz’ Linie beim Thema Migration verteidigt – das wichtigste Thema seiner politischen Laufbahn. Entsprechend hat Schallenberg bei seiner ersten Ansprache nach der Vereidigung auch gelobt, er werde mit Kurz sehr eng zusammenarbeiten. Zudem ist im Aussenministerium mit Michael Linhart ein Mann nachgerückt, den Kurz gut kennt, denn als Aussenminister hat er ihn zum Generalsekretär gemacht.

Er beherrscht Minister und Partei

Sebastian Kurz beherrscht nicht nur die ÖVP-Ministerriege, sondern die Partei selbst, deren Chef er bleibt. Selbst wenn die Sacharbeit in der Regierung funktioniert, könnte sie der Parteichef torpedieren. Als Kurz 2017 den Vorsitz übernahm, hat er – gestützt auf glänzende Umfragewerte, von denen man nun weiss, dass sie frisiert waren – seine Bedingungen durchgesetzt. Er hat die bis dahin sehr mächtigen Ministerpräsidenten, in Österreich Landeshauptleute genannt, entmachtet. Er sicherte sich ein Durchgriffsrecht auf Wahllisten, freie Hand für Koalitionsentscheidungen, alleinige Entscheidung über Schlüsselposten und -positionen in der Partei. Die Landesparteien stimmten zu – und mit Kurz an der Spitze kam der Erfolg bei Wahlen zurück.

Es waren auch die Landeshauptleute, die Kurz drängten, die Position im Kanzleramt zu räumen. Aber als Parteichef stützen sie ihn weiterhin. Ob das so bleibt, hängt davon ab, welche Inhalte über die jetzt bekannt gewordenen Chats noch hervorkommen. Davon – und ob es Anklagen gegen ihn gibt – hängt auch das politische Schicksal von Kurz ab. Er ist sich keiner Schuld bewusst und hatte nicht einmal den Anstand zu einer Entschuldigung – das hat am Wochenende der Bundespräsident übernommen, der sich für das Sittenbild entschuldigte. Kurz hält sich weiter bereit, deshalb ist er auch nicht zurückgetreten, sondern nur einen Schritt zur Seite. Nur ein Urteil oder eine Wahlniederlage kann die Ära Sebastian Kurz beenden.