Risse in der DiplomatieNun lädt Biden den beleidigten «Bibi» doch noch ein
Joe Biden liess Benjamin Netanyahu monatelang auf eine Einladung ins Weisse Haus warten. Schon wurden Forderungen nach einer Neubewertung der speziellen Beziehungen der beiden Länder laut. Am Montagabend folgte die überraschende Wende.
Der Ärger von Benjamin Netanyahu entlud sich bei einer Besprechung mit Michael Herzog, seinem Botschafter in den USA. «Du solltest mehr dafür tun, dass ich eine Einladung ins Weisse Haus erhalte», sagte der israelische Premierminister dem Diplomaten in Washington. Ein halbes Jahr schon ist Netanyahu wieder im Amt, doch US-Präsident Joe Biden hat ihn noch immer nicht empfangen, trotz der «besonderen Beziehung» zwischen den beiden Ländern.
Schlimmer noch für Netanyahu: Biden hat an seiner Stelle für Dienstag Isaac Herzog eingeladen, Israels Präsident und Bruder des Botschafters. Ihm werden dabei alle Ehren zuteil. Er wird am Mittwoch vor dem vereinigten Kongress eine Rede halten, der sich trifft, um den 75. Geburtstag des Staats Israel zu feiern.
Überraschende Wendung
Netanyahu hingegen konnte sich lange keine Hoffnungen machen auf ein Gespräch mit Biden vor dem Cheminée im Oval Office. Zu oft hat das Aussenministerium in den vergangenen Monaten Botschafter Michael Herzog einbestellt, um das Missfallen der US-Regierung über das Gebaren von Netanyahus rechts-religiöser Koalition auszudrücken. Eben erst hat Biden öffentlich klargemacht, wie wenig er von der aktuellen Mannschaft hält. «Das ist eines der extremsten Kabinette, die ich gesehen habe», sagte der US-Präsident in einem Interview mit CNN, in dem er Netanyahu bei dessen Spitznamen Bibi nannte – eher ein Zeichen dafür, dass die beiden einander schon lange kennen, als eines, dass sie sich auch mögen.
Am Montagabend kam dann die überraschende Wende: Biden habe Netanyahu nach einem «warmen und langen Telefonat» nun doch in die USA eingeladen, teilte die israelische Seite mit. Es sind vor allem die forsche Politik der Ausweitung israelischer Siedlungen in der Westbank sowie Netanyahus tiefgreifende Justizreform, die Biden verärgern. Er glaube fest daran, dass Israels Sicherheit nur durch eine Zweistaatenlösung zu gewähren sei, sagte Biden nun in einem Moment, in dem Netanyahus Koalitionäre diesen Ansatz nach Kräften hintertreiben.
John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, sagte am Montag, dass «gemeinsame demokratische Werte» weiter die Basis des bilateralen Verhältnisses seien und sich Biden «den breitestmöglichen Konsens» bei der Justizreform wünsche, gegen die in diesen Tagen erneut zehntausende Israeli demonstrieren. Kirbys Bemerkungen lassen erahnen, dass Biden mit Netanyahu einige ernste Worte zu wechseln gedenkt.
So tief reicht der Riss, dass Kommentator Thomas Friedman in der «New York Times» bereits nach einem «Reassessment» der besonderen Beziehung rief, einer Neubewertung. Biden legt viel Wert auf die Meinung Friedmans, weshalb der Beitrag in Israel grosses Echo auslöste. Der Begriff «Reassessment» enthält eine unverhohlene Drohung: Er spielt auf 1975 an, als US-Aussenminister Henry Kissinger die Waffenlieferungen an Israel aussetzen liess, um das Land zu einem Abkommen mit Ägypten zu zwingen.
Biden behandle Netanyahu «schlechter als die Mullahs»
Umgehend haben in den vergangenen Tagen sowohl US-amerikanische als auch israelische Diplomaten beteuert, von einem Reassessment könne derzeit keine Rede sei. Bidens Einladungsdiplomatie geht denn auch deutlich weniger weit. Mit dem Empfang von Präsident Herzog und dem Hinauszögern der Einladung an Netanyahu habe Biden seine Unterstützung für den Staat Israel kundtun und gleichzeitig sein Missfallen über die Politik der aktuellen Regierung ausdrücken wollen, glauben viele in Washington.
Scharfe Kritik daran formulierte hingegen das «Wall Street Journal», das die Frage stellte, was Biden gegen Israel habe. Der US-Präsident behandle Netanyahu «schlechter als die regierenden Mullahs im Iran», beklagte sich die konservative Zeitung. Biden habe amerikanische Zahlungen an antiisraelische Organisationen wieder aufgenommen, womit unter anderem die Beiträge der USA an das Palästinenserhilfswerk der UNO (UNRWA) gemeint waren, die Donald Trump hatte stoppen lassen. Dessen Politik der Abraham-Verträge, Friedensabkommen der arabischen Nachbarstaaten mit Israel, habe Biden nicht weiterverfolgt, stattdessen sei er zu nachgiebig gegenüber dem Iran.
Ein erbitterter Streit ist bei den US-Demokraten ausgebrochen. Am Wochenende nannte die prominente Westküsten-Abgeordnete Pramila Jayapal Israel einen «rassistischen Staat». Am Tag danach «präzisierte» sie ihre Wortwahl: Nicht der Staat Israel sei rassistisch, jedoch die Politik der «extremen Rechtsregierung». Die Führung der Demokraten um Hakeem Jeffries sah sich dennoch gezwungen, klarzustellen, dass sie hinter der «speziellen Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Israel» stehen.
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