Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Soziale Spannungen in Italien
Nun breitet sich auch das Virus Hunger aus

Angst vor Unruhen: Carabinieri markieren bei Palermo Präsenz.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Kippt die Stimmung? In Süditalien, das bislang vom Virus einigermassen verschont geblieben ist, geht wegen des Shutdowns der Wirtschaft, der legalen und de facto auch der illegalen, gerade sehr vielen Bürgern das Geld aus. Im Netz zirkulieren Videos von verzweifelten Menschen an Supermarktkassen, die ihre Besorgungen nicht bezahlen können, die Hunger haben, sich ihr Essen aber nicht mehr leisten können. Ein Mix aus Angst und Wut, der sich da und dort Bahn bricht und die italienische Regierung nun zu schnellem Handeln veranlasste.

Ohne Geld an der Kasse

Eines dieser Videos kommt aus Neapel, aufgenommen wurde es mit einem Handy. In der ersten Einstellung zeigt es den Einkauf von Giuseppe, es ist ein kleiner Haufen am Ende des Fliessbands: Teigwaren, Tomatensauce, Öl. Der Mann ist um die vierzig, wegen Corona trägt er eine Schutzmaske. Als er zahlen soll, sagte er zur Kassiererin, er habe leider kein Geld. Dann kommen die Leute vom Sicherheitsdienst. «Ruft die Polizei», sagt der Filmer am Handy mit ironischem Unterton, «der Mann hat kein Geld! Aber schaut her: Da liegt nur das Nötigste, kein Champagner, kein Wein.»

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Ähnliche Szenen gab es schon in den Vororten von Palermo und Catania. Vor manchen Supermärkten auf Sizilien stehen nun Carabinieri, als behüteten sie einen Safe. In Bari haben Bürger ein Protestfeuer vor einer Bank gezündet. Am härtesten trifft es jene, die in normalen Zeiten schwarz arbeiten – ohne Vertrag, ohne Rechte, ohne jede Garantie. Zu dieser Kategorie gehören in Italien gemäss Schätzungen ungefähr 3,3 Millionen Menschen. Manche haben nur Jobs in der Schattenwirtschaft, andere schaffen das Monatsende nur dank unversteuerter Zweitaktivitäten.

Italien zählt fünf Millionen Menschen in absoluter Armut.

Seit nun aber vor drei Wochen die Bewegungsfreiheit so stark eingeschränkt wurde und die Polizei über die Disziplin aller wacht, auch mit Drohnen, verlieren viele ihr Einkommen aus der unlauteren Zwischenwelt. Gerade im Mezzogiorno. Der «Corriere della Sera» listet einige höchstens halboffizielle Berufsprofile auf, etwa die illegalen Parkplatzanweiser und die Verkäufer geschmuggelter Zigaretten in den Strassen. Natürlich ist allen bewusst, dass die Schattenwirtschaft ein grosses Problem ist und immer schon war. Doch für Grundsatzdebatten ist das gerade nicht die beste Zeit.

Anarchie befürchtet

Es gilt zu verhindern, dass sich aus der unmittelbaren Verzweiflung soziale Spannungen mit grosser Sprengkraft entwickeln, davor warnt jedenfalls das italienische Innenministerium. Eine mittlere Anarchie würde auch den Kampf gegen die Ausbreitung des Virus schwächen. Mehr als zehntausend Menschen sind in Italien nun schon an Covid-19 gestorben. Würde sich der Erreger auch im Süden massiv ausbreiten, wo das Gesundheitswesen fragiler ist als im Norden, wäre die Katastrophe noch viel grösser.

Die Regierung hat deshalb beschlossen, den achttausend Gemeinden im Land viel Geld zukommen zu lassen, damit sie sich besser um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern können. Premier Giuseppe Conte sagte, die Bürgermeister seien wie «Antennen», sie wüssten besser als die Zentrale, wer genau was brauche. Der Staat schickt Subventionen von 4,3 Milliarden Euro, die eigentlich erst im Mai fällig gewesen wären. Man habe dafür jede bürokratische Hürde ausgeschaltet, beteuerte Conte, so etwas habe es noch nicht gegeben. Die Emphase ist auch deshalb wichtig, weil die Italiener das Gefühl haben, sie würden in der Not von den Partnern in Europa alleingelassen.

25-Euro-Gutscheine

Weitere 400 Millionen Euro an Direkthilfen leistet der nationale Zivilschutz an die Gemeinden. Damit sollen die elementarsten Bedürfnisse der ärmsten Bevölkerung bedient werden: in Form von 25-Euro-Bons für Lebensmittel und Medikamente. Conte rief die Supermarktketten dazu auf, den Kunden, die mit diesen Bons einkaufen, einen zusätzlichen Preisabschlag von fünf bis zehn Prozent zu gewähren.

Gutscheine erhalten all jene Familien, die in ihrer Wohnregion als arm eingestuft werden: Der Index variiert von Region zu Region. Ganz Italien zählt laut dem nationalen Statistikamt Istat fünf Millionen Menschen in absoluter Armut. 400 Millionen Euro reichen also nicht lange aus.

Damit bei privaten Sammelaktionen möglichst viel Geld für Soforthilfen zusammenkommt, werden Schenkungen steuerfrei. Ausserdem mobilisierte Conte in seinem Appell den «terzo settore», den dritten Sektor – so nennt man in Italien das Heer der freiwilligen Helfer und ihrer Organisationen, kirchlicher und säkularer. Sie sollen dafür sorgen, dass Essenspakete auch direkt zu den Bedürftigen gelangen. In Palermo haben sich allein in den vergangenen Tagen mehr als tausend Familien bei der Stadt und der Caritas gemeldet, weil sie nicht mehr genug zum Leben haben.