Kommentar zur PandemiestrategieNotlügen sind Gift für das Vertrauen
Alain Berset schlug eine dringliche Warnung des Bundesamts für Gesundheit in den Wind. Dazu muss er stehen.
In einer Krise passieren Fehler. Das ist normal und in vielen Fällen auch nachvollziehbar. Nach der ersten Corona-Welle war der Druck auf den Bundesrat riesig, das Land zurück in die Normalität zu führen. Gesundheitsminister Alain Berset hätte den letzten Öffnungsschritt, die Zulassung von Grossveranstaltungen, eigentlich gerne weiter hinausgezögert. Doch als seine Absichten publik wurden, folgte innert Tagen ein massives Lobbying der Fussball- und Eishockeyvereine, bei dem selbst der ehemalige «Mister Corona» Daniel Koch mittat. Dass Berset dann auf die Karte Hoffnung setzte und einknickte – kann passieren.
«Seine eigenen Experten zeigten Berset letzten Sommer auf, wie gefährlich die Lage tatsächlich war.»
Was aber gar nicht geht, ist Bersets Versuch, den Fehlentscheid zu beschönigen. Man habe immer auf Grundlage des aktuellen Wissensstands entschieden und dabei die Gesundheit der Menschen an oberste Stelle gesetzt, sagte er. Doch das stimmt nicht. Seine eigenen Experten zeigten Berset letzten Sommer auf, wie gefährlich die Lage tatsächlich war – und forderten unmissverständlich sofortige Massnahmen. Dass Berset in diesem Moment auch noch öffentlich verkündete, die Situation sei unter Kontrolle, gab der Bevölkerung ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.
Die meisten Epidemiologen sind sich einig: Die raschen und weitgehenden Lockerungen nach der ersten Corona-Welle haben die zweite Welle entscheidend verschlimmert. In der Konsequenz starben deswegen mehr Leute.
Seit knapp einem Jahr hat der Bundesrat so viel Macht über das Leben jeder Schweizerin und jedes Schweizers wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Umso wichtiger ist es, das Vertrauen der Bevölkerung nicht zu verlieren. Beschönigungen von Fehlern oder Notlügen sind Gift dagegen. So war es bei der anfänglichen Behauptung, Masken nützten nichts. Und so ist es nun auch mit Bersets gescheitertem Versuch, den Fehlentscheid vom letzten Sommer mit fehlendem Wissen zu entschuldigen.
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