Neuer Index von AnalyseunternehmenNoch knapp 45 Prozent der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie
Laut einer neuen Erhebung verzeichneten Demokratien im vergangenen Jahr den grössten Rückschritt seit 2010. In Europa fallen zwei Länder besonders negativ auf.
Demokratie auf dem Rückzug, Diktaturen auf dem Vormarsch: Einer aktuellen Studie zufolge leben immer weniger Menschen in freien und fairen Staatsformen. Grund ist vor allem die Corona-Pandemie, wie die britische «Economist»-Gruppe in ihrem am Donnerstag veröffentlichten «Demokratieindex» betont.
«Die Pandemie hat zu einem beispiellosen Entzug der bürgerlichen Freiheiten sowohl in entwickelten Demokratien als auch in autoritären Regimen geführt», hiess es.
Das liege an Lockdowns und Reisebeschränkungen sowie zunehmend an Corona-Pässen als Bedingung für die Teilnahme am öffentlichen Leben. Die Pandemie habe zur Normalisierung von Notstandsbefugnissen geführt, Bürgerinnen und Bürger würden an eine enorme Ausweitung der Staatsgewalt in weiten Bereichen des öffentlichen und persönlichen Lebens gewöhnt, so die Studie. Die Pandemie habe in vielen Ländern zu einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung geführt.
«China ist nicht demokratischer geworden, während es reicher geworden ist. Im Gegenteil, das Land ist unfreier geworden.»
Demnach lebten 2021 noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung in irgendeiner Form einer Demokratie. Das waren noch einmal deutlich weniger als 2020 mit 49,4 Prozent. In einer «vollständigen Demokratie» lebten sogar nur 6,4 Prozent, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (6,8 Prozent). Weit mehr als ein Drittel der Menschen leben nach den Untersuchungskriterien in einer Diktatur – 37,1 Prozent, die meisten in China, bedeuteten ein leichtes Plus zu 2020. Der Anteil der autoritär regierten Staaten ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.
Vor allem China spiele eine unrühmliche Rolle, stellte der Bericht «The China Challenge» der EIU, der Forschungseinheit der «Economist»-Gruppe, fest. «China ist nicht demokratischer geworden, während es reicher geworden ist. Im Gegenteil, das Land ist unfreier geworden», hiess es zur Begründung. Menschenrechtler klagen über zunehmende Überwachung sowie die Repression von Regierungskritiker, Andersdenkenden und Minderheiten wie den muslimischen Uiguren.
Die chinesische Führung nutze die Pandemie als Beweis, dass ihr politisches System dem liberalen westlichen Demokratiemodell überlegen sei, schrieben die Autoren. Es komme nun auf die Reaktion an. «Die tatsächliche Herausforderung für den Westen wird nicht sein, China davon abzuhalten, eines Tages die dominante globale Macht zu sein.» Dies sei ohnehin fast unvermeidlich. Es gehe vielmehr darum, diesen Prozess so zu steuern, dass Krieg vermieden und Demokratie sowie «das Beste aus dem Erbe der westlichen Aufklärung» erhalten blieben. Deshalb müssten die USA und ihre Verbündeten den Fokus darauf legen, ihre politischen Systeme zu «verjüngen» und damit ein erstrebenswertes Gegenmodell zu China anzubieten.
Norwegen weiter Spitzenreiter
Spitzenreiter des «Demokratieindex» bleibt Norwegen. Die Studie gab dem skandinavischen Land in drei der fünf Kategorien die Bestnote. Dahinter kletterte Neuseeland vom vierten auf den zweiten Platz, gefolgt von den übrigen nordischen Staaten Schweden, Finnland, Island und Dänemark.
Kritik übten die Autoren an zwei grossen Staaten in Europa. So stuften sie Spanien zu einer «mangelhaften Demokratie» herab. Grund war eine schwächere Einschätzung der Unabhängigkeit der Justiz wegen politischen Streits über die Ernennung von Richtern. Hingegen bleibt das Vereinigte Königreich zwar eine «vollständige Demokratie». Allerdings rutschte es in der Rangliste dennoch ab – mehrere Skandale hätten das Vertrauen in die Regierung untergraben, hiess es. Der britische Premierminister Boris Johnson steht wegen der «Partygate»-Affäre seit Wochen in der Kritik.
International betont Johnson allerdings immer wieder, die Demokratien müssten zusammenstehen, um ihre Freiheitswerte zu verteidigen. 2021 hatte das Vereinigte Königreich den Vorsitz der G7-Gruppe inne. Zum Gipfeltreffen lud Johnson auch die Staats- und Regierungschefs von Australien, Indien und Südafrika als wichtigen Demokratien in ihren Regionen ein.
SDA/step
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