Kommentar zur Wahl in WeissrusslandNoch ist für Lukaschenko nichts gewonnen
Eine politische Novizin hat die Menschen aufgerüttelt und den Langzeitherrscher in die Defensive gedrängt. Seine einstige schweigende Mehrheit droht sich im Nichts aufzulösen.
Mit 80 Prozent der Stimmen habe er die Präsidentenwahl gewonnen, reklamiert der weissrussische Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko den Sieg für sich: Als hätte es die massiven Proteste nie gegeben. Und auch nicht die Gewalt gegen die Aufmüpfigen. Die ins Spital eingelieferten Demonstranten seien betrunken gewesen, liessen die Staatsmedien verbreiten, es gebe keine Anzeichen von Polizeigewalt. Die Bilder sprechen eine andere Sprache. Ein Mann soll auf den Strassen von Minsk getötet worden sein, 3000 Demonstranten wurden verhaftet.
Ist die Lage damit wieder unter der Kontrolle des Regimes, oder hat nach 26 Jahren das Ende des Autokraten begonnen? Bisher konnte der einstige Chef einer sowjetischen Kolchose, der jedes Jahr leutselig zur Kartoffelernte ausrückt, auf seine Bürger zählen. Denn bisher war bei Wahlen nicht nur Lukaschenko das Problem, sondern auch eine zerstrittene Opposition. Deshalb hat er seit 1994 Wahl um Wahl gewonnen – sicher nicht lupenrein, aber vermutlich mit einer Mehrheit der Stimmen.
Weissrussland hat keine starke Zivilgesellschaft, keine rebellierenden Sicherheitskräfte und keine kritische Elite.
Nun ist einiges anders. Das repressive Vorgehen hat viele Menschen verstört, ebenso wie die zum Teil absurde Corona-Politik des Regimes. Das Volk habe gewählt, doch das Regime habe nicht zugehört, sagte Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja und reklamierte den Wahlsieg für sich. Auch wenn Letzteres fraglich ist: Die politische Novizin hat viele Menschen mobilisiert. Lukaschenkos einstige schweigende Mehrheit droht sich im Nichts aufzulösen.
Die Opposition hat zu neuen Protesten aufgerufen. Doch es wird nicht einfach, den Achtungserfolg weiterzuziehen: Weissrussland hat keine starke Zivilgesellschaft, keine Oppositionspartei, keine rebellierenden Sicherheitskräfte und keine kritische Elite. Doch auch für Lukaschenko ist trotz Wahlerfolg noch nichts gewonnen: Wenn er es nicht schafft, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, wird er immer öfter brachiale Gewalt brauchen, um an der Macht zu bleiben – und das Volk immer weiter von sich wegtreiben.
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