Gartenkolumne «Nachgehackt»Nobelpreis im Tomaten-Pikieren
Unsere Gartenkolumnistin ist schnell – aber bei der Setzlingsanzucht sind andere Qualitäten gefragt.
Der Mann liegt in der Waschküche auf der Yogamatte. Ich stutze. Zeigt er etwa mehr Disziplin als ich? Schliesslich steht die Matte seit Herbst zusammengerollt in der Ecke, nach Ausfallen der Yogastunden holte ich sie nur ein einziges Mal hervor, das war damals, in der ersten Woche der Einschränkungen.
Der Mann macht die Kobra. Aber ohne Arme. Denn die braucht er, um mit einem Esslöffel Löcher in die kleinen Töpfe zu graben. Hier will er die Tomatenpflänzchen einsetzen, die nach den beiden Keimblättern zögerlich die ersten richtigen Blätter machen. «Hilf, das wird dir guttun», sagt er und macht Platz.
Ich knie mich neben ihn auf die Matte, nehme einen zweiten Löffel, hebe kleine Löcher aus. Nicht nur ein paar, um die 50 Töpfchen stehen vor uns. Ich gebe mir extra viel Mühe und nehme mir Zeit, weil ich weiss, dass der Mann tendenziell findet, dass ich zu wenig präzis arbeite. Ich gebe alle Sorgfalt hinein, die ich habe. Mit demselben Instrument löffeln wir nun die Keimlinge einzeln aus der Anzuchtschale. Setzen sie tief in die Löcher hinein, damit der grösste Teil des Stiels von Erde bedeckt wird. Anschliessend füllen wir die Löcher und drücken die Erde mit den Fingern fest.
Höchste Konzentration
Gerade habe ich einen guten Rhythmus entwickelt, da langt der Mann rüber in meinen Arbeitsbereich, steckt die Hand in eines meiner Töpfchen, runzelt die Stirn. «Deine Löcher sind zu wenig tief», sagt er, «das wird nichts». «Die sind gross genug», entgegne ich, stopfe ein filigranes Pflänzchen extra tief hinein und buddle das Loch rasch wieder zu. Die Keimblätter gucken eben noch heraus. «Hol doch bitte mal die Fähnchen», meint er und widmet sich wieder seiner Seite.
Peperoni und Tomaten pikieren, das ist sein Gebiet. Er hat die Eigenschaft, die alltäglichsten Dinge so akribisch zu machen, als ob es darum ginge, den Nobelpreis zu gewinnen. Höchste Konzentration, Zunge leicht zwischen den Lippen, der Blick fokussiert. Sogar wenn er nur Samen steckt, geht er wie ein Chirurg vor. Er nimmt jedes Samenkorn einzeln zwischen die Finger, bohrt mit einem alten Bleistift die exakte Tiefe und lässt den Samen in Zeitlupe hineingleiten, bevor er das Loch feinsäuberlich verschliesst.
Fähnchen gegen das Vergessen
Ich bin normalerweise bei allem etwa dreimal schneller – bei ihm gelingt dafür alles. Und das ist bei der Tomatenanzucht ein nicht zu unterschätzender Faktor. Darum hole ich jetzt die Fähnchen. Auch sie waren seine Idee. Mit Zahnstochern und kleinen Klebeetiketten haben wir sie gebastelt. Für jedes Töpfchen eins. Da steht dann: «Black Cherry», «Green Zebra» oder «Babuschka».
Überhaupt will ich das Anschreiben nie mehr vernachlässigen. Nie mehr meinen, ich würde mich dann schon erinnern, wo ich was gesät habe ... Das hat schon zu oft nicht geklappt. Einmal verwechselte ich die Gurken mit den Kürbissen. Ich merkte es erst, als ich mich fragte, warum die Gurken mehrere Felder im Garten überwucherten. Ich fuhr zum Acker. Dort waren bereits Gurken gewachsen, die sich irgendwo zwischen dem Futtermais behaupten mussten.
Dem Mann wäre das garantiert nicht passiert.
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