Konzert im HallenstadionCave brilliert – und schimpft nur über die «fucking phones»
Der unermüdliche Musikprediger kam mit seinem neuen Album nach Zürich. Und warf die Frage auf: Ist der 67-Jährige vielleicht doch nicht so unzeitgemäss?
- Nick Cave tritt mit den Bad Seeds im Zürcher Hallenstadion auf und begeistert die Menge.
- Das neue Album «Wild God» steht im Mittelpunkt der Europatournee.
- Wie gegenwärtig ist das Wirken des 67-jährigen Rockstars?
Um so etwas wie Gegenwärtigkeit dürfte sich ein Zeitgenosse des Formats Nick Cave kaum je gekümmert haben. Die Punkbewegung erreichte sein Geburtsland Australien eher spät, Drogen schwor er ab, als sie so richtig fancy wurden, und als er sich zu einem Lyriker entwickelte, der auch von harten Schicksalen aus erster Hand zu berichten weiss, schlummerte die Popwelt noch im unbeschwerten Zustand der 90er.
Jetzt aber, sieben Jahre nach seinem letzten Auftritt in Zürich, steht dieser Nick Cave an der Bühne des Hallenstadions, seine Erscheinung ist aus der Zeit gefallen wie eh und je, der Anzug, die Frisur, die ganze Gestalt – und doch muss man sagen: Da steht eine sehr gegenwärtige Popfigur.
Nick Caves Blog ist kollektive Cybertherapie
«You’re beautiful», ihr seid schön, ruft er Kopf für Kopf der Menge zu, auch wenn er sich nicht in jedem einzelnen Fall davon überzeugt haben dürfte. Er betont die Schönheit in uns allen, das ist nicht nur nett, sondern auch zeitgeistig. Er spielt auch an auf sein Blogprojekt, «The Red Hand Files», es ist in seinen dunkelsten Jahren, in denen Cave den Verlust von gleich zwei seiner Söhne verkraften musste, entstanden. Man kann ihm dort Fragen stellen, die Leute treten auch mit ihren Problemen an ihn heran. Das ist kollektive Cybertherapie, das ist ganz und gar gegenwärtig.
In Zürich zeigt sich Cave in gewohnter Begleitung. Mit schwerem Geschütz ist sie einmal mehr aufgefahren, Caves Band The Bad Seeds. Da stehen Xylofone und ein Flügel, Pauken und Perkussion, hinter allem wiegt sich ein kleiner Gospelchor im Takt, drei Sängerinnen in Weiss, ein Sänger in Schwarz. «Wild God» heisst das 18. Album, das Cave und seine Band im Sommer veröffentlicht haben und mit dem sie durch Europa touren.
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Das Spektakel kann einem nahe gehen – und man kann ihm nahe kommen. Cave legt Wert darauf, dass es keinen Graben zum Publikum gibt, seine Strophen timt er so, dass er sie in Schlagdistanz zur Menge performen kann. Von dort recken sich ihm Hände und Mobiltelefone entgegen, die einen ergreift, die anderen verflucht er, womit er zumindest phasenweise wieder in eine angenehme Unzeitgemässigkeit zurückfällt.
Bald einmal folgen erste Hits des riesigen Repertoires, «Jubilee Street» oder «From Her To Eternity», der rote Faden aber bildet glücklicherweise das neue Album, wodurch die Veranstaltung, und so etwas ist bei Künstlern vom Jahrgang Caves eine stete Gefahr, nicht zur nostalgischen «Weisch no»-Bekundung wird.
Bei ihm klänge auch die Dessertkarte des Sternen in Oerlikon bedeutsam
Es ist überall etwas versteckt, hier ein Seitenhieb an die Politik, da eine Hommage an die verstorbene Weggefährtin Anita Lane, es ist eine Bedeutungsschwere, von der einem im heutigen Popzirkus ganz schwindlig werden kann. Bald einmal erwischt man sich beim Reflex, dass man schlichtweg alles, was dieser Nick Cave so von sich gibt, sofort auf einer tieferen Ebene lesen will. Längst gibt es massenhaft Caveologen, die bis an die Universitäten hinauf jedes Wort von ihm verhandeln.
Natürlich wirkt alles, was er sagt, ungemein tragend, und wäre es die Dessertkarte des Sternen in Oerlikon. Wäre Caves Musik ein Film, er wäre von David Lynch, und wäre sie ein Buch, wäre es zwar nicht von Martin Suter, aber natürlich ist man angesichts der verblüffenden Ähnlichkeit der beiden gänzlich verschieden agierenden Literaten versucht, das zu schreiben.
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Bei dieser reflexhaften Sinnsuche geht vergessen, dass Nick Cave auch herrlich unsinnig kann. In «Cinnamon Horses» besingt er zimtgezuckerte Pferde, die unter einem «strawberry moon» tanzen; eigentlich ist es albern, aber mit Caves Ernsthaftigkeit und einem der instrumental eindrucksvollsten Stücke des Abends ergibt das einen wunderbaren Gegensatz. Ein simples Gericht mit grosser Geste anrichten? Hallo Gegenwart!
«Gather round», sagt Cave gern und winkt die Menge her zu sich, wenn er als gottgesandter Bänkelsänger etwas erzählen will, in «Tupelo» etwa vom Sturm, der in der Geburtsnacht von Elvis Presley durch sein Heimatdorf fegte.
Nur, um sich kurz darauf wieder ungemein kratzbürstig zu geben. Bei «Red Right Hand» scheint es mit dem Leibhaftigen zuzugehen, Cave flucht und stampft und wagt sich gefährlich weit hinaus in die Menge, flicht in seine Strophe gekonnt ein kleines Impromptu über ein «fucking phone» in der ersten Reihe ein.
Der Zweifler hält einen kleinen Gottesdienst ab
Es ist eine Konstellation, der jederzeit die Überladung droht. Nicht, weil irgendjemand nicht auf der absoluten Höhe seines Könnens agieren würde. Was Caves Zeremonienadjutant Warren Ellis einer Geige entlockt, bringen andere nicht einmal aus einer Stromgitarre, er spielt sie stehend, kniend, liegend, singt als bärtiger Riese engelsgleiche Backing Vocals und klimpert auf einem Knie-Keyboard. Nein, zu viel zu werden droht es einzig, weil Caves Intensität jenseits der Zweistundengrenze einen schlicht überfordern kann und er damit zumindest in der Popgesellschaft der Zwei-Minuten-Aufmerksamkeit wiederum total unzeitgemäss daherkommt.
Am Ende ist es gut, bleibt Nick Cave irgendwo dazwischen, zugänglich für die Generation Dauerfühlend und verschroben für die in sich gekehrteren Postpunks. Als Zweifler hat sich Cave immer bezeichnet, nie als Gläubigen, doch für die letzten Stücke gesellt sich der kleine Chor zu ihm an den Bühnenrand, zu Orgelklängen hält man sich an den Händen und deutet zum Himmel.
Das eine sagen, das andere tun, auch das erscheint en vogue. Aber eben, um so etwas wie Gegenwärtigkeit würde sich ein Nick Cave nie scheren.
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