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Neues Hotel im Engadin
Aussen Beton, innen umwerfend

Durch das kreisrunde Oberlicht im kleinen Innenhof schaut man direkt in den Engadiner Himmel.
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Mit Gebäuden ist es manchmal wie mit Menschen: Wer auf den ersten Blick als schön erscheint, kann sich nach einiger Zeit als etwas langweilig erweisen. Umgekehrt stellen sich eigenwilligere Physiognomien oft auf Dauer als interessanter, tiefgründiger und auf ihre Art schöner heraus.

So gesehen, ist es nicht Liebe auf den ersten Blick, wenn man im Dorfzentrum von Pontresina vor dem neuen Hotel Maistra 160 steht. Plattenbau? Grandhotel ohne Stuck? Oder doch etwas ganz Eigenes?

Während man darüber noch sinniert, steht man schon drin, in einem grossen Raum, der Lobby, Bar und Restaurant in einem ist. Grün schimmernder Terrazzoboden, eine lange Nussholzbar, die den Raum teilt in Rezeption und Restaurant. Schlichtes, skandinavisch anmutendes Mobiliar, und das alles erleuchtet von Lüstern, die ihre historischen Vorbilder aus den benachbarten Grandhotels gekonnt persiflieren, indem sie fast alles weglassen – bis auf die kranzartige Struktur und das warme Licht, das sie spenden.

Ralph Feiner

Hier kommen wir uns schon näher, Maistra! Man fühlt sich gleich wohl in dem hellen, warmen Haus. Von der freundlichen Rezeptionistin in den dritten Stock begleitet, folgt jedoch gleich die nächste Irritation: Die Gänge, die zu den Zimmern führen, bestehen aus Sichtbeton, einzige Farbtupfer sind gelbe Stablampen an den Wänden und ein roter Rollteppich, der nur die Hälfte des Bodens bedeckt.

Aber was ist das? Am Ende des Flurs ein grosses Bild, auf dem Pontresina zu sehen ist, mit Kronenhof, Kirche und den verschneiten Bergen darüber. Nein, ist gar kein Bild, sondern ein bodentiefes Fenster, das echte Dorf einrahmend! Das Weglassen alles Überflüssigen, so viel hat man schon mal gelernt, wurde hier zum Prinzip erkoren.

Gänge aus Sichtbeton sind für ein Berghotel ungewöhnlich. Der rote Teppich, der notabene nicht zentriert liegt, ist witzige Reminiszenz an die gehobene Hotellerie und Farbakzent in einem.

Als die Tür zum Zimmer aufgeht, strömt ein Wohlgeruch in die Nase, der einen sofort wieder wissen lässt, wo man ist: stark, herb-süss, unverkennbar – Arve. Das astreiche Holz, seit Jahrhunderten der edle Baustoff in hohen Alpentälern, bedeckt hier nur den Boden und rahmt das Bett ein. Sonst sind die Wände verputzt, und an der Decke über dem Bett prangt der giftige lila Eisenhut.

In jedem Zimmer, so erfährt man später, ist es eine andere gemalte Blume, die den Gast in farbige Träume geleitet. Ebenfalls in jedem Zimmer befindet sich eine Stüvetta, eine kleine Stube aus Arvenholz, mit einer lederbezogenen Liege versehen. Hier kann man die Schiebetür zuziehen, die Mitreisenden Mitreisende sein lassen und in die unvergleichlichen Oberengadiner Berge schauen, bis einem die Augen zufallen.

Ralph Feiner
Jedes Zimmer verfügt über eine «Stüvetta», ein kleines, abschliessbares Separee, das zum Lesen oder einfach nur zum Rausschauen einlädt.

All diese originellen Details und Weglassungen seien in einem intensiven Austausch mit dem Architekten Gion Caminada entstanden, erzählt die Hotelbesitzerin Bettina Plattner, die zusammen mit ihrem Mann Richard schon mehrere alte Hotels im Engadin aufgemöbelt und geführt hat, bevor sie dank einer grossen Erbschaft ihren Traum eines eigenen Hauses verwirklichen konnte – was ihr 35 Millionen Franken wert war.

Der Architekt hat sogar die Möbel entworfen

Ihr sei es wichtig, sagt sie, mit dem Hotel in zentraler Lage auch das Dorf zu bereichern, und da habe sie in Caminada einen Architekten gefunden, der grosse Erfahrung mit dem zeitgemässen Bauen in alpinen Dorfzentren habe.

Gion Caminada, Professor an der ETH Zürich, ist bekannt dafür, dass er mit seiner Architektur entlegene Dörfer und Orte in Berggebieten aufwertet, indem er Gemeindesäle, Schulhäuser und sogar Ställe und Schlachthäuser baut. Sinnstiftende Bauten, die im besten Fall Dorfleben ermöglichen und die Menschen vom Abwandern in die Städte abhalten.

In der kleinen hauseigenen Bibliothek könnte man wochenlang durchlesen.
Ralph Feiner

Touristische Architektur hat er bisher wenig gemacht. In Pontresina, so erzählt er, habe ihn die Möglichkeit gereizt, in dem Ort voller historischer Hotels darüber nachzudenken, was heute ein Hotel in diesem Kontext leisten müsse. «Wir können heute ja nicht mehr so bauen wie zur Zeit der Grandhotels», sagt er. Auf die Irritation angesprochen, die die Fassade auslösen kann, sagt er: «Das freut mich, denn dann hat das Haus Charakter und eine Eigenständigkeit.» Und dann erklärt der Baumeister, dass die Fassade von der symmetrischen Anordnung der in alle vier Himmelsrichtungen zeigenden Zimmer bestimmt wurde. Die Form kam durch die Funktion. Und viele der schönen und funktionalen Möbel im Hotel hat der gelernte Schreiner selbst entworfen.

Livekonzerte für die Dorfbewohner

Wie das Hotel einen Mehrwert fürs Dorf schaffen soll, zeigt Bettina Plattner mit grosser Begeisterung. Da ist zum einen das Restaurant zur Strasse hin, das für alle zugänglich ist. Besonders wichtig sind der Gastgeberin neben der hellen, gut sortierten und auf alpine Themen fokussierten Bibliothek zwei Einrichtungen: der Pöstli-Keller und die Creative Box.

Im alten Posthotel, das hier vorher stand und abgerissen wurde, gab es eine viel besuchte Nachtkneipe. «Die wollten wir dem Dorf nicht wegnehmen.» Deshalb gibt es nun wieder einen Pöstli-Keller mit langer Theke und exzentrisch bezogenen Sitzmöbeln. Ein Treffpunkt für Einheimische und Gäste mit regelmässigen Livekonzerten. Der örtliche Jugendverein darf den Raum etwa zehnmal im Jahr gratis nutzen.

In der Creative Box, einem Atelier, das acht Stunden täglich geöffnet ist, amtiert ein Industriedesigner, der Kinder und ausdrücklich auch Erwachsene anleitet, wie sie mit allerlei Geräten von der Nähmaschine über den Laser-Cutter bis zum 3-D-Drucker schöne Dinge herstellen oder Gebrauchtes upcyclen können. «Das Atelier ist immer voll, Einheimische und Gäste sind gut gemischt.»

Über die Ästhetik der Sesselbezüge kann man streiten. Aber schön, ist der Pöstli-Keller wiederauferstanden.

Den Gästen vorbehalten hingegen ist das wirklich besondere Spa, das der Architekt um einen «Kreuzgang» herum angeordnet hat: ein von Pfeilern getragener Innenhof, dessen grosse runde Dachöffnung das darüber aufragende Hotel und den Himmel einrahmt und an die sogenannten Skyspaces des US-Künstlers James Turrell erinnert.

Säkularer Kreuzgang: Statt Mönche in Kutten wandeln hier Designjünger im Bademänteln.

Man kann hier, fast in sakraler Stimmung, nach der Sauna oder dem schwarzen Basalt-Dampfbad an der frischen Bergluft wandeln, bevor man sich hinter sieben Meter hohen Glasscheiben im Ruhebereich vor ein aus Tessiner Marmor gebautes Cheminée setzt und die Füsse wärmt. Spätestens dann wird einem klar, dass dieses Hotel, bei dessen Ausstattung viel Geld, guter Geschmack und handwerkliche Meisterschaft eine seltene Symbiose eingingen, nicht zufällig hier im «Bergsteigerdorf» Pontresina entstanden ist und nicht etwa im benachbarten, eher auf Äusserlichkeiten bedachten St. Moritz.

Hotel Maistra 160 in Pontresina, DZ ab 340 Franken, maistra160.ch

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels und Tourismus-Agenturen.