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Neues Album von Laufey
So hören auch Teenager Jazz

LOS ANGELES, CALIFORNIA - SEPTEMBER 28: Laufey performs at The Drop: Laufey at The GRAMMY Museum on September 28, 2023 in Los Angeles, California. (Photo by Rebecca Sapp/Getty Images for The Recording Academy)
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Es passiert nicht oft, dass einem ein Teenager eine Jazzplatte empfiehlt. Noch dazu ein junger Mann, der das Jazzhören beendete, als er mit fünf Jahren Deep Purples «Machine Head»-Album im väterlichen Regal entdeckte und «Smoke on the Water» auf ihn wirkte, als würde innerhalb von Sekunden die jahrelange Zwangsbeschallung mit Miles, Monk und Mingus von der Festplatte gelöscht werden.

Jetzt aber: Laufey. Das spricht sich Läiväi, weil sie aus Island stammt, Nachname Jónsdóttir. Vater von dort, Mutter aus China und Geigerin beim Isländischen Sinfonieorchester, deswegen auch die stramme musikalische Früherziehung. Jetzt ist Laufey 24 Jahre alt, nach Los Angeles umgezogen, Sängerin, Gitarristin, Pianistin, Cellistin und vor allem ein Star. Gerade eben ist ihr drittes Album «Bewitched» (Awal) erschienen.

Natürlich versammelt sie ihre Gefolgschaft auf Social Media

Den Durchbruch hatte sie vor drei Jahren mit ihren ersten Singles auf Tiktok. Noch so ein paar Gen-Z-Erfolge: 2022 war sie mit 425 Millionen Abrufen meistgestreamter Jazzact auf Spotify. Über Instagram (mehr als eine Million Follower) und Tiktok (mehr als zwei Millionen Follower) wurden Billie Eilish, Will Smiths Popstartochter Willow und V von BTS zu ihren Fans und Multiplikatoren. Und ganz oldschool beginnt ihre Tour gerade in Hongkong, in Peking tritt sie mit den Chinesischen Philharmonikern auf, im November geht es quer durch die Vereinigten Staaten, im Februar dann nach Europa. Alles schon ausverkauft. In Hamburg, Berlin und Köln suchen sie gerade nach grösseren Hallen, weil sie den Andrang massiv unterschätzt haben.

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Sie selbst bezeichnet ihre Musik als «modernen Jazz», wobei das eher kulturhistorisch zu verstehen ist als musikalisch. Für das Modern Jazz gewohnte Ohr wirkt «Bewitched» wie eine Reminiszenz an jene goldenen Dreissiger- und Vierzigerjahre, als der Jazz über den Umweg der Tanzpaläste, Broadway-Musicals und Hollywood-Filme zum ersten Mal in den Kulturkanon Amerikas einzog.

Ähnlich souverän wie ihre Stimme beherrscht sie Klavier und Gitarre.

Gleich zu Beginn klingt das im mehrstimmigen Intro von «Dreamer» nach Andrews Sisters und alten Disney-Soundtracks. Die Stimmung bleibt. Da schwingt viel Glückseligkeit im Timbre, was an die grossen Brückenschlägerinnen zwischen dem Rosabrillen-Broadway-Pop und dem Modern Jazz wie Anita O’Day oder Blossom Dearie erinnert. Blues gibt es da keinen. Das könnte man alles sofort bruchlos in die Soundtracks von Filmen und Serien wie «La La Land» oder «The Marvelous Mrs. Maisel» einfügen, die den Eskapismus der klassischen Musicals in die Gegenwart gerettet haben.

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Ansonsten hat Laufey eine wunderbar rauchige Mezzosopran-Stimme mit einer Phrasierung, die irgendwo zwischen Diana Kralls Stossseufzeransatz und K.D. Langs Jazz-Twang so ziemlich jede Melodie wie eine Origamifigur um die Backbeats falten kann. Nur, dass ihre Stimme fast vierzig Jahre jünger ist. Ähnlich souverän wie ihre Stimme beherrscht sie Klavier und Gitarre. Das klingt alles so herrlich konventionell, dass man sofort mitsingen kann und dann feststellt, dass Laufey sämtliche Songs selbst schreibt. Die Torch Songs, die Balladen mit grossem Orchester, und die Bossa novas mit getupfter Gitarre.

Nur Erroll Garners «Misty» ist ein Standard, Clint Eastwoods Lieblingssong, auf den er mal einen ganzen Film aufgebaut hat. Was natürlich vor allem der Beweis ist, dass sie das wirklich beherrscht mit dem Jazz und das nicht nur ein Vehikel ist. Je oller die Kamelle, desto höher die Messlatte. Die lodernde Kraft, mit der sie sich dieses Aufwallen der Frischverliebtheit aus dem Text zu eigen macht, kann durchaus in der ersten Liga mithalten. Nicht im Olymp von Sarah Vaughan und Ella Fitzgerald, aber ganz sicher mit allen anderen, die sich seither daran versuchen.

Die textliche Klarheit von Taylor Swift in den Jazz importieren

Der Song passt gut zum Rest des Albums, der sich auf der lyrischen und der emotionalen Ebene vor allem an alle Frischverliebten und Verlassenen wendet, die eigentlich der Domäne des Pop vorbehalten sind. Und da ist auch der entscheidende Unterschied zu den meisten anderen, die den Jazz gerade für sich erobern. Laufey geht das Genre nicht wie üblich als Solistin und über die Improvisation an, sondern als Songschreiberin. Dabei nimmt sie sich, wie sie sagt, weniger die Broadway-Legenden oder ihre Idole Chet Baker und Ella Fitzgerald zum Vorbild als Taylor Swift, die die Gen-Z-Altersgruppen über die Erzählkraft des Country erobert hat.

Swifts grösste Stärke ist die Klarheit ihrer Texte, und so ähnlich will es Laufey nun mit dem Jazz versuchen. Das könnte funktionieren, weil sie ähnlich wie Swift, Mitski oder Olivia Rodrigo den Pop nicht nur zurück in die Songstrukturen holt, die im Hip-Hop- und Dance-getriebenen Mainstream mit den Dauerfeuer-Hooks für die Streaming-Algorithmen auf der Strecke blieben. Noch ein Element aus der Singer-Songwriter-Tradition ist, dass es kein einziges Instrumentalsolo gibt, keine einzige Improvisation. Ein paar Intros und Interludes, aber das sind Funktionselemente.

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Sie schreibt dafür Texte, in denen man sich eher wiederfindet, wenn man sich gerade durch die Gefühlsgewitter der Teenagerjahre schlägt. Wenn die Klamotten nicht sitzen, niemand den fremdartigen Namen aussprechen kann und die Haare störrisch sind, weil man als chinesisch-isländisches Mädchen nun mal in kein Raster passt, wie in «Letter To My 13 Year Old Self». Wenn der Kerl sich in eine andere verguckt, wie in «From the Start» und die einzig richtige Reaktion ein Augenrollen ist: «She’s so perfect, blah, blah, blah.» Und wie sich die Welt in Wohlgefallen auflöst, wenn die Liebe doch mal klappt, wie in «Must Be Love».

Dieser Transfer einer Methode und Haltung aus dem gegenwärtigen Pop in den Jazz funktionierte schon bei Kamasi Washington sehr gut, der die Welle der neuen Jazzbegeisterung bei einem jungen Publikum vor acht Jahren auslöste. Der brachte das Prinzip der Posse aus dem Hip-Hop in den Jazz, also dass eine Band aus langjährigen Freunden und Gefährten besteht, auch wenn nicht alle die gleiche musikalische Flughöhe erreichen. Stilistisch klang da nix nach Hip-Hop. Und so hört man bei Laufey auch nirgendwo durch, dass sie sich als «Swifty» versteht.

Sie lässt nicht raushängen, dass sie bald schon grosse Hallen füllen kann.

Und dann hat Laufey noch die digitalen Ströme im Griff, das ist immer noch der entscheidende Schub für eine gegenwärtige Musikkarriere. Dicht getaktet versorgt sie ihre Kanäle mit dieser Sorte Kurzvideos, die den Weg vom Fan zum Star auf ein paar Millisekunden Lagtime im Glasfasernetz reduzieren. Sie kann das, ist lässig daheim in ihrer Fröhlichkeit, lässt nicht raushängen, dass sie als Cellistin auch Orchesterkonzerte spielen und als Sängerin bald schon grosse Hallen füllen kann, sondern bringt auch mal den Müll runter oder lädt die Waschmaschine.

Das funktioniert. Laufeys Social-Media-getriebene Karriere hat sie innerhalb von drei Jahren vom Kinderzimmer-Tiktok-Phänomen zu Welttourneen und Auftritten mit Sinfonieorchestern befördert. Jazz für Teenager. Den gab es auch schon seit ungefähr 80 Jahren nicht mehr, als minderjährige Fans bei Frank-Sinatra- und Tony-Bennett-Konzerten kreischend in Ohnmacht fielen. Wurde mal wieder Zeit.

Laufey, The Bewitched Tour, 5. März 2024 in Lausanne