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TV-Kritik
Das Geheimnis von Schumachers Erfolg

Was machte diesen Mann so erfolgreich? Der Filmemacher Andreas Troll hat eine stattliche Zahl von Michael Schumachers Wegbegleitern getroffen – und überraschende Antworten bekommen.
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Anfang der Achtzigerjahre, als Michael Schumacher noch ein halbwegs gewöhnlicher Teenager war, da gab es Momente, in denen musste er geduldig sein. Auch ein späterer Weltmeister der Formel 1 muss manchmal essen oder schlafen. Oder schlimmer noch für die Ungeduld: zur Schule gehen.

Wochentags, wenn der kleine Michael gerade erst seinen Ranzen abgestellt hatte in seinem Elternhaus am Rande der Kartbahn in einer ehemaligen Kiesgrube in Kerpen-Manheim, da sausten seine Freunde schon über den Asphalt. Sehen konnte Schumacher sie dann nicht, er sass ja noch vor einem Teller mit Essen. Aber hören, das konnte er sie bereits.

Wer einmal das monotone und sägende Geräusch eines Zweitaktmotors vernommen hat, das weniger an einen Rennwagen erinnert als an einen Rasentrimmer oder Laubbläser, der weiss: Sie klingen eigentlich alle gleich. In den Ohren des jungen Schumacher aber wurden die Geräusche offenbar zu komplexer Musik. Schumacher konnte präzise raushören, wer von seinen vielen Kart-Kumpels gerade über die Bahn knatterte und an welcher Stelle er sich befand. Die Streckenführung hatte er sich ohnehin so gut eingeprägt, dass er die Piste sogar in der Nacht weitgehend fehlerfrei befahren konnte, obwohl es an der Kiesgrube kein Flutlicht gab. Und nun also sass er beim Essen und vernahm: Sieh an, das ist Freund X, der mal wieder zu früh bremst in Kurve drei – oder zu spät in Kurve fünf. Hört, hört, das ist Freund Y, der mal wieder zu zögerlich Gas gibt!

Der junge Schumacher, halb Luchs, halb Computer. Was für eine Geschichte! Das Hören ist das eine. Die Geräusche mit der eigenen Rennerfahrung zu verknüpfen und daraus Erkenntnisse abzuleiten, das ist die Kunst. Und eine der vielen Gaben, die erst in ihrer Zusammensetzung den vielleicht grössten Rennfahrer der Geschichte formten.

«Er hat sein Visier nie ganz geöffnet. Wir alle kamen zu spät. Denn da war er bereits ein Weltstar.»

Die fünfteilige ARD-Dokumentation «Being Michael Schumacher» des langjährigen Formel-1-Reporters Andreas Troll vom Bayerischen Rundfunk steckt voller tiefer Erinnerungen wie dieser. Nicht alle sind seine eigenen. Troll war es wichtig, einen sich selbst erzählenden Film zu schaffen, der von seiner Handlung und den Protagonisten getragen wird. Nicht als Selbstzweck – sondern weil es anders gar nicht geht. «Keiner von uns hat Schumacher in Gänze kennengelernt, das wollte er gar nicht zulassen», sagt Troll. «Er hat sein Visier nie ganz geöffnet. Wir alle kamen zu spät. Denn da war er bereits ein Weltstar.»

Um sich dem Phänomen Schumacher zu nähern, nutzt Troll die Schwarmintelligenz von Wegbegleitern und kreiert ein Erinnerungsmuseum. An der Wand des Filmemachers kleben viele einzelne Beobachtungen – und wer als Zuschauer nach fünf Episoden und reichlich sättigenden Bildern zwei Meter von dieser Wand zurücktritt, der blickt auf ein Porträt des Menschen Schumacher. Gut möglich, dass er schärfer nie gezeichnet wurde.

Aus Sicht der ARD-Programmplanung steht die Ausstrahlung der Doku zum zehnten Jahrestag des tragischen Ski-Unfalls des siebenmaligen Weltmeisters am 29. Dezember 2013 vermarktungstechnisch selbstverständlich hervorragend.

Michael Schuhmacher fährt einen und holt damit fünf WM-Titel in Serie.

Für Troll war der Jahrestag des Unglücks aber weder Anlass noch Antrieb für seine Recherche. Im Gegenteil. Er möge es überhaupt nicht, wenn der Unfall noch immer in seiner schicksalhaften Grausamkeit «romantisiert» werde, sagt Troll. Die voyeuristische Frage, wie es Schumacher heute geht, wurde jedem aufmerksamen Zuschauer bereits vor zwei Jahren in der Netflix-Dokumentation Schumacher detailliert beantwortet. Für die Familie Schumacher, die sich damals vor die Kamera begab, bedeutete das den vergeblichen Versuch, endlich Zuflucht zu finden vor der immer gleichen Neugierde der Öffentlichkeit. Troll behandelt Schumachers Unfall nun nüchtern nachrichtlich, den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Rennfahrers gar nicht. Er sagt: «Alle kennen diese Tragödie. Aber der Mensch Michael Schumacher hat so viel mehr zu erzählen. Mir ging es darum, seinen unglaublichen Weg nachzuzeichnen.»

Schöngefärbt wird Schumacher bei alldem nicht

Bei Schumachers Reise an die Weltspitze kommt tatsächlich einiges zusammen: der Zufall, direkt neben einer Kartbahn aufzuwachsen. Das Talent, Zweitaktmotoren und ihre Fahrer am Geräusch zu erkennen, womit sich locker jede Baggerwette bei Wetten, dass..? düpieren liesse. Der Wille, alles um sich herum auszublenden und notfalls jeden Konkurrenten auf der Strecke aus dem Weg zu räumen. Die Gabe, die richtigen Leute im jeweils perfekten Moment davon zu überzeugen, ihn zu unterstützen. Und dann noch ein Wesen, das jedem seiner Mitarbeiter den inneren Antrieb verliehen hat, er müsste schrauben und entwickeln wie ein Weltmeister. «Er kannte jeden Mechaniker, kannte die Namen ihrer Ehefrauen, wusste, was ihre Kinder machten. Und das war ehrlich», erzählt Pat Symonds in der Doku, Schumachers langjähriger Renningenieur: «Michael war richtig Teil eines Teams, und dafür haben viele für ihn alles gegeben.»

Troll bringt für «Being Michael Schumacher» die alte Band wieder zusammen – und zwar die gesamte, sozusagen von den Blues Brothers über den Schlagzeuger bis zum Bassisten. Er spricht mit den Fahrern David Coulthard und Fernando Alonso, er trifft die Ferrari-Leute Jean Todt und Luca Cordero di Montezemolo. Er gräbt den kauzigen Fotografen Daniel Reinhard aus, der wiederum ein Rennfahrer-Archiv ausbuddelt, das sein Vater bereits angelegt hatte. In Fiorano, unweit der Teststrecke von Ferrari, lässt Troll die Betreiberin des Ristorante Montana sentimental werden, wo Schumacher immer gegessen hat, wenn er in der Stadt war. «Die richtigen Worte für ihn?», fragt Mamma Rossella: «All die schönsten Worte, die schönsten Adjektive, die sind für ihn: Fit aussehend, sympathisch, mutig, intelligent, wohlerzogen, das war Michael.» In der letzten Folge rührt Troll sogar noch ein paar Prisen Bastian Schweinsteiger und Franziska van Almsick hinein, die aus inhaltlichen Gründen gar nicht nötig gewesen wären.

Schöngefärbt wird Schumacher bei alldem nicht. «Schummel-Schumi» fährt auch in «Being Michael» Schumacher mit Tricksereien am Unterboden, er rempelt Damon Hill 1994 in Adelaide und drei Jahre später Jacques Villeneuve in Jerez. Um eine Einschätzung von demjenigen zu erhalten, der Schumacher eines Tages in der Zahl seiner Pokale übertreffen könnte, ist Troll dem von der Queen zum Ritter geschlagenen Sir Lewis Hamilton hinterher gereist. Schumacher, antwortet der siebenmalige Weltmeister, das sei doch «der Kerl, der das Rennen gewann am Tag, als Ayrton Senna starb». Zur Erinnerung: Am 1. Mai 1994 bohrte der brasilianische Rennfahrer auf der Strecke von Imola seinen Williams in eine Mauer und verletzte sich tödlich; das Rennen wurde abgebrochen und später neu gestartet.

Was für ein Satz von Hamilton! Schumachers Ehrgeiz, seine Professionalität und Gnadenlosigkeit, all das steckt da drin.

«Being Michael Schumacher», ARD, Donnerstag, fünf Folgen ab 23.35 Uhr.