Debatte um Nord-Stream-SabotageNeue Spekulationen zur Sprengung der Pipelines
In den vergangenen Tagen wurden zahlreiche neue Szenarien und Indizien zur Sabotage der Nord-Stream-Pipelines präsentiert. Die Faktenlage bleibt dabei aber weiterhin sehr dünn, und vieles bleibt hypothetisch.

In den letzten Tagen und Wochen wurden mehrere Szenarien präsentiert, wer hinter den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines stehen könnte. Der US-Investigativjournalist Seymour Hersch behauptete Anfang Februar, die USA steckten hinter der Operation, und berief sich auf eine geheime Quelle. Anfang März folgte ein Artikel der «New York Times», der mit Verweis auf Geheimdienstinformationen von einer proukrainischen Gruppierung ausging. Drei Tage später zeichnete der «Spiegel» in einer detaillierten Reportage den Weg der Jacht Andromeda nach, welche eventuell für die Mission verwendet wurde. Auch ein Öltanker, der vor den Explosionen am Ort der Sabotageakte gekreuzt war, wird wiederholt ins Spiel gebracht. Wir zeichnen die verschiedenen Szenarien hier nach und ordnen sie ein.
Geheimoperation mit Segeljacht
Am 10. März veröffentlichte der «Spiegel» eine ausführliche Reportage von nicht weniger als zwölf Journalisten, in der ein detailliertes Szenario für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines präsentiert wurde. Dabei habe die in Rügen gemietete Segeljacht Andromeda eine entscheidende Rolle gespielt. Die Journalisten zeichneten die Route der Jacht auf der Ostsee nach, die das Schiff am 6. September von seinem Heimathafen in Rostock zunächst zur Insel Rügen und dann zur dänischen Insel Christiansø führte. Am 26. September soll es sich dann in der Nähe der Orte befunden haben, an denen die Explosionen an den Pipelines stattfanden. In Wiek auf Rügen habe die Mannschaft haltgemacht, um Proviant zu laden.
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Laut einem Hafenmeister hat die Gruppe eine Sprache, die wie Polnisch oder Tschechisch klang, gesprochen. Mindestens ein gefälschter bulgarischer Pass sei verwendet worden. Mit Verweis auf einen Ausbilder für technisches Tauchen gehen die «Spiegel»-Journalisten zudem davon aus, dass auch erfahrene Freizeittaucher zu den Sabotageakten in rund 80 Meter Tiefe in der Lage gewesen wären. Zur Platzierung der Sprengsätze seien wahrscheinlich vier Tauchgänge an je drei Stunden nötig gewesen. Die Segeljacht sei dann vom 18. bis zum 20. Januar des aktuellen Jahres von der deutschen Bundesanwaltschaft durchsucht worden. Bereits zuvor hatte der Rechercheverbund von ARD und «Die Zeit» berichtet, die Crew des Segelschiffes habe aus einem Skipper, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin bestanden.
Jacht zu klein für eine Operation solcher Grösse
Der «Guardian» nahm die Recherche des «Spiegels» noch am gleichen Tag auf und stellte mehrere der präsentierten Annahmen mit Berufung auf Experten infrage: Die Segeljacht sei wahrscheinlich zu klein für den Transport der benötigten mehreren Hundert Kilogramm Sprengstoff gewesen. Einige Experten gingen von bis zu 2000 Kilogramm Zündstoff aus. Auch hätten die Taucher für mehrere Tauchgänge in 80 Meter Tiefe eine Dekompressionskammer benötigt.
Das «Wall Street Journal» berichtete am Montag, dass es vergangenen Freitag beim Segelcharter Mola Yachting angerufen und bestätigt bekommen habe, dass die fragliche Jacht Gegenstand von Untersuchungen sei. Auch habe ein hoher Offizieller der deutschen Regierung, der einen Bericht zur Untersuchung eingesehen habe, bestätigt, dass einige Mitglieder der fraglichen Mannschaft ukrainische Pässe präsentiert hätten.


Das Tankschiff Minerva Julie
Eine weitere, nicht bestätigte Theorie sieht das unter griechischer Flagge verkehrende Tankschiff Minerva Julie als zentralen Akteur in der Sabotage der Nord-Stream Pipelines. Das Schiff ist ab dem 5. September acht Tage lang nördlich von Bornholm hin- und hergekreuzt – genau an der Stelle, wo am 26. September die zwei Röhren von Nord Stream 1 gesprengt wurden –, wie die finnische Zeitung «Verkkouutiset» bereits Ende September berichtete. Der Öltanker lief auch nach Beginn des Ukraine-Kriegs wiederholt russische Häfen an, wofür die griechische Betreibergesellschaft Minerva Marine Inc. von verschiedenen Seiten kritisiert wurde. Minerva Marine erklärte gegenüber der «Welt am Sonntag», man habe während des Kreuzens auf weitere Instruktionen gewartet.
Die «Berliner Zeitung» wiederum beruft sich in ihren Recherchen auf den Karlsruher Sprengstoffexperten David Domjahn. Dieser hält die Darstellung, wonach eine kleine Gruppe von Saboteuren vom Segelschiff Andromeda aus die Sprengladungen angebracht haben soll, für sehr unwahrscheinlich: «Bereits die Vorstellung, dass rund zwei Tonnen Sprengstoff in handlichen Einzelpaketen ohne Kran an Bord verlastet hätten werden müssen, finde ich abenteuerlich. Das Ganze muss dicht an dicht zu einer sogenannten geballten Ladung gepackt werden. Ein solches aus Einzelpäckchen bestehendes 500-kg-Paket ist sowohl über als auch unter Wasser allein schon vom Gewicht her schwer handhabbar.»

Für viel realistischer hält der Experte das Szenario, wonach für den Sabotageakt sogenannte Grundminen aus Militärbeständen benutzt worden seien, die genau für solche Einsatzzwecke entwickelt wurden. Auch seismische Daten aus dem Zeitraum des Anschlags liessen auf überdimensionierte Sprengladungen schliessen. Dies würde dann wiederum eher für eine staatlich geplante Operation sprechen.
Auch der dänische Investigativjournalist Oliver Alexander hält das Szenario, wonach die Installation der Sprengladungen mit dem Kreuzen des Tankerschiffs Minerva Julie zusammenhängen soll, für wahrscheinlicher. Die Segeljacht Andromeda sei vielleicht verwendet worden, um das für die Operation zuständige Team und Vorräte zu transportieren. Alexander veröffentlichte zu seiner These Daten der Marine-Traffic-Positionsdatenbank, welche das Kreuzen der Minerva Julie vom 6. bis zum 13. September aufzeigen.
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Die politische Dimension
Die Faktenlage, wer hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines steckt, ist nach wie vor sehr dünn. Derweil mangelt es nicht an Schuldzuweisungen und Mutmassungen, wer hinter der Operation stehen könnte. Gleich nach der Sabotage der Pipelines am 26. September begannen die gegenseitigen Verdächtigungen der involvierten Staaten. Wirkliche Fakten wurden dabei aber keine präsentiert. Dann folgte Anfang Februar eine Analyse des amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersch, der behauptete, die US-Regierung habe mit Unterstützung Norwegens die Sabotageakte verübt. Er stützte sich dabei auf eine anonyme Quelle, die er nicht offenlegen wollte, und auf Aussagen Joe Bidens kurz vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.
Am 7. März folgte ein Artikel der «New York Times», in dem mit Verweis auf Geheimdienstinformationen die These aufgestellt wurde, eine proukrainische Gruppe habe den Anschlag auf die Pipelines verübt, jedoch ohne Auftrag der ukrainischen Regierung. Der Artikel verwies u. a. auf das Motiv, dass die Gaslieferungen Russlands an Westeuropa für die Ukraine ein nationales Sicherheitsrisiko darstellten, da damit die russische Armee mitfinanziert wurde, auch wenn zum Zeitpunkt des Anschlags kein Gas mehr geliefert wurde. Beweise für dieses Szenario präsentierte aber auch dieser Artikel nicht. Die Indizien und Motive weisen allerdings in diese Richtung, wie diese Zeitung in einer Analyse aufgezeigt hat.
Dass eine proukrainische Gruppierung hinter dem Sabotageakt stehen könnte, wurde derweil aber auch wiederholt als politisches Motiv identifiziert, um die westliche Koalition, welche die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt, zu schwächen. Der Anschlag liess die im Herbst ohnehin schon hohen Energiepreise weiter in die Höhe schnellen.
Auch eine sogenannte False-Flag-Operation – bei der bewusst Indizien zur Beschuldigung eines anderen Akteurs ausgelegt wurden – ist nicht unwahrscheinlich, wie auch Konstantin von Notz, der deutsche Geheimdienstkontrolleur, letzte Woche gegenüber deutschen Medien sagte: Man habe es «sehr wahrscheinlich mit einem staatlichen oder quasistaatlichen Akteur zu tun, weil es sehr anspruchsvoll ist, grosse Mengen von Sprengstoff unerkannt an die richtige Stelle in der Ostsee zu transportieren, ihn in eine relevante Tiefe zu bringen, um kontrolliert mehrere Explosionen auszulösen». Ein solcher «Terrorakt mit staatlichem Hintergrund macht es wahrscheinlicher, dass falsche beziehungsweise auch Trugspuren gelegt wurden».
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