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Neue Hyperschallwaffe
Chinas Rakete schreckt die USA auf

Hyperschallwaffe in Peking während einer Militärparade 2019. 
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Bisher war klar, dass es für das Militär zweierlei Raketenwaffen gibt: Ballistische Raketen fliegen hoch und schnell, ihr Kurs lässt sich aber nach dem Start nicht mehr ändern. Marschflugkörper fliegen tiefer und langsamer, können aber ihren Kurs bis zum letzten Moment ändern. Jetzt kommen die Hyperschallwaffen, die hoch oder tief und zudem sehr schnell fliegen, aber auch bis zum letzten Moment lenkbar sind. Das verbessert für den Angreifer die Treffergenauigkeit, für den Verteidiger dagegen wird es viel schwieriger, anfliegende Raketen zu entdecken und zu zerstören.

Dass Russland und China nach eigenen Angaben erfolgreich Raketen der Hyperschallklasse gestartet haben, ist in den USA mit grösstem Unbehagen zur Kenntnis genommen worden. Amerika ist nämlich noch nicht so weit, die Gegenparteien haben etwas, was die Amerikaner nicht haben. Mit den Hyperschallraketen öffnet sich unter anderem auch eine bisher ungenutzte Kampfzone, sie liegt unter dem von den Satelliten beherrschten Weltraum und über dem Luftraum, der Domäne der Flugzeuge. Dass russische und chinesische Raketen die Lücke nutzen wollen, macht den Amerikanern Sorgen.

Schneller als eine Gewehrkugel

Dass die US-Industrie überflügelt worden ist, weckt Erinnerungen an den Sputnik-Schock von 1957, als die Sowjetunion im Kalten Krieg mit dem weltersten Satelliten einen spektakulären Propagandaerfolg erzielte. Die USA konnten damals nicht mit einem eigenen Satelliten aufwarten. Die Vorläuferorganisation der Nasa forcierte dafür die Entwicklung der Überschallflugzeuge. Die X-15, pilotiert unter anderem vom späteren Astronauten Neil Armstrong, war bereits eine Hyperschallmaschine. 1967 schaffte einer der Testpiloten mit Mach 6.7 eine fast siebenfache Schallgeschwindigkeit, etwa das Doppelte dessen, was ein Sturmgewehrgeschoss im Maximum erreicht.

Neu an den russischen und chinesischen Raketen ist die Steuerfähigkeit, die den bisherigen ballistischen Raketen abgeht.

Der Begriff Hyperschall steht für eine Geschwindigkeit von 5 Mach oder mehr, also mindestens fünffache Schallgeschwindigkeit oder rund 6000 Kilometer in der Stunde, möglicherweise geht es bis 18’000 Kilometer pro Stunde, was 5 Kilometer pro Sekunde entspricht. Heutige Interkontinentalraketen können 20 Mach erreichen. Allerdings lässt sich ihre Flugbahn, hoch hinauf an die Grenze des Weltraums und dann im Bogen ins Ziel, relativ gut beobachten und vorausberechnen. Sie können dann abgefangen und noch im Flug zerstört werden.

Neu an den russischen und chinesischen Raketen ist die Steuerfähigkeit, die den bisherigen ballistischen Raketen abgeht. Ihr Tempo, kombiniert mit der Möglichkeit für schnelle und nicht vorhersehbare Kursänderungen, macht die Bekämpfung schwierig. Die Reaktionszeit für Gegenmassnahmen schrumpft auf wenige Minuten, vor allem, wenn sie so tief fliegen, dass Radaranlagen am Boden sie erst spät erfassen. Radarantennen und andere Sensoren im Weltall werden für die Abwehr nötig, aber auch schnellere Informations- und Datenverarbeitungsprogramme für die Gegenmassnahmen.

Zerstörend ohne Explosion

Hyperschallraketen können konventionelle oder nukleare Sprengsätze tragen, aber auch durch ihre blosse kinetische, mechanische Energie zerstörend wirken, etwa dann, wenn die Umgebung des Zielobjekts geschont werden soll. Dies erfordert eine sehr gute Präzision, wie sie etwa bei einem Nuklearschlag nicht nötig ist. Die exakte Navigation eines Flugkörpers im Hyperschallbereich ist eines der technischen Probleme der neuen Waffe, GPS allein genügt nicht. Ein anderes ist die Hitzeentwicklung bei dem schnellen Flug, die Materialien müssen stellenweise Temperaturen von über 1000 Grad Celsius aushalten.

In Amerika wurde seit den Sechzigerjahren intensiv an der Hyperschalltechnik gearbeitet, die Amerikaner haben darin weltweit am meisten Erfahrung. In die Produktion ging aber nichts davon, wie ein erfahrener Insider an einem Kongress bedauernd feststellte. Jetzt ist plötzlich alles anders. Seit Russland und China, aber auch Australien, Indien, Frankreich, Deutschland, Japan und andere Staaten die Hyperschallentwicklung vorantreiben, sind die USA bestrebt, Versäumtes nachzuholen.

«Test einer neuen Hyperschallrakete», steht da geschrieben: TV-Bilder aus Nordkorea, ausgestrahlt am 29. September 2021.

Ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums erklärte vor dem Kongress, die USA hätten den neuen Waffen heute nichts entgegenzusetzen. Milliarden Dollar werden nun investiert, Dutzende von Instituten und Unternehmen haben Aufträge erhalten. Frank Kendall, der oberste zivile Chef der US Air Force, bemängelte aber im September öffentlich, die Fortschritte seien zu langsam. Zudem sei auch noch nicht klar, wie und wozu genau die USA solche Waffen einsetzen sollten.

Strategisches Gleichgewicht bedroht

Zwar will die US-Regierung offenbar die Hyperschallraketen nicht mit Atomsprengköpfen bestücken. Doch im Prinzip sind sie wahlweise konventionell, nuklear oder kinetisch einsetzbar. Dies sowie die hohe Geschwindigkeit und das unvorhersehbare Ziel machen Hyperschallwaffen für einen Angreifer attraktiv.

«Sie haben das Potenzial, atomare Abschreckungen zu umgehen und die strategische Stabilität zu erschüttern», schreibt Dominika Kunertova vom Center for Security Studies der ETH Zürich in einer Analyse. Hyperschall ist zumindest vorläufig kein Thema für internationale Verträge und Abrüstungsbemühungen – schliesslich geht es nicht primär um Atomwaffen. Dass sich die Grossmächte auf eine Beschränkung der Hyperschallwaffen einigen würden, jetzt, wo sie gerade am Aufbauen der neuen Kapazitäten sind, sei unwahrscheinlich.

Als Zulieferer kommen unter Umständen auch Schweizer Spezialfirmen infrage.

Im Eidgenössischen Verteidigungsdepartement (VBS) beobachtet man die Entwicklung der Hyperschallwaffen genau. Die Trennlinie zwischen nuklearer und konventioneller Rüstung werde verwischt, das hohe Tempo der Raketen erhöhe das Risiko von irrtümlichen Gegenschlägen. Für die internationale Sicherheit und Stabilität sei dies eine beunruhigende Entwicklung, schreibt VBS-Sprecherin Carolina Bohren.

In der Schweiz scheinen die Fachleute weniger schockiert über die Ankündigungen aus Russland und China als in den USA. Überraschend sei bestenfalls der Zeitpunkt gewesen, an dem die neuen Hyperschallwaffen öffentlichkeitswirksam vorgestellt wurden, schreibt Carolina Bohren. Technische Sensationen dienen auch der Prestigepflege und der Propaganda, es gibt denn auch im Westen Experten, die an der – hier nicht nachprüfbaren – Leistungsfähigkeit der östlichen «Wunderwaffen» zweifeln.

Ob sich Hyperschallwaffen überall durchsetzen werden, ist angesichts des grossen Aufwands wenig wahrscheinlich. Entwickeln können solche Waffensysteme nur Staaten mit einer entsprechenden Hightech-Industrie und vorwiegend mit Erfahrungen aus dem Raumfahrtsektor. Als Zulieferer kommen unter Umständen auch Schweizer Spezialfirmen infrage. Die Schweiz ist dabei vom Risiko der Weiterverbreitung von Technologie für hochtechnologische Waffen betroffen. Informiert wird die Schweizer Fachwelt bereits über den Stand der Technik: Armasuisse Wissenschaft und Technologie, die Forschungsabteilung im Bundesamt für Rüstung, plant im Dezember einen Fachkongress zum Thema hyperschallschnelle Flugkörper.

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